Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Mitte verliert seine Kinder

Erneute Debatte um die Schließung von Schulstandorten

"Was hat die Stadträtin für Jugend, Familie und Kultur am 28.9.98 veranlaßt, die Aufhebung der 4. Grundschule bei der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport zu beantragen, obwohl der BVV-Beschluß vom 16.4.98 vorsah, die 4. Grundschule - nach einer zweijährigen Übergangsphase - am Standort Gipsstraße weiterzuführen?" so fragte das Bündnis Mitte auf der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Februar. Vorgeworfen wurde der Stadträtin Eva Mendl auch, mit dem Aufhebungsantrag nicht gewartet zu haben - wie im letzten April beschlossen -, bis die neuesten Aussagen zur Entwicklung der Schülerzahlen auf dem Tisch lagen.

200 Anmeldungen weniger als im Vorjahr

Wie berichtet, war Anfang letzten Jahres ursprünglich die Schließung der 4. Grundschule am Koppenplatz beabsichtigt - wegen zu geringer Schülerzahlen. Das Landesschulamt hatte angesichts der Zahlen den Bezirk Mitte aufgefordert, die Schließung von Grundschulstandorten zu prüfen. Draufhin hagelte es Proteste von allen Seiten - von den Elternvertretungen bis hin zur Steuerungsrunde des Sanierungsgebietes. Die 4. Grundschule ist die einzige Integrationsschule in Mitte, wo behinderte und lernschwache Kinder zusammen mit anderen Schülern unterrichtet und gezielt gefördert werden. Außerdem, so die Elternvertreter, gebe es im Schulhort eine offene Ganztagsbetreuung mit drei Sonderpädagogen - dies sei nicht nur in Mitte einmalig. Verwiesen wurde auch auf den bisherigen Bevölkerungszuwachs in der Spandauer Vorstadt, mit fortschreitender Sanierung sind weiterhin steigende Bewohnerzahlen zu erwarten - und mehr Kinder, da die Bevölkerung relativ jung ist. Mit der Schließung der Schule jedoch, so wurde argumentiert, würde das Quartier für die betroffenen Eltern unattraktiver, der Wegzug von Familien würde damit erst recht noch befördert.

Schließlich wurde ein Kompromiß gefunden und durch die BVV beschlossen. In der 1. Grundschule "Am Mauerpark" im Sanierungsgebiet Rosenthaler Vorstadt und in der 4. Grundschule am Koppenplatz in der Spandauer Vorstadt sollten bis zum Jahr 2000 weiterhin erste Klassen eingeschult werden, statt - wie ursprünglich geplant - keine Einschulungen mehr vorzunehmen. Die sogenannte Filiallösung sah vor, die 4. und die 6. Grundschule in der Gipsstraße als einen Standort zu betrachten. 1998 und 1999 sollten in der 4. Grundschule zwei erste Integrationsklassen und in der 6. Grundschule eine erste Klasse eingeschult werden. Im Jahr 2000 werden drei erste Klassen am dann gemeinsamen Standort der 4./6. Grundschule in der nahegelegenen Gipsstraße eingeschult, gleichzeitig wechseln alle anderen Klassen vom Standort Koppenplatz in die Gipsstraße.

Nun wird es doch keine Einschulung mehr an der 4. Grundschule geben. Gegen die jetzigen Vorwürfe von Bündnis Mitte verteidigte sich Stadträtin Eva Mendl (PDS). Der Kompromiß sei schon damals ein fauler gewesen - heute aber endgültig überholt. Der Grund dafür liege in der weiter rückläufigen Entwicklung der Schülerzahlen. Nur noch 343 Kinder seien in Mitte für die ersten Klassen angemeldet worden - 200 weniger als im Vorjahr. Eine Filiallösung wie beschlossen sei deshalb in diesem Jahr nicht möglich - es wurden nur 44 Kinder für die 4. und die 6. Grundschule angemeldet. Das reiche nicht wie geplant für drei erste Klassen, denn der Klassenschlüssel liegt bei 26 Schülern. So wird es nur zwei erste Klassen geben - in der Schule in der Gipsstraße. Denn zwei erste Klassen dort seien die Voraussetzung, um am neuen Standort den Integrationsansatz weiterzuführen. Das sei nur möglich "mit einer klaren und rechtssicheren Entscheidung" zum Standort am Koppenplatz. Damit jedoch sei das Weiterführen des Integrationskonzeptes in der 6. Grundschule gesichert, versicherte Mendl. Im übrigen bedeute eine Aufhebung "nicht das Zuschließen der Schule". Bis 2000 soll wie geplant die Schule am Koppenplatz weitergeführt und dann in die 6. Grundschule integriert werden.

