Ausgabe 10 - 1998berliner stadtzeitung
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Shoppen - aber sicher!

Einkaufen wird immer schöner - überdachte Einkaufspassagen und Shopping-Malls haben den Vorteil, daß für den täglichen Bedarf und auch für den gehobenen Anspruch alles unter einem Dach zu finden ist. Die angenehm gestalteten Passagen, in denen Pflanzen das Raumklima verbessern sollen, machen es möglich, auch bei Regenwetter trockenen Fußes alles zu erledigen und auch noch in angenehmer Atmosphäre einen Cappuccino zu schlürfen: das ist die Vision.

Alles wunderbar, wenn die KonsumentInnen sowohl das nötige Kleingeld haben als auch den gesellschaftlichen Normen entsprechen. In den Center-Hausordnungen werden ausführlichste Verhaltensvorschriften festgelegt. Wer dem nicht nachkommt, wird vom Wachschutz vertrieben.

Die wichtigsten in den 90er Jahren entstandenen oder noch entstehenden Passagen und Einkaufscenter im Bereich des Berliner S-Bahn-Rings sind im umseitigen Plan verzeichnet. Das Investitionsvolumen der dargestellten 22 Projekte beträgt nach unseren Schätzungen über 10 Mrd. DM und von 1991 bis 1999 werden hier über 1 Mio. Quadratmeter neue Ladenflächen entstanden sein.

Hauptstandorte der Einkaufszentren sind Verkehrsknotenpunkte, um ein überbezirkliches Kundeneinzugsgebiet zu sichern. Die Folgen für den standortnahen Einzelhandel sind dennoch verheerend: Umsatzeinbußen von über 25% stellen die Existenz der gewachsenen Nahversorgung in Frage.

Grenzen im städtischen Raum

Städtische Öffentlichkeit wird zunehmend durch private Verwertungs- und Kontrollansprüche bestimmt. Die ökonomische Macht der Investoren und deren Verflechtung mit dem politischen Apparat ermöglicht eine Demontage des öffentlichen Raums.

Traditionelle öffentliche Orte wie Straße, Platz und Park werden durch Passagen und Einkaufscenter ersetzt, in denen öffentlicher Raum suggeriert wird, obwohl es sich ausschließlich um private Flächen handelt. Das städtische Leben wird in diesen Konsumbereichen konzentriert und so vom öffentlichen Straßenraum in private Gebäude gezogen.

Die Passagen und Einkaufscenter werden zunehmend zu innerstädtischen Sicherheitsfestungen, die von privatem Wachschutz und Videokameras überwacht werden. Auch die Eingangsbereiche und umliegenden Gehwege werden zunehmend kontrolliert. Als Begründung für die Kontrolle wird das "subjektive Sicherheitsbedürfnis" angeführt. Ein Bedürfnis, welches durch Politik und Medien konstruiert wurde und im wesentlichen zwei Schwerpunkte bildet:

Zum einen wird Gefahr und Kriminalität ethnisiert, d.h. bestimmten "Nationalitäten" zugeschrieben. Zum anderen werden "Verhaltensabweichungen" wie Herumlungern, Trinken, Betteln oder Skateboardfahren als Vorstufe für Kriminalität und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gesehen.

Inszenierung von Öffentlichkeit

Die räumliche Kontrolle sorgt in Passagen und Einkaufscentern dafür, daß ein scheinbar öffentlicher, konfliktfreier und sauberer Raum existiert. Jene Kommerzzonen sollen, meist als "Shop-in-shop"-System, Vielfältigkeit und Abwechslung bieten. Letztendlich handelt es sich aber doch nur um gebaute Hüllen für ewiggleiche Filialen großer Ladenketten, was eine beliebige Reproduzierbarkeit der Einkaufscenter ermöglicht. Um Individualität herzustellen und die Attraktivität zu steigern, gibt es häufig ein "Event-Programm". In Form von Theater- und Musikaufführungen, Werbeveranstaltungen und Lotterien sowie Spielaktionen für Kinder. Dieser kulturelle Rahmen ist ein Teil der Verkaufsstrategie. Die Schaffung von Orten kommerzieller Pseudo-Öffentlichkeit wird zum Instrument der Eingrenzung erwünschter und der Ausgrenzung unerwünschter Stadtbevölkerung. Einkaufszentren stehen für ein gegenwärtiges und zukünftiges Bild von Urbanität, das sich durch Management erzeugen und vermarkten läßt.

