Ausgabe 10 - 1998berliner stadtzeitung
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Innen!Stadt!Aktion! 1998 gegen Privatisierung, Sicherheitswahn und Ausgrenzung

Die Geschichte der Innen!Stadt!Aktion begann vor eineinhalb Jahren mit "minus96" in Berlin. Dieses überregionale Treffen richtete sich an selbstorganisierte Gruppen und Initiativen, die sich mit dem Thema Stadt beschäftigt hatten. Es ging um eine Auseinandersetzung mit den sich verschärfenden gesellschaftlichen Verhältnissen in den Städten. Ziel war insbesondere die Entwicklung von Widerstand gegen die zunehmend zu beobachtenden Ausgrenzungs- und Vertreibungprozesse bestimmter Gruppen aus öffentlichen innenstädtischen Räumen.

In der BRD, der Schweiz und in Österreich begann die Diskussion um politische Interventionsmöglichkeiten in den Innenstädten. In Berlin vernetzten sich dafür Gruppen aus den verschiedensten Spektren zwischen Politik, Kunst und Wissenschaft. Auf einem Kongreß in Frankfurt am Main im Januar 97 wurde schließlich die überregionale Innen!Stadt!Aktionswoche aus der Taufe gehoben. Sie sollte mindestens als Kampagne, besser noch als Beginn einer Bewegung überregional koordiniert, jedoch lokal organisiert werden.

Es wurde gefordert, den Konsens der sich als normal verstehenden BürgerInnen zu stören, wonach öffentliche Räume nicht mehr für alle, sondern nur für eine "qualifizierte Öffentlichkeit" zugänglich sein sollen. Im weiteren wollte man diejenigen ansprechen, die Razzien, Mißhandlungen, ständige Kontrolle und die einschüchternde Präsenz von Polizei und Sicherheitsdiensten ablehnen. Man wollte verdeutlichen, daß die Zurichtung der Stadt nach profitorientierten Gesichtspunkten, die Ablösung von Sozial- durch Ordnungspolitik und die Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht bedauerliche Einzelaspekte sind, sondern in einem Zusammenhang stehen. Es sollte ein überregionaler und kontinuierlicher Widerstand gegen diese Strategien aufgebaut werden.

Nach der Innen!Stadt!Aktion! 97

Im Juni letzten Jahres schritt man zur Tat. Die Innen!Stadt!Aktion! 97 war geboren. Die unterschiedlichen Aktivitäten, von verschiedenen Gruppen geplant und gemeinsam durchgeführt, reichten von einem verbotenen Picknick auf dem privatisierten Los-Angeles-Platz über "Asseln im Anzug" im Bahnhof Zoo, ein "Surfen mit den Sicherheitsdiensten" in der U-Bahn bis zur Bonzenparade "Eure Armut kotzt uns an" in Friedrichshain. Als Gegenstand zahlreicher Presseberichte konnten die Inhalte der Aktionen stärker in die Öffentlichkeit getragen werden. Zudem hatten die AktivistInnen eine Menge Spaß. Ein Manko war allerdings, daß nicht allzu viele mobilisiert werden konnten. Die Innen!Stadt!Aktion! 97 war durch ihre Kombination aus "klassischen" linken Themen, stadtentwicklungsorientierten Inhalten und unkonventionellen Aktionsformen anscheinend nicht eindeutig der Kategorie "Das geht auch mich etwas an" zuzuordnen. Zudem gab es auch von linker Seite zum Teil scharfe Kritik an der Innen!Stadt!Aktion!: Sie habe nur symbolisch gewirkt und ohnehin sei die Innenstadt im Gegensatz zum eigenen Stadtteil das falsche Objekt politischen Widerstands.

Für die Zukunft wurden wirkungsvollere Aktionen gefordert: weg vom klassischen Protest und symbolischen Störaktionen hin zu neuen Formen der Eingriffsmöglichkeiten. Der Streit Kiez oder Innenstadt wurde nach ausführlichen Diskussionen zugunsten der Innenstadt entschieden: Man geht davon aus, daß die Beschränkung auf einzelne Stadtteile unter den Bedingungen der aktuellen Stadtentwicklung in eine Sackgasse führt. Denn der Versuch, ein neoliberales Stadtmodell mithilfe einer repressiven Ordnungspolitik durchzusetzen, erfolgt vor allem an Knotenpunkten im innerstädtischen Raum: Dies betrifft die Zentren der Dienstleistungsökonomie und die wichtigen Infrastruktureinrichtungen (v.a. Bahnhöfe) ebenso wie Konsumzonen (Kudamm, Friedrichstraße, Alexanderplatz) und bestimmte Wohnviertel, die entweder als aufzuwertende Spekulationsobjekte dienen oder als zu kontrollierende "Slumgebiete" gelten (vor allem Prenzlauer Berg, Mitte und Kreuzberg, Friedrichshain). Die Verteilung der "gefährlichen Orte" in der Stadt spiegelt dies exakt wider. Der Kampf um eine sozial gerechte Stadt kann damit nicht im eigenen Kiez hängenbleiben, sondern muß territorial übergreifen. Der Versuch der Innen!Stadt!Aktion, an innerstädtischen Orten politisch zu intervenieren, galt also weniger der konkreten geographischen Lage, sondern ihrer Funktion als Knotenpunkte der gesellschaftlichen Restrukturierung.

