Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Tapetenwechsel und Denkmalrücken Unter den Linden

Die Aktion "geschichtsbewußtes Berlin" führt zum Verschwinden eines Platzes

Nach dem Fall der Mauer war die Freude im befreiten Westteil der Stadt groß, endlich wieder märkischen Sand und Kieferngeruch genießen zu können. Das größte Geschenk aber waren die Linden, der alte Prachtboulevard im Ostteil der Stadt. Hier hatte glücklicherweise sogar noch etwas repräsentative Geschichte die Bomben und Abrißorgien der Kommunisten überlebt. Nirgendwo sonst in der Stadt - so ein Gutachter - könnte man wie hier "reinen preußischen Geist" atmen und den Touristen in Schinkelscher Manier edelste bürgerliche Mannestugend präsentieren.

Geschichtsbewußt zurück zu Schinkel, so hieß fortan der Prüf- und Planungsauftrag an zahlreiche Gutachter, die der DDR-Schicht im Ensemble grundsätzlich nichts als Zerstörung, schwere Wertbeschädigung und ganz spät einen zurückgekehrten Friedrich II. bescheinigten. Um nun das Allerheiligste der Stadt fortan ins rechte Licht zu stellen und ein gepflegtes Image zu verbreiten, wurde Unter den Linden kräftig renoviert. Zwei Abbrüche trafen mit Lindencorso und Zeughauserweiterung zwei jüngere und für belanglos gehaltene Gebäude. Doch mag es die allgemeine Vorfreude auf die "geschichtsbewußte Herrichtung der Linden" (Hans Stimmann) verständlicherweise arg trüben, wenn sich Bezirkspolitiker und der Baustadtrat von Mitte urplötzlich nicht konform verhalten und unter Geschichte etwas ganz anderes verstanden wissen wollen.

Bezirkspolitik im Streit mit dem Senat

Der aktuelle Denkmalstreit entzündete sich an dem Plan der landeseigenen Grün Berlin GmbH, östlich der Staatsoper zwei Bäume zu fällen, um in der dortigen sozialistischen "Kleingartenanlage" (Tilmann Buddensieg) geschichtsbewußt die Reste des Festungsgrabens, das Mäuerchen um das frühere Prinzessinnenpalais sowie eine neue Esplanade herzurichten und selbstverständlich die Standbilder der Generäle der Befreiungskriege an ihre alten Standorte zurückzuversetzen - wie es schon im vorletzten Jahr der DDR angedacht war. Beim Senat und im Feuilleton vermochte im ersten Schock niemand zu begreifen, warum plötzlich dieser "Kleingarten" der bezirklichen Kommune so wichtig war, dafür einen prinzipiellen Streit vom Zaun zu brechen.

Nun, seitens der Bezirksverordneten mag da vor allem das Gefühl gewesen sein, daß dieses Operncafé auf freiem Plan zu DDR-Zeiten gegenüber dem staatlich ritualisierten Preußenmythos um die Neue Wache ein Wert an sich gewesen ist. Vermutlich muß man es selbst genossen haben, sich während eines "Großen Wachaufzuges" an einem Mittwochnachmittag beim Yorkschen Marsch genüßlich in der Sonne zu räkeln und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen - im sicheren Gefühl, die Traditionshelden der NVA selbst in gebührendem Abstand zum Geschehen auf der Seite der schlemmenden Zivilisten zu wissen. Die räumlich von dem Geschehen distanzierten York, Gneisenau und Blücher "gehörten" in solchen Momenten eindeutig dem Kaffeehausbesucher und nicht dem Wachregiment Dzierzinski. Schlagsahne gegen Traditionspflege im Stechschritt, Zuckererbsen gegen die Pietät der Demagogen.

Gamaschenhelden und gestreifte Zebras

Einem Heinrich Heine, der im Zweifelsfall immer auf der Seite des guten Essens und der Freiheit statt auf der Seite der Ästheten war, hätte die Konstellation wohl gefallen. Er mißtraute den "preußischen Gamaschenhelden" grundsätzlich: "Dieses Preußen! wie es versteht, seine Leute zu gebrauchen! Es weiß sogar von seinen Revolutionären Vorteil zu ziehen. Zu seinen Staatskomödien bedarf es Komparsen von jeder Farbe. Es weiß sogar trikolor gestreifte Zebras zu benutzen."

Genau diese Neigung, ein Gespenst von Staat mit fremden Federn aufzuschmücken, hat sich im Umgang mit dem Forum Fridericianum Unter den Linden in den letzten Jahren treffend bestätigt. Nun kam mit Käthe Kollwitz« Piet‡ in der Neuen Wache auch noch ein kräftiger Schuß aus Pazifismus, Sozialismus und weiblicher Trauerarbeit ins historische Tableau. Beabsichtigt sind nach Aussage Christoph Stölzls weitere Rearrangements unter Einbeziehung einer Doublette des größten aller Preußenhasser Heine sowie weiterer Komparsen aus der omnitoleranten Berliner Mischepoche: Rahel Varnhagen, Heinrich Zille und - als realistischer Nachbau der Gesellschaft Historisches Berlin - das authentische Eckfenster des Vetters mit einem Foto von Wolf Biermann darin.

