Ausgabe 22 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1898

Kabel aus Schöneweide (Teil 2)

Mit unserem sachkundigen Führer im Kabelwerk Oberspree sind wir noch immer auf dem Werksgelände unterwegs und nicht weit von der Spree entfernt. "Sie beziehen wohl viel auf dem Wasserwege?" fragen wir ihn. "Die Lage des Werkes am Wasser ist sehr wichtig. Wir beziehen unser Rohmaterial zum großen Teil aus Amerika, wenigstens Kupfer und Blei. Es kommt auf Ozeandampfern bis Hamburg, wird dort umgeladen und gelangt dann auf Flusskähnen durch Elbe, Havel, Spreekanal und Spree hierher. Die Wasserfracht kostet nur ein Drittel der Eisenbahnfracht. Auch unsere Kabel, von denen wir für Millionen nach dem Ausland liefern, gehen auf gleichen Wege nach Hamburg." Der Angestellte bleibt stehen und weist mit der Hand auf ein Gebäude: "Hier sind wir an unserem Lagerhaus für Rohmaterial. Da leigen die vierkantigen, an den Enden zugespitzten Barren von amerikanischem Kupfer, da die grauen Bleimulden." Wir sind weiter neugierig und fragen:"Weshalb wird gerade amerikanisches Kupfer verwendet?" "Weil es rein und noch dazu auf elektrolytischem Wege gereinigt ist", erklärt uns unser Begleiter, "Wir können nämlich nur ganz reines Kupfer gebrauchen. Es wird Ihnen bekannt sein, dass selbst in dem besten Kabel der elektrische Strom für das Hindurchgehen einen gewissen Widerstand findet, zu dessen Überwindung er einen Teil seiner Kraft abgeben muss. Unreines Kupfer vermehrt den Widerstand, und es genügt schon eine geringe Spur von Arsenik im Kupfer, um den Widerstand auf das Doppelte zu erhöhen." "Werden diese Barren hier noch einmal umgeschmolzen?" "Beileibe nicht. Durch das Umschmelzen nimmt das Kupfer Sauerstoff auf und wird weniger gut leitend. Da wir gerade bei unseren Vorräten sind, können Sie sich dieses fensterlose Haus ansehen. Es enthält drei eiserne Bassins von je 25000 Liter Inhalt, die mit Spiritus, Benzin und Heizöl gefüllt sind. Wir brauchen diese Materialien zum Betrieb. Die Flüssigkeiten kommen in Bassinwagen der Eisenbahn an, werden aus den Wagen in das Haus hineingepumpt und können durch Pumpen von dort aus zu beliebiger Zeit an die Arbeitsstelle befördert werden, an der man das Material gerade braucht." "Das vermindert jedenfalls bedeutend die Feuersgefahr." "Und erspart Arbeitskräfte. Aber betreten wir dieses Gebäude vor uns: Es ist das Walzwerk, in dem der Draht, den wir für die Kabel brauchen, aus den Kupferbarren hergestellt wird." Wir kommen in eine weite Halle, die uns durch ihre Sauberkeit angenehm auffällt. In einem eisernen Ofen werden die Kupferbarren hellrotglühend gemacht, dann kommen sie zwischen die Walzen. Der Barren wird zum Stab unter ihrem Druck, zu einem sehr langen und dünnen Stab. Und immer wieder geht er durch neue Walzenpaare, die ihn strecken.

Die Glut des Metalls weicht bläulicher Schwärze, der Draht wird zu einer in Windungen sich krümmenden Schlange, zu einem Wurm, der immer dünner und länger wird. Der Draht, der hier in wenigen Minuten aus dem Kupferbarren entstanden ist, erscheint je nach Walzenkaliber, das er passiert, im Querschnitt rund, viereckig oder elliptisch. Er wird auf Rollen gewickelt und in einen Nebenraum geschafft, wo man ihn wieder von den Rollen nimmt und in Säure taucht, um ihn von der anhaftenden Kruste zu befreien. Dann spült man die Drähte in Wasser ab, und sie erstrahlen wieder in hellem Kupferglanz. Sie gelangen jetzt in die "Feinzieherei".

Hier zwingen die elektrischen Motoren den Draht durch Zieheisen hindurch, die in den letzten Stadien der Drahtverdünnung durchbohrte Diamanten als Ziehöffnungen haben. Wenn der Draht diese Diamantenziehlöcher passiert hat, ist er so dünn wie das feinste Frauenhaar. Diese feinste Nummer des Drahtes wird natürlich nicht für die Fabrikation großer Kabel verwendet. Der Draht in den verschiedenen Stärken kommt nun in große Eisenbehälter, worin er in Sand lagert und von Sand bedeckt ist, und diese topfartigen Behälter gelangen in einen Glühofen. Durch das Walzen und Ziehen ist das Metall des Drahtes nämlich hart, spröde geworden und leitet schlecht. Durch das Glühen wird er wieder weich, elastisch und gut leitend.

Der Draht kommt kommt jetzt zu einer Prüfungsstelle, die ihm das Reifezeugnis für die Verarbeitung auszustellen hat. Er wird sorgfältig erst auf seine Leitungsfähigkeit für den elektrischen Strom, dann auf seine mechanischen Eigenschaften hin geprüft. Besonders achtet man darauf, dass der Draht, der bei der Verseilung eine starke Drehung aushält, nicht etwa Neigung zum Splittern hat. Nachdem wir nun das Material kennen, aus dem das Innere des Kabels besteht und das man "Seele" nennt, können wir uns der Kabelfabrikation selbst zuwenden.

Falko Hennig

Fortsetzung im nächsten scheinschlag

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