Ausgabe 08 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kann man sich Hegel um den Hals hängen?

"Die Grunderfahrung: «Andere Länder sind fern, fern ist das eigene Land.
Anders singen Wenzel und Mensching heute von der Ferne, der Schmerz ist endgültig, es gibt keine Alternative...
...Sie rechnen auch mit unseren Erinnerungen. Nach einem Abend mit Karls Enkeln oder Mensching und Wenzel allein waren Gefühle stets gemischt zwischen Glück und Trauer, gesteigertem Lebensgefühl und Beklemmung, Sentimentalität und dem Vergnügen an bissiger Verarbeitung der letzten Nachrichten. Lachend, nicht unbedingt heiter, konnten wir uns am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen. Trauer kam aus der immer weniger zu verdrängenden Vermutung, noch in ihren bösesten Worten könnte Zukunft sein." (Heinz und Karin Hirdina)

Das letzte Mal sah ich die beiden Narren im vergangenen Sommer am Tag der Love Parade. Ich war früh im BE, um Karten zu bekommen. Denn die alten Hofnarren singen, auch ohne Hof, noch immer in ausverkauften Sälen.

Mit der Karte in der Tasche schlenderte ich unter den Linden zur Love Parade und ließ mich mit der Menge treiben. So viele Leute kamen früher nicht auf die Straße, auch nicht am ersten Mai. Aber Masken hatten wir damals auch. Weniger bunt vielleicht. Aber wozu eigentlich Masken?

Zurück im BE, die Bässe der Musik noch im Bauch, schlich ich über gedämpfte Teppiche, vorbei an Grüppchen, vertieft in leise Gespräche. Konspirativ. Eine Horde Altossis, die mit dem da draußen nichts zu tun haben wollte. Auf der Suche nach Identität. Ein Vergewissern, daß es uns noch gibt, ein Vergewissern, daß es mich noch gibt.

Die erste Schallplatte, für die ich 16,10 Mark über den Ladentisch schob, war die von Wenzel. Die, auf der er mit verwischter weißer Schminke so traurig in die Welt schaut, wie nur ein Clown es kann. Oder muß ich schreiben: "konnte"? Gehören sie nicht zu einer vergangenen Zeit, die es genauso wenig gibt, wie das Land, aus dem diese beiden Narren, Hans-Eckard Wenzel und Steffen Mensching, kamen?

Clowns waren immer die Zerrspiegel ihrer Zeit. Sie lästerten mit bösen Zungen gegen Gott und Teufel, die Gesichter hinter ihrer naiven Maske kaum greifbar, denn dorthin flogen immer die größten Torten. Wenn man sich auf ihre Welt einließ, verließ man die alltägliche Welt und betrat die große Welt des Lachens, eine Welt, in der Zeit und Raum so hingebogen wurden, wie gerade nötig. Lachen hat immer von Angst befreit. Zu keiner Zeit konnte das Lachen von offizieller Seite vereinnahmt werden. Alles Drohende wird lächerlich. Lachen war immer die Wahrheit des Volkes.

Seit Wenzel/Mensching 1982 zum ersten Mal als die Clowns Meh & Weh die Bühne betraten, war das Lachen auf ihrer Seite. Ein ungleiches Pärchen in der Tradition von Don Quijote und Sancho Pansa bis Laurel und Hardy. In wechselndem Rollenspiel von Herr und Knecht, eitlem Weissclown und traurigem Pierrot. Vom Hanswurst zum Tölpel und Hofnarren der Nation. Die Requisiten spärlich, aber universell. In der Welt des Clowns werden aus Notenständern Piko-Eisenbahnen und aus Klobrillen werden Rettungsringe.

Diesen großen Dankchoral
Singen wir für dieses Freudental
Wo wir abgesichert leben
Täglich unsern Geist abgeben
Und als Hofnarren der Nation
Loben wir in vollstem Ton
Diesen Staat so sozial
Hier mit diesem Dankchoral
tütatatütatüta

(...)

Dank auch den geheimen Männern tütata
Jenen guten Seelenkennern tütata
Die im steten Dunkel bleiben
Pünktlich die Berichte schreiben
Jenen unbekannten Rittern
Die die Wetterwechsel wittern
Die aus allen unsern Werken
Jeden Nebensatz sich merken...

