Ausgabe 22 - 1998berliner stadtzeitung
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Mut und Hoffnung

"Mordeo" im Parkhaus Treptow

Die lilaberockte Frau sagt Sätze wie "Die Kraft ist in Dir" und "Er hat sich jetzt ganz geöffnet", lächelt dabei ein alles verstehendes Lächeln und sitzt, wenn sie schweigt, zuweilen im Lotussitz inmitten ihrer Kerzen.

Figuren wie diese sind im Theater der neunziger Jahre eigentlich nicht mehr vorhanden, wenigstens nicht in der Art, wie sie uns das "Großstadtensemble" mit seiner neuen Produktion "Schrott" vorführt.

Der plot ist zunächst überschaubar und ließe sich sich für nahezu jeden aktuellen Inszenierungsstil verwenden: Der sechzehnjährige Marco verbringt seine Freizeit hauptsächlich in der Scheinidylle eines Schrottplatzes. Sein Vater, ein an seinem Sohn durchaus uninteressierter Architekt mit Workaholic-Symptomen, bittet seine ehemalige Geliebte, eine Naturheilärztin, Marco zu thearapieren. Sie, die Lila Dame, bekommt den Ex zwar nicht wie erhofft zurück, lernt den Jungen aber kennen und schätzen. Der verliebt sich in eine Fotografin, die zufällig auf den Set erscheint, um schrottig schöne Fotos zu schießen.

Das klingt wie Kolportage und könnte, mit dem nötigen overdrive in Szene gesetzt, ein mit Blut und den üblichen, gern als schrill bezeichneten, Effekten angereichertes Spektakel sein. Und so läge es, seitdem die Ästehetik von "shoppen und ficken" die Bühnen dominiert, im Trend.

In Teilen folgt die Inszenierung der Trendyness, die die sogenannte "junge britische Dramatik" derzeit am expressivsten vorgibt: Eine Dramaturgie von Schnitt und Gegenschnitt, Multimediaeffekte, überschaubares Personal.

Den Randexistenzen von der Insel werden hier allerdings Figuren entgegengesetzt, die eher den siebziger Jahren entsprungen scheinen: Sie kommunizieren. Engagiert. Zwei Stunden lang. Und sie werden mit einer erstaunlichen Ernsthaftigkeit auf die Bühne gestellt.

Und hier liegt der große Unterschied zum Radikalrealismus, wie ihn etwa die DT-Baracke pflegt. Dort sind es Stücke, die harsch und schnell ihre Wirklichkeit zeigen, mit bewußt gering kalkulierter Halbwertzeit und ohne Anspruch, irgendwann in einem gewichtigen Lexikon vertreten zu sein. Immer auf der Suche nach einem grellen Effekt, einer Pointe und der Möglichkeit für die Schauspieler, aus der Rolle zu fallen.

Auf der kleinen Bühne im Parkhaus Treptow hingegen gibt es beispielsweise eine Szene, in der sich die Fotografin Mercedes und der Schrottplatzbesitzer Arral, wenn auch mit doppeltem r, - bekannt machen. Später ein unbeholfener Der-erste-Kuß-Versuch auf einem Sofa - ohne daß die Aufführung den mitunter allzu leichten Weg der Ironie beschreitet.

Die eigentliche Geschichte wird als Videofilm in Rückblenden erzählt: Eine Frau schminkt sich, zuppelt ihr samtgrünes Ausgehkleid zurecht, geht aus dem Haus; Marcos Mutter, deren Zerwürfnis mit seinem Vater der Auslöser für seine Flucht war.

Am Ende, auch dies bei Gegenwartsautoren nicht eben üblich, gibt es die vorsichtige Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen den Generationen.

Das alles zusammen ist erstaunlich: Figuren aus dem mainstream bürgerlichen Lebens, die ihre Sehnsucht nach einer intakten Familie mehr oder minder offen artikulieren und am Ende nicht desillusioniert auf der Strecke bleiben, der un-denunzinatorische Gestus, mit dem dies gezeigt wird; mindestens auch Fatih Alas, der der Figur Marco durch sein nuancenreiches Spiel Tiefe verleiht.

Überraschender Mut zur Zurückhaltung, abseits des Theaterlärms.

Hinnerk Dreppenstedt

Parkhaus Treptow, Puschkinallee 5; 20. bis 22. und 27. bis 29. November; 4. bis 6., 11. bis 13. und 19. bis 20. Dezember 1998, jeweils 19.30 Uhr; fon 8179070

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