Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Theater zu den Leuten bringen

Das Theater 89 missioniert die Peripherie und die Dörfer

Das Theater 89 ist eines der glücklichen, die in den Genuß der Konzeptförderung des Senats gekommen sind. Das hat sie wahrscheinlich vor allem durch die Qualität der Aufführungen und die ungewöhnliche Auswahl der Stücke erreicht. Und noch etwas Besonderes: Das Theater 89 "expandiert". Es hat sich eine neue Spielstätte in Marzahn und eine in Niedergörsdorf, das ist bei Jüterbog, an Land gezogen. Oder aufgehalst, je nachdem, wie man es betrachtet.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen bietet die Stammspielstätte in der Torstraße nicht ausreichend Möglichkeiten für bühnenbildnerisch anspruchsvolle Aufführungen. Zu oft kamen sich Technik und Schauspiel bei den Proben in die Quere. Zum anderen wollte man heraus aus dem Theaterballungsraum Mitte mit seiner ständigen Rivalität an die Peripherie. Der Ort in Marzahn wurde durch Zufall gefunden. Thomas Heise, Regisseur am Berliner Ensemble; wollte dort das Heiner Müller Stück "Titus Andronicus -Fall of Rome" mit Kindern aufführen. Zum Stück kam es nicht, der Raum für Theaterinszenierungen war gefunden - ein altes, von den Knorr-Bremsenwerken in Marzahn ehemals für kulturelle Veranstaltungen genutztes Gebäude. Das steht seit der Abwicklung des Betriebes vor sechs Jahren leer. Eine Grundsanierung mußte vorgenommen werden, um überhaupt spielen zu können, alles auf Kosten des Theater 89. Der Bezirk Marzahn kann oder will dafür kein Geld ausgeben. Der Betrieb stellt den Raum allerdings kostenlos zur Verfügung als eine Art Kultursponsoring. Diese neue Spielstätte dort draußen einzuführen ist schwierig, dessen sind sich die Macher bewußt. Zumal man mit der natürliche Trägheit und Immoblität der Leute rechnen muß. "Man muß wohl eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, um die Leute dort hinzubekommen", sagt Klaus Memmert, der Geschäftsführer des Theater89, " Ich denke, daß die Menschen in Marzahn genauso das Anrecht haben mit Theater bzw. Kultur versorgt zu werden wie die in Mitte. Das scheint dort aber nicht so ausgeprägt zu sein. Sicherlich, die finanzielle Situation in den Bezirksverwaltungen ist schwierig. Nichtsdestotrotz haben wir gesagt, wir machen das. Wir verteilen beispielsweise bei den Berliner Premieren Handzettel. Das heißt, die Kinder, die dort spielen werden, verteilen diese bei den Berliner Vorstellungen und weisen auf die Spielstätte hin. Sonst durch Annoncen, aber die Mittel sind begrenzt." Zudem ist noch nicht sicher, ob es nach Auslaufen des Vertrages Ende Juni dort weitergehen kann.

Im vergangenen Jahr war das Theater 89 im Land Brandenburg mit einer Dramatisierung des "Simplicissimus" auf Tournee. Das Theater sollte zu den Leuten gebracht werden und sie an diese Kunstform heranführen. Gespielt wurde in den verschiedensten "Marktflecken", der bühnentechnische Aufwand so gering wie möglich gehalten. Die Truppe war so erfolgreich, daß das Brandenburger Kulturministerium darauf aufmerksam wurde.

In Brandenburg existiert kein Landestheater, das verschiedene Orte bespielt. Obwohl das Bedürfnis bei den Menschen da ist, wie die Reaktionen nach den Vorstellungen zeigten. Eine Leistung, die die Brandenburger staatlichen Bühnen mit ihren festen Häusern offensichtlich nicht bringen wollen oder können. Die Unternehmung wurde daraufhin von der Landesregierung, besser der Stiftung Kulturfond, bezuschußt, denn Geld ist damit nicht zu verdienen.

Bei dieser Tounee wurde "Das Haus" in Niedergörsdorf gefunden, ein altes russisches Offizierskasino eines verlassenen Militärstützpunktes. Das Gebäude war ziemlich heruntergekommen. Mit Europageldern begann die Gemeinde eine Sanierung. Das Ganze soll ein Gemeinschaftshaus für die Dorfbevölkerung werden. Das Theater 89 stieg mit ein und will so eine Art kulturelle Grundversorgung für die Leute im Landkreis Teltow/Fläming gewährleisten. Von der Gemeinde gibt es die bestmögliche Unterstützung. So existiert "Das Haus" schon das zweite Jahr.

Das Theater nutzt die Räume ebenfalls als Werkstätte, Lager für die Dekorationen und für Proben. Für ein so kleines Theater mit wenigen Mitarbeitern ist das schwer zu leisten, zumal es eine Verpflichtung gibt, hier in Berlin zu spielen. Es ist ein ständiger Spagat zwischen Berlin und Niedergörsdorf, das eine Autostunde von Berlin entfernt ist. Die Kulissen müssen hin-und hergefahren werden, was wiederum Kosten verursacht. Hans-Joachim Frank, dem Leiter des Theater 89, ist es aber so wichtig in Brandenburg zu spielen, daß das gerne in Kauf genommen wird.


Ingrid Beerbaum

Am 19. März hatte das neue Stück von Oliver Bukowski "Gäste" in Niedergörsdorf Premiere, die Berliner Premiere ist am 30. Mai in Marzahn, Landsberger Allee 399, in der ehemaligen Kantine der Knorr-Bremsenwerke


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