Ausgabe 22 - 1998berliner stadtzeitung
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Obersozialarbeiter oder Kiezwirtschaftsminister?

Quartiersmanager gesucht

Für alle potentiellen Quartiersmanager sollte das Berliner Amtsblatt in dieser Woche Pflichtlektüre sein, denn dort findet sich die Ausschreibung für die beiden Pilotgebiete, in denen die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (SenSUT) das Instrument des Quartiersmanagement einführen will. Auf der 73. Sitzung des Stadtforums am 13. November wurden unter der Überschrift "Soziale Stadt" die neuesten Tendenzen der Strategie zur Armutsbekämpfung in benachteiligten Stadtteilen diskutiert.

Dietrich Flicke, der im Hause des Stadtentwicklungssenators federführend bei der Entwicklung des Quartiersmanagements mitwirkte, wies zunächst darauf hin, daß es sich bei Quartiersmanagement um eine Daueraufgabe handelt, die über den bewilligten Zeit- und Kostenrahmen von zwei Millionen DM jährlich für drei Jahre hinausgehen wird. Neben den im sogenannten Häußermann-Gutachten beschriebenen Rahmenbedingungen in den "Problem- und Verdachtsgebieten" stellte der Vertreter von SenSUT neue Ergebnisse des Stadtmonitoring dar: Die aktuellen statistischen Daten zeigen, daß sich die Abwanderungsbewegungen im Ostteil der Stadt beschleunigt haben, vor allem in den Altbauquartieren Prenzlauer Berg und Friedrichhain und in einigen Plattenbausiedlungen in Marzahn, Hellersdorf und Pankow.

Kein Gegensatz zum Milieuschutz

Nach der Beschreibung der Ausgangslage ging Herr Flicke näher auf die konzeptionellen Vorstellungen für die fünf Gebiete ein, in denen SenSUT das Quartiersmanagement etablieren möchte. Dabei handelt es sich um den Wrangelkiez im Bezirk Kreuzberg, den Sparrplatz in Wedding, die Schillerpromenade in Neukölln, den Arnimplatz in Prenzlauer Berg und den Boxhagener Platz in Friedrichshain. Den Ausgangspunkt bei der Einführung von Quartiersmanagement bildet die Auffassung, daß mit diesem Instrument "das Rad nicht neu erfunden wird" und somit auch kein grundsätzlicher Gegensatz zu anderen städtebaulichen Instrumenten wie dem Milieuschutz besteht. Auffällig ist, daß sich die Stadtentwicklungsverwaltung gerade in diesen Gebieten gegen Milieuschutzsatzungen sträubt.

Im Mittelpunkt steht vor allem der effektive Einsatz von Ressourcen. Als Negativbeispiel wurde auf das Kottbusser Tor verwiesen, in dessen Umfeld sich 126 Projekte unterschiedlicher freier Träger tummeln, was sicher nicht zur Überschaubarkeit des Betreuungs- und Beratungsangebots beiträgt.

Quartiersmanagement wird von SenSUT mit den Attributen "quartiersbezogen, prozeßhaft und bewohnerorientiert" charakterisiert, wobei Herr Flicke besonders hervorhob, daß es "keine normative Vorstellung von einem Idealquartier" gibt, an denen sich Quartiersmanager zu orientieren haben.

Stadtteil-Tausendsassa

Die Aufgaben der künftigen Quartiersmanager sind umfangreich und umfassen im wesentlichen vier Bereiche: erstens Stadtteilkoordination zwischen allen Verwaltungsstellen, freien Trägern, Bürgervereinen und Privatleuten, zweitens Bewohneraktivierung und Einbindung kleingewerblicher Potentiale, drittens Initiierung und Betreuung von Projekten im Gebiet und viertens Mitwirkung an der Erfolgskontrolle.

Der Anforderungskatalog für potentielle Quartiersmanager ist anspruchsvoll, denn neben Basisqualifikationen wie betriebswirtschaftlicher Kenntnisse, sozialer Kompetenz, Gebietsbezug und technisch-organisatorischer Fähigkeiten, werden noch weitere Erfahrungen im Projektmanagement und "Social Sponsoring" sowie Kenntnisse aller relevanten Förderinstrumente des Landes, des Bundes und der EU verlangt. Solche Supermänner und -frauen, die all diese Anforderungen erfüllen, dürften wohl kaum zu finden sein, darüber ist man sich klar. Ob nun der Quartiersmanager ein Kiez-Übervater, ein Stadtteilwirtschaftsminister, ein Fördergelderverteiler oder ein Obersozialarbeiter sein wird, muß erst die Praxis zeigen.

Entsprechend der jährlich zur Verfügung stehenden Finanzmittel in Höhe von 300000 DM werden in jedem Gebiet zwei bis drei Personen mit Quartiersmanagementaufgaben beschäftigt sein. Eine besondere Schwerpunktsetzung in der Bewohneraktivierung stellt die nicht-deutsche Bevölkerung dar. Aus diesem Grunde soll im Wrangelkiez, wo die Nicht-Deutschen die Mehrheit stellen, ein Nicht-Deutscher mit dem Management beauftragt werden.

Demokratische Knochenarbeit

Der Stadtsoziologe Klaus Schmals zog eine Verbindung zum Handlungsprogramm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" des Landes Nordrhein-Westfalen, das als Antwort auf die Globalisierung "lokale Partnerschaften" aufbaut. Wichtige Voraussetzung für lokale Partnerschaften ist eine örtliche Vernetzung, die nicht nur innerhalb benachteiligter Stadtteile stattfinden darf. Statt dessen müssen arme und reiche Stadtteile miteinander vernetzt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, daß das Quartiersmanagement zu einem reinen Armutsprogramm, zu einem Programm der Ausgrenzung verkommt. "Das ist demokratische Knochenarbeit", so Schmals.

Cornelius van Geisten von der Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung (STERN) forderte die Politik auf, das Hauptmotiv für das Quartiersmanagement zu benennen, nämlich die allgemeine Verknappung öffentlicher Mittel für die Stadtentwicklung. Zur Überraschung aller stellte Herr Bielka aus dem Hause der Finanzsenatorin allerdings fest, daß Geld für Quartiersmanagement das geringste Problem sei, denn die 2 Millionen DM pro Jahr nehmen sich vergleichsweise bescheiden aus. Ein Vertreter der Industrie- und Handelskammer warnte sogar vor einer "staatlichen Überfürsorge", die die Selbsthilfe der Bewohner beschneide.

Wie sehr die beiden Senatsverwaltungen für Bauen und Stadtentwicklung aneinander vorbei arbeiten, zeigt sich daran, daß der Bausenator kurzerhand der Wohnungsbaugesellschaft "Stadt und Land" eine Million Mark für Quartiersmanagement in Neukölln zur Verfügung stellte, ohne auf die Konzepte des Stadtentwicklungssenators Rücksicht zu nehmen. Im Alltag der dort bereits arbeitenden Quartiersmanager erwies es sich als nahezu unmöglich, Sozialamt und Arbeitsamt so zu koordinieren, daß die Menschen aus dem Stadtteil auch für ABM in ihrem Kiez eingesetzt werden können. Hans-Georg Rennert vom Kommunalen Forum Wedding, das heute schon eine dem Quartiersmanagement ähnliche Arbeit macht, forderte, die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen nach unten nicht im Zuge der Bezirksreform wieder rückgängig zu machen. Thomas Helfen/Jens Sethmann

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