Die Prozesse, die im letzten Jahr zur Innen!Stadt!Aktion geführt haben, haben sich weiter verschärft. In Berlin wird - wie in vielen anderen Städten - im Zuge der wirtschaftlichen Städtekonkurrenz eine auf sozialstaatlichen Prinzipien beruhende Stadtpolitik von einer investorenorientierten Angebotspolitik verdrängt. Gleichzeitig wird die dadurch zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft nicht mehr aus der Perspektive sozialer Gerechtigkeit wahrgenommen sondern als Problem der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewertet: Phänomene wie die zunehmende Armut gelten immer mehr als natürlicher Bestandteil der Gesellschaft. Soziale Gruppen und Praktiken, die aus den üblichen Vorstellung vom "Normalbürger" herausfallen, werden diszipliniert, stigmatisiert und diskriminert. Dies geschieht durch verschiedenste Sicherheitskampagnen, in denen die ausgegrenzten Gruppen zu Feindbildern stilisiert werden, die angeblich die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der NormalbürgerInnen gefährden. "Verschmutzung" des öffentlichen Raumes durch Graffitis und Hundekot gehören dazu. Dabei wird immer weniger zwischen den einzelnen Gruppen, sozialen Praktiken und Ordnungstatbeständen unterschieden: Obdachlose, Flüchtlinge und MigrantInnen, Jugendkulturen und Drogenuser werden in einen Topf geschmissen und als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angesehen. Daraus wird abgeleitet, daß solchen Gruppen die Nutzung öffentlicher städtischer Räume streitig zu machen sei. Insbesondere in Innenstädten werden dabei verschiedene Kontrollstrategien und Ausgrenzungsformen angewandt.

Dienstleistungscenter und Einkaufspassagen werden als exklusive Inseln von einer "feindlichen Außenwelt" abgeschirmt. Durch bauliche Absicherungen, Kameras und private Sicherheitsdienste können unerwünschte Personen ferngehalten werden. Im Inneren findet die Kontrolle der Besucherströme unaufdringlich durch Raumgestaltung und Videoüberwachung statt. Bei Normabweichungen werden Betroffene mit Verweis auf das Hausrecht zur Verhaltenskorrektur aufgefordert bzw. hinausgeworfen. Umkämpfte Territorien bleiben Fußgängerzonen, die Bahnhöfe und die nach ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz) ausgewiesenen sogenannten Gefährlichen Orte, von denen es in Berlin mittlerweile dreißig gibt. An diesen Plätzen arbeitet die Polizei Hand in Hand mit privaten Sicherheitsdiensten bei Razzien gegen DrogenkonsumentInnen, bei rassistisch motivierten Personenkontrollen, beim Aussprechen von Bettelverboten und der Vertreibung von Obdachlosen. All diejenigen, die nach der herrschenden Meinung das konsumfreundliche Ambiente der Einkaufs- und Konsumzonen und der Bahnhöfe stören, sollen aus dem Innenstadtbereich verschwinden. Zuletzt findet eine repressive Absicherung jener Räume statt, in die die Klasse der als nicht "gesellschaftsfähig" erklärten Menschen zurückgedrängt und eingesperrt werden. Dazu gehört die Verbannung von Wagenburgen genauso wie die Verbringung von kriminalisierten Jugendlichen in geschlossene Anstalten und von MigrantInnen in Abschiebeknäste.

"Sicherheitsjahr" 98

Im Hinblick auf den kommenden Bundestagswahlkampf werden parteienübergreifend "Law-and-order"-Diskurse ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Das Bundesinnenministerium läßt verlautbaren, daß durch besondere politische Anstrengungen bei der Kriminalitätsbekämpfung das Jahr 1998 zum sogenannten "Sicherheitsjahr" gemacht werden soll. Im entsprechenden Maßnahmenkatalog setzt Innenminister Kanther unverblümt die Bedrohung innerer Sicherheit durch "importierte" Kriminalität mit dem Zuzug illegalisierter MigrantInnen gleich. Berlins CDU und insbesondere der Innensenator erweisen sich dabei als vorauseilende Erfüllungsgehilfen: Mittels Quotenregelung sollen deutschere Innenstadtbezirke geschaffen werden, und im Städtewettbewerb um maximale Sicherheit orientiert man sich zunehmend an New York, das mit seinem "Null Toleranz"-Konzept zu zweifelhaftem Ruhm gelangt ist. Darüber hinaus erweisen sich ordnungspolitische Konzepte offensichtlich auch für die parlamentarische Linke von SPD über PDS zu den Grünen als attraktiv, die sich in neue Sicherheitskonzepte wie z.B. Kriminalpräventive Räte einbinden lassen.

Dieser Text ist von verschiedenen Beteiligten der Innen!Stadt!Aktion! 98 verfaßt

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