Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Schieche Welt

Lugmeier fährt durch die Kleinstadt

Dialekt, demonstrativ und öffentlich gesprochen, ist obszön. Der Schwabe, der dem just enttarnten Landsmann auf offener Straße zuruft: "Ha, wo kommsch au du her", könnte genausogut sein Glied zum Gruß darbieten. Nein, hier geht´s nicht schon wieder ums beliebte Schwaben-Bashing - das gleiche gilt ja ebenso für Sachsen, Rheinländer und andere phonetisch schwer geprüfte Stämme, vorneweg die Pfälzer, die sich alljährlich ab Aschermittwoch dünne machen, damit ihnen bis zum nächsten Karneval der Rest der Welt die Mainzer Reimverbrechen und Mentalmassaker verzeihen möge.

Merkwürdig resistent gegen solche Versuche, ihrem Idiom den Garaus zu machen, scheinen einzig die Bayern. Wie dieser Volkshaufen seinen Dialekt am Leben und sogar außerhalb von Deutsch-Südost sprech- und singbar hält, indem er - nur zum Beispiel - mit drei Hanseln namens Biermös´l-Blos´n dreißig Stunden Fernsehvolksmusik und mit einem Gerhard Polt einhundert mindere Kollegen wie nix vergessen macht, das ist schon recht erstaunlich. Beneidenswert der Stamm, der ohne Scheu und Peinlichkeit singen und witzeln kann, wie ihm Schnabel und Grammatik gewachsen sind.

Und dichten! Ludwig Lugmeier traut sich tatsächlich an die so oft und oft zurecht geschmähte Mundart-Lyrik - und rehabilitiert sie mit links. "i" heißt das winzige Bändchen, das als Ackerpressendruck No. 1 erschienen ist. Eine Gegenüberstellung in zwölf Teilgedichten: ein Blick aus dem Autofenster, vorbei an zwölf Gesichtern, vorbei am Nachkriegs-Personal, das das "i" erst zum "i" geformt hat, "und da brotausfahra/mit seim opel blitz", vorbei wohl auch an der eigenen Kleinstadt-Vergangenheit: "und da ministrant/in seim rotn röckerl/dea so gern/a henka war". Vorbei an den Bösen, den Guten, den Eitlen, den Fremden, vorbei am brutalen Aberglauben und der kalten Gier. Und im dreizehnten Gedicht vorbei an der Institution, die diese ganze schieche Welt im Innersten... nee, diese hübsche Pointe darf man nicht verpetzen.

"i" ist in fetten, serifenlosen Bleilettern gedruckt und mit einem Fädchen in englische Broschur genäht. Der Druck ist auf 333 numerierte und signierte Exemplare limitiert. Ein echtes Schwarzweißfoto vom Autor, lachend übers Weinglas gebeugt, ist als Frontispiz auch mit dabei.

Wer kein Bairisch kann, möge sich jemanden suchen, der es kann und der ihm laut aus diesem schönen Büchlein vorliest.


Bov Bjerg

Ludwig Lugmeier: i. Ackerpresse, Berlin 1998. DM 15. Erhältlich im Antiquariat Wiederhold & Mink, Ackerstr. 18.


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  Ausgabe 03 - 1999