Eroica und Pastorale

Jenseits des eher subjektiven Wertgefühles, das dem "gelernten DDR-Bürger" das unscheinbare Rasenparterre vor dem Operncafé als einen ausgesucht säkularen und zivilen Ort erscheinen läßt, gibt es aber noch objektive Gründe, an der Erhaltung des Ortes öffentliches Interesse anzumelden. Sie liegen in der vollkommen verschütteten (Wieder-)Entstehungsgeschichte des heutigen Ensembles aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges. Als 1950 das Gesetz über den Wiederaufbau Berlins verabschiedet wurde, hatte eine kleine Gruppe um den aus der chinesischen Emigration zurückgekehrten Architekten Richard Paulick vergeblich versucht, die Sprengung der Schloßruine zu verhindern. Als Ausgleich gelang es ihnen, das Lindenensemble wegen seines außerordentlichen Kunstwertes als denkmalpflegerisches Wiederaufbaugebiet herauszuhandeln. Noch während der Sprengungen im Stadtschloß hatte Paulick mit einem alles andere als devoten Schreiben an Walter Ulbricht die Zustimmung des Politbüros zum ebenso kostspieligen wie technisch innovativen Aufbau der Staatsoper ertrotzt. Das war der Auftakt zu einem über zwanzig Jahre hinweg schrittweise realisierten Wiederaufbau, der als Ensembleleistung in Deutschland einmalig ist. Eifrig studierte Vorbilder gab es in Leningrad, Warschau und Gdansk. Letzteres genoß in Berlin wegen seiner atmosphärischen Qualität besondere Anerkennung.

Zentraler Gedanke der Paulickschen Planfigur war die tempelartige Freistellung der Oper in einem Forum, wie von Knobelsdorff ursprünglich geplant. Er erläuterte die Planung zweier miteinander korrespondierender Plätze zu beiden Seiten der Oper: "Das Operncafé an der Straße Unter den Linden ist Teil des historischen Berliner Forums. Mit dem Wiederaufbau der Staatsoper hatte ich zugleich eine städtebauliche Konzeption ausgearbeitet, die auf eine Neuordnung und Bereinigung des Berliner Forums hinzielte... Die Staatsoper sollte frei im Raume stehen. Deshalb wurde der Opernbau, um ihn allseitig zur Wirkung zu bringen, zwischen Bebelplatz und Opernplatz freigestellt, da beide einen sehr unterschiedlichen Charakter tragen sollten... Der Opernplatz mußte als Teil eines Grünzuges vom Kastanienwäldchen bis zum Spittelmarkt als intimer, begrünter Platz geplant werden. Das historische Forum Berlins hat durch diesen Platz eine glückliche Vervollständigung und Vollendung gefunden. Und wenn der Bebelplatz eine Eroica ist, dann klingt der Opernplatz wie eine Pastorale."

Sehr viel Ehre für einen Herrn Paulick ?

Während die Geschichte des Knobelsdorffschen und Schinkelschen Friedrichsforums hinreichend untersucht ist, fehlt es bislang sowohl an historischem wie öffentlichem Interesse an der Geschichte ihrer Rückgewinnung in der Ära Paulick. Während zum Beispiel die Altstadt von Warschau als städtebauliche Leistung der fünfziger Jahre unter den Schutz der UNESCO gestellt wurde, verzichtet Berlin vollkommen darauf, sich des denkwürdigsten wie kostspieligsten Kapitels des eigenen Wiederaufbaus erinnernd zu vergewissern. Im Gegenteil, die jetzt vorgesehenen Maßnahmen zur "geschichtsbewußten Herrichtung" laufen genaugenommen auf die Beseitigung des kleinen Unterschiedes hinaus, der mit dem neuen Platz, der "Pastorale", in der sichtbaren Neuinterpretation und gleichzeitig emanzipatorischen Unterwanderung des preußischen Staatsforums bestand.

Wer aber ist jener Herr Paulick, den der Hamburger "Spiegel" 1953 in einem anerkennenden Bericht über "Die deutschen Wühler" in Ostberlin den "roten Schlüter" nannte? Was macht diese Wiederaufbaugeschichte so wichtig, daß man sie gleichbedeutend zu Knobelsdorff und Schinkel stellen und seine "Pastorale" schützen sollte?

Mit seinem gesamten Werk und besonders dem Wiederaufbau Unter den Linden gehört Paulick zu Remigranten, Antifaschisten und linken Intellektuellen wie Brecht, Bloch, Zweig und Seghers, die sich mit ganz besonders eindringlichen Texten in die deutsche Kulturgeschichte eingetragen haben. Unter anderem haben sie die Bürgergeneräle der Befreiungskriege durch räumliche Distanz oder Abwesenheit zum Mahnmal für die Opfer von Militarismus und Faschismus davor bewahrt, in unmittelbare Verantwortung für deutschen Völkermord genommen zu werden. Sie durften "mitten im Volke" ehrbare Männer bleiben. Demnächst aber werden sie, wenn es nach dem Kunsthistoriker Buddensieg geht, wieder zur "Wacht" für die Berliner Republik gerufen. Und die als "Kleingartenanlage" denunzierte "Pastorale", jenes andere, weibliche Gegenprinzip zum erhabenen Preußen, sinkt im Namen der Geschichte ins Vergessen


Simone Hain

Die Autorin ist Kunsthistorikerin und stellvertretende Vorsitzende des Landesdenkmalrates.


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