Ausgabe 08 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Vom tätigen Leben

mental maps von Uwe Rada

Vor anderthalb Jahren habe ich meine Küche umgekrempelt. Den Tresen rausgerissen, einen runden Tisch rein, eine Sitzbank drumherumgezimmert, die Wände gestrichen, Bilder abgenommen, Bilder aufgehängt. Tapetenwechsel halt. Fühlte ich mich jetzt besser?

Bevor ich damals ins Grübeln kam, rief mein Bruder an. Mein Bruder wohnt in Tübingen. Tübingen fällt mir immer ein, wenn man mich fragt, was ich unter Urbanität verstehe. Die Hexenhäuser sind dort nicht aus Legosteinen und das Leben auf den Straßen geht nicht auf Plateausohlen und Lackschuhen, sondern seinen, soll man sagen: natürlichen Gang. Sagt dir der Lorettoplatz was? fragte mein Bruder. Südstadt? fragte ich. Südstadt, sagte mein Bruder. Er erzählte vom Tübinger Versuch, ein verlassenes Areal der Alliierten als städtischen Raum wieder zu gewinnen. Mit Nutzern als Eigentümern, Selbsthilfegruppen, der Bebauung auf Parzellen und einem überaus engagierten Stadtplaner als geistigen Vater. Und weißt du was? fragte mein Bruder. Nein, sagte ich und sah, daß der Wasserfleck schon wieder durch die weiße Deckenfarbe schimmerte. Es funktioniert, sagte mein Bruder. So ein Scheiß, sagte ich. Hä? raunzte mein Bruder. Der Wasserfleck, sagte ich. Ich will endlich wissen, wer hier der Herr im Hause ist, die Küche oder ich.

Die Nacht nach diesem Telefonat hatte ich am Schreibtisch gesessen. Der Machtkampf zwischen mir und dem Wasserfleck ließ mir keine Ruhe. Im Gegenteil. Er berührte Fragen höchster Ordnung. Was sind die Zusammenhänge zwischen der Gestalt eines Raumes und seiner Nutzung? notierte ich auf einem weißen Blatt und faltete es zu einem Papierhaus. Immerhin hinderte mich der Wasserfleck, als Gestalt gewordener Unraum, an einer lustvollen und pflichterfüllten Nutzung meiner gerade umgekrempelten Küche. Ich blätterte in einem Buch. In diesem Buch wurde Hannah Arendt zitiert. "In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, daß eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist, und zwar in dem gleichen Sinne, indem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herumsitzen." Ob das auch für die Welt der Küche galt?

Noch während ich mich damals darüber belustigte, ob Hannah Arendt nun einen Tresen oder einen runden Tisch gemeint haben mochte, fiel mir wieder ein, warum ich meine Küche umgekrempelt hatte. Es war, weil die Küche besetzt gewesen war, sagen wir einmal von einer Liebe, die nun nicht mehr in der Küche saß. Weder am Tresen, noch am runden Tisch.

Mir kam diese Küchenepisode am vergangenen Samstag wieder in den Sinn. Ich saß im Pappelpark, auf einer Parkbank, streckte abwechselnd die Nase in die Sonne und las in der neuesten Ausgabe des Sklaven. Ich war schon lange nicht mehr im Pappelpark gesessen. Auch der Pappelpark war besetzt gewesen, von der Liebe, die dort nicht mehr sitzt. Zumindest nicht mit mir. Anderthalb Jahre hatte ich den Pappelpark gemieden. Aus Angst, daran erinnert zu werden, daß die Liebe dort nicht mehr sitzt. Aber am Donnerstag vor dem vergangenen Samstag hatte mir meine Therapeutin gesagt, Angst sei nichts als mangelnder Mut zum Leben. Ich ein Feigling? Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Also saß ich am Samstag im Pappelpark. Und las. Und wartete. Auf die Angst. Sie kam nicht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Umso größer war die Euphorie. Auf dem Nachhauseweg war mir sogar, als könnte ich fliegen. Ich hatte mir den Pappelpark zurückerobert. Mit überaus bescheidenen Mitteln. Ich mußte nur die Nase in die Sonne strecken und mich über die Sklaven ärgern.

Zuhause lag im Briefkasten ein Päckchen. Aus Tübingen. Ich sah auf den Absender und stutzte. Das Päckchen war nicht von meinem Bruder, sondern vom Autor jenes Buches, in dem ich vor anderthalb Jahren das Zitat von Hannah Arendt gelesen hatte. Im Päckchen war eine Broschüre. Über die Tübinger Südstadt. "Aufgabe der Stadtplanung", schrieb der Absender des Päckchens, offenbar jener geistiger Vater, von dem mein Bruder gesprochen hatte, in dieser Broschüre, "ist es, räumliche Strukturen anzubieten, in denen die Menschen mit eigener Phantasie und Kraft städtisches Leben aufbauen können." Ich griff sofort zum Telefonhörer. Mein Bruder hatte schlechte Laune. Weißt du, von wem ich Post bekommen habe? fragte ich ihn. Mir egal, sagte er, ich bin am umziehen. Vom Leiter deines Südstadtprojekts, sagte ich. Dann stutzte ich. Du ziehst um? fragte ich. Mein Bruder hatte aufgelegt.

Am Abend beim Griechen fragte ich meine Nachbarin, warum immer mehr Menschen renovieren oder umziehen. Flucht, sagte meine Nachbarin, nichts als Flucht. Flucht ins Private, Stadtflucht, Flucht vor sich selbst. Und Angst. Angst vor was? fragte ich. Vor dem Leben, sagte meine Nachbarin. Du sprichst wie meine Therapeutin, sagte ich. Und? fragte sie, habe ich deshalb unrecht? Ich murrte und erzählte ihr von meiner Stippvisite im Pappelpark. Das gleiche hättest du auch mit Deiner Küche haben können, sagte meine Nachbarin. Was? fragte ich. Tapetenwechsel alleine hilft nichts, wenn man die neuen Räume nicht auch mit Leben füllt, sagte meine Nachbarin. Also ist es egal, ob der Tisch ein Tresen ist oder rund? fragte ich. Wie bitte? fragte meine Nachbarin und bestellte eine zweite Flasche Wein. Ich erzählte ihr die Geschichte von Hannah Arendt und den Menschen, die um einen Tisch sitzen. Wie heißt das Buch, aus dem die Geschichte ist? fragte meine Nachbarin. Du hast Glück, sagte ich, ich habe zufällig das Buch des Tübinger Stadtplaners im Rucksack. Ich kramte nach dem Buch und blätterte. Ich stutzte. Sag schon, drängte sie. Du glaubst es nicht, lachte ich, es heißt: Vita activa oder vom tätigen Leben.

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  Ausgabe 08 - 1998