Konsumarchitektur

Nicht nur bei Neubauten der Passagen und Einkaufszentren wird sich typischer architektonischer Merkmale bedient, sondern auch bei vormals öffentlichen Räumen wie Bahnhöfen, die privatisiert und nach kommerziellen Gesichtspunkten umstrukturiert werden.

-  Aufgrund maximaler wirtschaftlicher Verwertungsinteressen handelt es sich zumeist um sehr große Bauvorhaben.

-  Durch effekthaschende architektonische Formen und Materialien und einen dominierenden Standort im Stadtraum soll eine erwünschte Signalwirkung erzielt werden.

-  Im Inneren gibt es zumeist keine Möglichkeit wahrzunehmen, was außerhalb des Gebäudes passiert und umgekehrt. Die Gebäude sind introvertiert, weil ein Einfluß vom nicht völlig kontrollierbaren Straßenraum unerwünscht ist.

-  Die Ausleuchtung der Innenräume durch ein auf die Kundenströme orientiertes Lichtleitsystem läßt keine dunklen Winkel mehr entstehen, die zu "unberechtigtem" Aufenthalt einladen könnten.

-  Durch Bepflanzungen, Wasserspiele, Brunnen, und Herausbilden von Straßen und Plätzen wird der Außenraum imitiert.

-  An zentralen Stellen werden häufig Attraktionspunkte geschaffen, die zum Verweilen einladen sollen, z.B. Kunstobjekte wie die Schrottskulptur in den Friedrichstadtpassagen und der Lichtkegel im Kaufhaus Lafayette.

Städtischer Raum: in or out

Die fortschreitende Kommerzialisierung der Innenstadt und die daraus folgende Kontrolle von öffentlichen und privatisierten Bereichen ist eingebettet in ein übergreifendes Konzept zur vermeintlichen Attraktivitätssteigerung der Stadt. Es geht darum, im Wettbewerb um Niederlassungen von Unternehmen oder von sogenannten Stadtbürgern Berlin zu vermarkten. Frei nach dem Motto "Unternehmen Berlin" versucht auch Eberhard Diepgen, mit dieser globalen Entwicklung Schritt zu halten. Das "Schmuddelimage" Berlins soll gegen das einer aufsteigenden Hauptstadt ausgetauscht werden. "Berlin ist nicht mehr nur für sich selbst da, sondern ist Schaufenster und Repräsentant unseres Staates", formulierte es Jörg Schönbohm am 17. Juli 1996 in einer Pressemitteilung. Die Verwaltung befindet sich hier im Schulterschluß mit der Wirtschaft, welche demzufolge ausgiebige Handlungsspielräume zur Durchsetzung ihrer Interessen erhält. Die Folge ist auch die Privatisierung kommunaler Aufgaben auf dem Wohnungsmarkt, in der Energieversorgung und anderen Bereichen städtischer Infrastruktur bzw. sozialer Dienstleistungen.

Einerseits dient das der Entlastung kommunaler Kassen in Zeiten sinkender Steuereinnahmen, andererseits verbirgt sich hinter der Strategie von Privatisierung und Kommerzialisierung der Versuch, all jene aus dem Stadtbild zu verdrängen, die sich nicht in den Kreislauf von Vermarktung und Konsum einreihen können oder wollen.

Shoppen - aber wie?

In der Konsequenz kann es nicht darum gehen, Einkaufscenter zu meiden und diese Räume den Interessen der Betreiber zu überlassen. Statt dessen sind Möglichkeiten zu erproben, städtische Öffentlichkeit und urbane Konflikte auch an diesen Orten sichtbar zu machen.

Gruppe Plan B im Mai 1998

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