Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Postmoderne in der BRDDR

Anmerkungen zur 17. Musik-Biennale im Podewil

Frank Schneider:

Es sind ja keine Chinesen, die da komponiert haben.

Ulrich Dibelius:

Nein, nein. Nur es sind deutsche Menschen, die unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen aufgewachsen sind und zum Komponieren motiviert worden sind.

Die Musik-Biennale zählt zu den nicht eben zahlreichen kulturellen Einrichtungen der DDR, denen ein Weiterleben nach dem Ende dieses Staates beschieden war - beladen freilich mit der Hypothek, die deutsch-deutsche Musikgeschichte erst einmal ordentlich aufarbeiten zu müssen. Dies ist nun abgeleistet, mit der diesjährigen Biennale und dem 4. Band der von Ulrich Dibelius (West) und Frank Schneider (Ost) herausgegebenen Dokumentation "Neue Musik im geteilten Deutschland".

"Neue Musik" zwischen Ost und West

Aber es ist relativ sinnlos, heute noch Musikgeschichte im nationalen Rahmen schreiben zu wollen. Das leuchtet ein, wenn man das Musikleben betrachtet, welches sich in den Nachkriegsjahrzehnten auf dem Staatsgebiet der BRD abspielte, während es in der DDR hingegen provinzieller zugegangen sein mag. Die "Darmstädter Schule", die in den 50er Jahren die radikale, neue Musik verkörperte, war ein internationaler Haufen, und die 80er Jahre, denen die retrospektive Aufmerksamkeit der Biennale 1999 galt, waren gerade in der Bundesrepublik maßgeblich geprägt von Morton Feldman aus New York und Luigi Nono aus Venedig. Nono, der in seinen letzten Lebensjahren vorwiegend in Freiburg und Berlin arbeitete, unterhielt zudem immer gute Beziehungen zur DDR und trat auch in den 80ern wiederholt in Ost-Berlin auf, Feldman wurde dort immerhin aufgeführt.

Insgesamt sind die letzten Jahre vor der "Wende", gekennzeichnet von einer fortschreitenden Angleichung des "Neue-Musik-Lebens" beider Staaten. "Um in der DDR ein erfolgreicher Komponist zu sein", so Lutz Lesle anläßlich der Ost-Berliner Biennale 1989, "muß man in der Bundesrepublik, in Westeuropa Programmplätze und Sendeminuten erobern, sollte sich aber wohl hüten, ins gelobte Land überzusiedeln." Sowieso war die Musik unverdächtiger als andere Künste, sie konnte im Gegensatz zur Literatur mit dem vollständigen Analphabetismus der Behörden rechnen. So komponierte Friedrich Goldmann laut Ulrich Dibelius den Zerfall der DDR voraus, ohne daß jemand davon Notiz genommen hätte. Aber auch in der DDR, und das ist die Kehrseite dieser relativen Freiheit, war das Neue-Musik-Wesen ein relativ kleiner, selbstgenügsamer Bereich, ohne nennenswerte Resonanz.

DDR-Zerfall vorauskomponiert

Das Interessanteste im von Dibelius/Schneider herausgegebenen Dokumentationsband sind Stellungnahmen von Komponisten. Man fragt sich allerdings, ob dieses Buch wirklich so hätte vollgepackt werden müssen - mit belanglosen Zeitschriftenartikeln, denen man über die bloße Faktizität irgendwo stattgefundener Aufführungen hinaus wenig entnehmen kann. Auch die Anmerkungen der Herausgeber bringen keine großen Aufschlüsse: Man näherte sich eben aneinander an, so das Resümee, wohl im selben pragmatischen Geist, der auch in der deutsch-deutschen Politik jener Zeit waltete, begünstigt von der im Hintergrund spukenden Ideologie der "Postmoderne", die viele ihre ästhetischen Standards über Bord werfen ließ.

Einer der wenigen, die diesem Zeit(un)geist nicht folgten, war Helmut Lachenmann, Nono-Schüler und der wohl wichtigste deutsche Komponist. 1990 charakterisierte er die zur Debatte stehende Dekade treffend so: "Spätestens im Lauf der letzten fünfzehn Jahre schlug die heimliche Regression in eine offene um, die sich wieder zum alten Affektenrepertoire beziehungsweise zu jener Art von `Wohlklang« bekannte, die im Arrangement des Tonal-konsonant-Gewohnten bestand, und dessen neoarchaische Zurichtung sich als wahre menschenfreundliche beziehungsweise menschenwürdige Alternative zur `hochmütigen« Avantgarde von Gestern der Öffentlichkeit augenzwinkernd anbot und anbiederte." Dieses Klima erleichterte natürlich auch die Akzeptanz von musikalischen DDR-Produkten, die oft etwas vorsichtiger und kompromißlerischer sein mußten, als man es im Westen immerhin auch in den 80ern hätte sein können, wenn man gewollt hätte.

Neuvorstellungen enttäuschend

Das Eröffnungskonzert der Musik-Biennale im Podewil wurde vom Berliner Philharmonischen Orchester bestritten, das sich damit erstmals an der Biennale beteiligte. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf unseren Musikbetrieb, daß es heute geradezu als Sensation gilt, wenn sich ein Orchester dieses Renommees dazu hergibt, ein Programm mit ausschließlich zeitgenössischen Werken zu absolvieren. Ein gelungener Auftakt war der Abend mit zwei Uraufführungen jedenfalls nicht. Das Klarinettenkonzert ˆ travers von Hanspeter Kyburz, 1960 geboren und Professor an der Hanns-Eisler-Hochschule, darf in mancherlei Hinsicht als prototypisch gelten für die Musik der jüngeren Generation: Mit einer glitzernden Oberfläche, effektsicher, konventionell im Aufbau, und die Strukturen sind computergeneriert, damit alles seine Ordnung hat. Luigi Nono hatte es 1980 mit seinem Streichquartett Fragmente - Stille, An Diotima (bei der Biennale vom Arditti Quartet dargeboten) riskiert, sich aller Absicherungen und ordnender Schemata zu entledigen. Die meisten der Jungen sind so wild wie die in der CDU.

Eine Ausnahme ist Mathias Pintscher (geb. 1971), der wieder mit dem neuen Orchesterwerk Dunkles Feld - Berückung überzeugte. Von Wolfgang Rihm, der schon die Hamlet-Maschine komponiert hatte, wurden Drei späte Gedichte von Heiner Müller uraufgeführt. Den lakonischen Texten antwortet Rihm mit einem Müller-Cliché: Wagnerisch ist der Orchesterklang eingedunkelt.

Auf dieser 17. Biennale waren zahlreiche Spitzenwerke der 80er Jahre (Lachenmann, Feldman, Nono, Spahlinger, Riehm, Schenker) zu hören. Die neuen Stücke waren großteils enttäuschend. Ob das ein Zeichen der Zeit ist oder auf die Veranstalter zurückfallen muß, sei dahingestellt.


Florian Neuner

Ulrich Dibelius und Frank Schneider (Hg.): Neue Musik im geteilten Deutschland, Band 4: Dokumente aus den achtziger Jahren, Berliner Festspiele/Henschel-Verlag 1999.

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