Ausgabe 08 - 1998berliner stadtzeitung
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Der letzte Schliff

70 Jahre war die Instrumentenschleiferei Knollmeyer in der Charitéstraße

Seit siebzig Jahren ist die Instrumentenschleiferei Knollmeyer in der Charitéstraße beheimatet. Nur wenige Schritte von der Charité entfernt kommt täglich chirurgisches Werkzeug aus dem Krankenhaus zum Schärfen in Willy Knollmeyers Werkstatt.

Als ältestes Fachgebiet der Medizin hat die Chirurgie schon immer mit Knochenzange, Messer, Skalpell und Knochensäge ihre Eingriffe vorgenommen. Zum Glück entwickelte sich mit der medizinischen Kunst auch ein immer spezielleres Instrumentarium. Nun fast hundert Jahre zuständig für«s "Messerwetzen" ist das Familienunternehmen Knollmeyer.

1907 gründete Max Knollmeyer in der Linienstraße eine mechanische Werkstatt für ärztliche Instrumente. Einige Jahre später brachte der Umzug in die Charitéstraße das Geschäft noch näher an die OP-Tische. Nun entwickelte sich ein florierendes Unternehmen. Sohn Wilhelm Knollmeyer übernahm 1919 das Geschäft, schliff und schärfte das gesamte Sortiment der damals benutzten Chirurgieinstrumente. So wurde die Werkstatt jahrzehntelang gebraucht und überdauerte sogar die Wende.

Noch heute sitzt ein Familiensproß der Knollmeyers im Hinterhaus der Charitestraße 4 und schleift. Willy Knollmeyer, der heute einundsechzigjährige Enkel des Firmengründers, übernahm 1973 das Geschäft. So ziemlich die gesamte Palette von bohrenden, stechenden und schneidenden Instrumenten gingen durch des Meisters Hände, wurden instandgesetzt und aufgefrischt bis zum letzten Schliff.

Und der Umgang mit dem gerät brachte einige Weiterentwicklungen mit sich. Die Wochenpost vermerkte 1988: "Manchmal gibt«t bei Mister Knollmeyer Dinge, die«s noch gar nicht richtig gibt." Schon der erfinderische Großvater erwarb mit viel Scharfsinn ein paar Dutzend Patente für neuentwickelte Geräte. Der Enkel brachte mit einigem Erfolg solch anheimelnde Dinge wie eine Knochenbiopsiekanüle, eine Krampf-adersonde sowie ein Gerät zum Nähen durchtrennter Venen auf den medizinischen Markt. Die väterliche Devise "Wenn ein Arzt mit einer Idee kommt, muß man danach bauen; nicht können gibt«s nicht!" gilt für den heutigen Chef uneingeschränkt.

Hat noch 1988 das Nachschleifen von Skalpellen aller Größen und Arten einen großen Teil der Schleifarbeit ausgemacht, immerhin trafen wöchentlich zweihundert bis dreihundert Stück aus Kliniken der gesamten DDR ein, so hinterläßt nun die Weiterentwicklung der Chirurgie mit der Benutzung von Einwegklingen und Lasertechnik ihre Spuren.

"Wissen«se wat ick allet wegschmeiße, die ganzen Klingen, Werkzeuge, det allet is«n Wahnsinn!" wettert Willy Knollmeyer. Zunehmend liegen Frühstücksmesser und Papierscheren auf des Meisters Auftragstisch. "Dieses janze Besteck is heutzutage so billich, aber so minderwertiger Stahl. Det könn`se jar nich mehr schleifen."

Aber auch diese Dienstleistung wird bald nicht mehr angeboten, denn Ende April gibt der Meister seinen betrieb in der Charitestraße auf und arbeitet in Klosterfelde in einer neu aufgebauten Werkstatt weiter. Der Gebäudekomplex Charitestraße 4 ist verkauft worden, die Werkstatt ist trotz langer Verhandlungen rausgedrängt worden. Nun sollen Baumaßnahmen folgen. "Jerade hier, in diesem Hause müßte man in «ner Ausstellung die historischen Instrumente und Werkzeuge zeigen. Na, det wär wat, die Leute würden doch kommen", träumt Willy Knollmeyer.

Sabine Dietzel

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