"Hundert Kinder wohnten im Dezember nicht mehr dort, wo sie noch im Oktober wohnten"

Verwirrt durch unterschiedliche Zahlenangaben zu den Schulanfängern, fragte der CDU-Verordnete Mario Gallon nach, was denn nun stimme. Beide Aussagen stimmten, sagte Mendl. Doch die Zahl der laut Landesamt Einzuschulenden stimmen eben nicht zwangsläufig mit den tatsächlichen Anmeldungen überein. Rechnete man im September 98 noch mit 538 Schulanfängern, so waren es per 3.12. nur noch 421. "Das heißt, hundert Kinder wohnten im Dezember nicht mehr dort, wo sie noch im Oktober wohnten", sagte Eva Mendl. Aber auch in anderen Klassenstufen ist der dramatische Rückgang von Schülern spürbar: Im Einschulungsjahrgang 91/92 sind von ursprünglich 5500 Schülern noch 4100 geblieben. Die Ursache dafür dürfte vor allem im Wegzug von Familien liegen.
Mario Gallon ließ sich nicht beirren, beantragte die Diskussion für die Fragestunde und fragte tapfer weiter nach: Was Mendl als Schul- und Jugendstadträtin denn unternommen habe, um den Wegzug zu stoppen? Damit sorgte er für deutliche Heiterkeit.

Ungeachtet dessen, daß eine Bezirksstadträtin wohl kaum für etwas haftbar zu machen ist, was bisher der Senat der großen Koalition schon versäumt hat, machte sich Mendl trotzdem die Mühe einer ernsthaften Antwort: Unter anderem verwies sie auf etliche Wegzugsgründe, die durch ihr Ressort nicht zu lösen sind, Verkehrsprobleme beispielsweise oder das Defizit an Grün- und Freiflächen. Im übrigen sei der Wegzug kein berlinspezifisches Problem.

Nichtsdestotrotz bleiben die Argumente, die gegen eine Schließung der 4. Grundschule sprachen. Ein gewichtiges davon ist, daß die Spandauer Vorstadt - im Gegensatz zu Gesamtmitte - in den letzten Jahren einen Bevölkerungszuwachs verzeichnen konnte, dieser Trend wird mit fortschreitender Sanierung weiter anhalten. Es sei daher notwendig, wurde im letzten Jahr argumentiert, die Immobilie - die dem Bezirk gehört - wenigstens weiter vorzuhalten, auch wenn er zeitweise nicht als Schule genutzt wird. Auf keinen Fall solle er aufgegeben und die Immobilie veräußert werden.

An einem Konzept zur Zwischennutzung wird derzeit noch gearbeitet. Eine Überlegung lautet, das Theaterprobenhaus, eine Einrichtung des Kulturamtes Mitte, in das große Gebäude am Koppenplatz umzusetzen. Das Probenhaus befindet sich derzeit ebenfalls am Koppenplatz in einem Gebäude der BEWAG, dessen räumliche Bedingungen allerdings zu wünschen übrig lassen. Eine andere Überlegung war, Teile der Musikschule Mitte in das Schulgebäude umziehen zu lassen. Die Musikschule mußte 1996 aus der Spandauer Vorstadt ausziehen, weil ihr früheres Gebäude in der Gipsstraße an einen Rechtsanwalt verkauft worden war.


Ulrike Steglich


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