Ausgabe 23 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wo lebt Gott?

In Franken. Früher dachte man immer, Gott lebt in Frankreich, aber das war ein Mißverständnis. Bevor er aus Berlin weggezogen ist, hat er sich von mir noch zwanzig Mark gepumpt, der Sack. Gott lebt also in Franken, genauer gesagt in Mittelfranken. Es war nicht leicht, das rauszubekommen. Eigentlich will er da unten einfach seine Ruhe haben. "Mir doch egal", dachte ich und schrieb ihm eine Postkarte: "Ankomme heute 16.55 Bahnhof Windsbach. Abholung erwünscht." (Ich vertraue noch in die Post und ihre alte Regel "Einlieferungstag + 1".) Am nächsten Tag setzte ich mich in den Zug und fuhr los. Um mal rauszukommen aus der Stadt, um die zwanzig Mark wiederzubekommen, und weil ich Gott doch noch einiges zu sagen hatte, worüber wir in Berlin nie so recht hatten reden können.

"Die Fahrt von Berlin nach Hannover", dachte ich, "dauert jetzt nur noch zwei Stunden. Und wenn der Transrapid gebaut wird, ist man in einer Stunde in Hamburg. Dabei ist doch der Weg das Ziel. Aber wenn der Weg immer mehr verschwindet, hat man denn dann überhaupt noch ´n Ziel?" Ja, solche Sachen dachte ich, den ganzen Weg vom Ostbahnhof bis Windsbach.

Rumms! Krach! Splitter! Wir waren da. Die Bimmelbahn war gegen den Prellbock gefahren. Das kam wohl öfter vor. Hinter dem zerfetzten Prellbock lagen auf einem Riesenhaufen lauter leuchtend rotweiße, nagelneue Prellböcke mit knallschwarzen knuffigen Puffern. Wie ich vom Bahnhofsvorsteher erfuhr, war die Prellbockmanufaktur der letzte Arbeitgeber am Ort. Doch obwohl die Löhne schon halbiert und die Arbeitszeit verdoppelt worden war, waren die einheimischen Manufakte für den freien Handel immer noch viel zu teuer. Billigprellböcke aus Osteuropa überschwemmten den Markt, und so wurde eben hier, auf dem Bahnhof von Windsbach, ein bißchen Protektionismus praktiziert. Wenn die Bimmelbahn abends wieder aus Wicklesgreuth zurückkam, wohin sie am Morgen aufgebrochen war, mußte der tapfere Zugführer mit Karacho gegen den Prellbock brettern. Dadurch hatten zwei Windsbacher Lohn und Brot: der, der tagsüber den neuen Prellbock baute und der, der nachts den kaputten Prellbock durch den neuen ersetzte. "Und wozu dann der Riesenvorratshaufen?" fragte ich den Bahnhofsvorsteher. "Der Prellbockbauer macht zwei Wochen Urlaub und hat ein bißchen vorgearbeitet."

Inzwischen war es halbsechs, und Gott war immer noch nicht da, der alte Schlamper. "Ankomme heute 16.55", deutlicher ging´s doch wirklich nicht. Es wurde sechs, es wurde halb sieben, ich schlurfte vor dem Bahnhof auf und ab und wurde immer saurer. Mensch, Mensch, Mensch. Ich fluchte leise vor mich hin und knallte ihm eine Theodizeefrage nach der andern an den Kopf. "Reg dich ab." Ich hatte ihn nicht bemerkt. Dünn war er geworden. "Wie kannst du das nur alles zulassen?" äffte er mich nach, "wie kannst du das nur alles zulassen? Ihr könntet euch auch mal neue Fragen ausdenken. Setz dich hinten drauf." Ich setzte mich vorsichtig auf den Gepäckträger, und Gott radelte schweigend durch die Hopfenfelder. Nach einer halben Stunde sagte er: "Hier sind wir", und schob das Rad durch ein großes schmiedeeisernes Tor. Meine Fresse, Gott wohnte in einem Schloß! Es war ungefähr doppelt so groß wie Neuschwanstein und dreimal so häßlich. Schön, wenn man so wohlhabende Kumpel hatte. Das Portemonnaie in meiner Gesäßtasche fühlte sich gleich viel dicker an. Es drückte richtig auf den Nerv. Ein sanft pieksender Schmerz zog den Rücken hoch. Gott trug das Fahrrad die Kellertreppen runter, ich folgte ihm. Im Heizungsraum deutete er auf ein paar Decken, die in der Ecke lagen: "Hier kannste pennen." Ich schluckte. "Und du?" - "In der andern Ecke." Gott setzte sich auf die Erde und schwieg. Das Rückenpieksen ließ wieder nach.

Bov Bjerk

Hans Duschke dazu: Ach, du heiliger Hiob! Dit soll ne Adventsgeschichte sein? Und so´n abruptet Ende? Also nee.

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