Ausgabe 23 - 1998berliner stadtzeitung
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Semesterticket jetzt auch in Berlin?

Die unendliche Geschichte einer guten Idee

Für passionierte SchwarzfahrerInnen könnten bald schwere Zeiten anbrechen, zumindest wenn sie in einer Berliner oder Brandenburger Hochschule eingeschrieben sind. Es sind nicht BVG-KontrolleurInnen, die dem akademischen Nachwuchs an den Kragen wollen. Vielmehr soll zum Sommersemester 1999 in Berlin und Brandenburg, wie schon in über 60 bundesdeutschen Städten, im öffentlichen Nahverkehr das Semesterticket eingeführt werden. Sämtliche KommilitonInnen zahlen dann mit der Semestergebühr gleichzeitig einen Betrag für das Ticket. Der StudentInnenausweis dient dann gleichzeitig als Fahrkarte. Die Planungsphase reicht bis in die 80er Jahre zurück. In der südhessischen Universitätsstadt Darmstadt wurde das Ticket 1991 als Pilotprojekt eingeführt. Der Sprecher des Bundeskoordinierungsrates studentischer Ökologiearbeit Oliver Stoll erläutert die Hintergründe: "Eine Frage war: Wie motivieren wir die Studierenden, auf das Auto zu verzichten?" Mehr noch als ökologische Aspekte spielen beim Semesterticket Lösungen für die Krise des öffentlichen Nahverkehrs eine Rolle.

Schon seit Jahrzehnten geht die Zahl der Fahrgäste nach unten. Die Verkehrsbetriebe reagieren auf das Defizit mit steigenden Preisen, was wiederum zur Folge hat, daß die Nachfrage noch mehr zurückgeht. Ein Ansatz will die KundInnen durch bestimmte Vergünstigungen gewinnen. Dazu gehört die gezielte Bindung an eine bestimmte Klientel. Ein Beispiel sind die in Berlin vor wenigen Wochen gekündigten Kombitickets für BesucherInnen von Opern und Konzerten. Ein anderes Beispiel ist das Semesterticket. Gerade Studierende sind für den öffentlichen Nahverkehr eine dankbare Zielgruppe, weil sich viele ein eigenes Auto oft nicht leisten können.

Zu teuer und damit unsozial

Die Berliner Verkehrsbetriebe wollten lange Zeit von dieser gezielten Klientelwerbung überhaupt nichts wissen und weigerten sich sogar, das notwendige Zahlenmaterial herauszugeben. Mit ständigen Preiserhöhungen, die letzte erst im März dieses Jahres, ging sie einen anderen Weg. Pressewirksam inszenierte U-Bahn-Razzien und ständige Fahrscheinkontrollen sind die Kehrseite dieses Konzepts.

Erst mit dem Amtsantritt des neuen Geschäftsführers des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg Uwe Stindt änderte sich die ablehnende Haltung. Als Geschäftsführer des Verkehrsbundes Rhein-Main hatte er schon länger Erfahrungen mit dem Semesterticket gesammelt. Schon drei Tage nach seinem Amtsantritt fanden die ersten Gespräche zwischen ihm und den Studierenden statt. Anfangs kam man bei den Verhandlungen schnell voran, meint Oliver Stoll. Doch als es um die Preise ging, war es mit der Einigung schnell vorbei. Nach den Willen der Verkehrsbetriebe sollen die Studierenden aus Berlin/Potsdam 227,50 DM und Studierende im übrigen Brandenburg 152 DM bezahlen. Dieses Angebot bezeichnen die StudentenvertreterInnen von zwanzig Berliner und Brandenburger Hochschulen als unsozial. 190 DM für KommilitonInnen aus Berlin/Potsdam und 95 für die aus dem übrigen Brandenburg ist ihr letztes Angebot.

Zwei Einigungstermine bei Berlins Verkehrssenator Klemann sind in den vergangen Wochen geplatzt. Bei Redaktionsschluß stand noch nicht fest, ob das Semesterticket ab dem nächsten Sommersemester gilt oder ob studentische SchwarzfahrerInnen noch ein Jahr länger eine Chance haben.

Peter Nowak

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