Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Kapitulation vor Mietsteigerungen und Baustreß

Verdrängung trotz Milieuschutz am Falkplatz

In Kürze soll es in Prenzlauer Berg und Friedrichshain zwei neue Milieuschutzgebiete geben: Arnimplatz und Boxhagener Platz. Die Bezirke haben sich damit gegen den Stadtentwicklungssenator Peter Strieder durchgesetzt. Strieder mag den Milieuschutz nicht so recht, weil er Investitionen verhindere und keine Aufwertung bewirke und ist statt dessen beständig dabei, sein Lieblingsinstrument Quartiersmanagement zu pushen. Die Aufgabe des Quartiersmanagements ist allerdings eine andere: Die angestammte Wohnbevölkerung soll vor einer Verdrängung durch Modernisierung und steigende Mieten geschützt werden. Ähnlich wie in einem Sanierungsgebiet werden dazu Mietobergrenzen festgesetzt. Soweit die Theorie.

Wie die Praxis aussieht, kann man sich in den Gebieten ansehen, in denen schon länger eine Milieuschutzverordnung gilt. Nach gut einem Jahr Milieuschutz im Gebiet Falkplatz (Prenzlauer Berg) zog die dortige Betroffenenvertretung eine ernüchternde Bilanz: Mit den gegenwärtigen Regularien sei die Vertreibung der Wohnbevölkerung nicht zu stoppen, so deren Sprecher Michail Nelken. Bei Modernisierungen werden durchschnittlich die Hälfte der Bewohner eines Hauses verdrängt, in einzelnen Häusern bis zu zwei Dritteln.

In dem Gebiet zwischen S-Bahn-Ring und Jahn-Sportpark ist die Lage, verglichen mit anderen Milieuschutzgebieten, besonders dramatisch. Etwa die Hälfte der Häuser, die modernisiert werden sollen, werden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Dabei werden den Käufern Mieteinnahmen von mindestens 11 DM/qm (netto kalt) garantiert, ansonsten bestünde keine Chance, die Wohnungen loszuwerden. Dieser Wert liegt weit über der Mietobergrenze, die zur Zeit nur ein Jahr nach Abschluß der Modernisierungsarbeiten gilt. Das heißt, daß die Zwischenerwerber und Umwandler versuchen, die Mietobergrenzen zu umgehen. Am einfachsten ist das, wenn die Mieter mit ihren alten Mietverträgen das Haus räumen. So wird alles versucht, Mieter zum Auszug zu bewegen. Nicht selten werden Auszugsprämien (oder "Umzugsbeihilfen") bis zu 25 000 DM gezahlt. Wenn die Mieter sich dazu den Streß bei den angekündigten Bauarbeiten im Haus vorstellen und sich schon ausrechnen können, daß vier bis sechs Jahre später die Miete nochmals um 30 Prozent steigt, dann nehmen sie verständlicherweise oft das Geld und ziehen aus. Allein in der Gleimstraße gibt es derzeit vier Häuser, die auf diese Weise vollkommen leergezogen wurden.

Hilft das alles nicht, wenden Umwandler auch schon mal rabiatere Mittel an, wie etwa gegen eine Mieterin in der Gleimstraße 44, deren Wohnungstür von Bauarbeitern mit der Brechstange aufgebrochen wurde (scheinschlag9/98).

Die Betroffenenvertretung Falkplatz fordert deshalb vor allem eine längerfristige Bindung der Mietobergrenzen. "Wenn nicht Klarheit über die längerfristige Mietentwicklung herrscht, machen die Mieter den Ärger nicht mit und kapitulieren", meint Michail Nelken. Außerdem soll der Modernisierungsstandard herabgesetzt werden: Aufzüge oder teure Einbauküchen sollten nicht mehr genehmigt werden. Nicht zuletzt fordern die Betroffenen, die Einhaltung der Mietobergrenzen schärfer zu kontrollieren. Die dafür zuständige Milieuschutzstelle des Bezirksamts Prenzlauer Berg ist dazu zwar guten Willens, jedoch personell unterbesetzt. Und über die Zwangsgelder, die Vermietern bei Nichteinhaltung der Mietobergrenzen angedroht werden, können diese wahrscheinlich nur lachen.


Jens Sethmann


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