Die Kunstszene der DDR war in Sparten aufgegliedert, mit Betreuern für die einzelnen Künstler. Mit ihrem Liedtheater hatten Wenzel/Mensching eine Nische aufgetan. Keiner war so richtig zuständig. Mit dieser Narrenfreiheit durften sie mehr wagen als alle anderen. Ihr Spiel machte immer betroffen und ermutigte zugleich. Das Publikum war auf der Höhe jeder Anspielung, die die Clowns kaum selbst noch unter Kontrolle hatten, und reagierten mit befreitem Lachen, wenn heikle Worte öffentlich wurden, oder mit verlegenem Hüsteln nach einem ernsten Lied von Wenzel.

Nach der Wende endete ihr Programm "Allerletztes aus der Da Da eR" mit der Feststellung:

Sie haben uns beschissen
Jetzt stehen wir da wie dumm
In stürzenden Kulissen
Wie im Delirium
Umkreist von Bonzen und Bossen
Die Clowns gehörn erschossen.

Ein westdeutscher Jounalist bemerkte nach einem Gastspiel in Bremen: Bei uns macht man das anders, bei uns wird man arbeitslos.

Tatsächlich ist es ein wenig ruhig um die beiden Clowns geworden. Wenzel meint, er möchte sich keinen Schlüpfer um den Hals hängen, damit die Leute kommen. Er läse lieber zu Hause was von Hegel über die Hygiene. Mensching erklärt sehr vorsichtig, um nicht nach altbackener Ost-West-Polemik zu klingen, daß die Leute schon noch kämen, aber daß es kaum Spielstätten gäbe, in denen Ossis in der Leitung säßen, die sie auftreten ließen. In ihrer Stammspielstätte, dem Maxim Gorki Theater, hätten sie immer noch gute Kontakte zur Technik und zur Kantine, nur die Leitung, nun ja, die kommt jetzt eben aus Ulm. Und die kennen die beiden Ostclowns nicht und wollten sie auch nicht kennenlernen. Da spielt es keine Rolle, daß sie kein Bühnenbild für achzigtausend Mark benötigen, kaum Produktionskosten entstehen und dennoch das Haus ausverkauft ist. Da spielt auch keine Rolle, daß es hier an diesem besonderen Ort offensichtlich einen Bedarf gibt, seine Geschichte nicht nur zu verdrängen, sondern kritisch zu verarbeiten.

Wo also hin mit den Clowns. Schauen wir uns um, wo heute Clowns auftreten! Die Masken der Clowns als Zerrspiegel ihrer Umwelt sind zu Fratzen entrückt. Jene, die kein Engagemant in einer Horrorfilmproduktion bekommen haben, arbeiteten mit roter Dauerwelle bei Mac Donalds.

Aber noch gibt es Meh und Weh. Sie wurden weder erschossen noch stehen sie mit einer Klingelbüchse und einem Esel an der Leine auf dem Alexanderplatz. Wenzel hat inzwischen wieder Platten besungen, die in ihrer Melancholie an jene von 1986 erinnern. Nur das Lächeln ist bitter geworden.

Nach der Wende haben die Clowns zudem eine neue Maske hinzubekommen. Sie sind jetzt auch Seemänner und singen Shanties. Und auch die Seemänner sind bereits andere geworden. Aus dem Bild des Aufbruchs, des Reisenden, wurde der Heimatlose, dem der Abschied ein ständiger Begleiter ist. Zum Abschiednehmen kommt auch das Publikum. Aber nicht nur. Wenzel sagt, in jedem Leben gibt es Eindrücke, meist in der Kindheit, die einen das ganze Leben verfolgen, die einem den Blick geschärft und einen Blickwinkel gegeben haben, mit dem man sich ein Leben lang beschäftigt. Daß die Umgebung, in der das geschah, nicht mehr existiert, soll einen nicht hindern, sich damit auseinanderzusetzen.

Und doch machen mich ihre neuen Programme traurig. Während der Wende und danach wollte ich sie bei ihren Auftritten aus den Kostümen schütteln, damit sie hinter ihrer Clownsmaske hervortreten und sagen, wie weiter. Zu viele Menschen redeten viel zu laut, ohne viel zu sagen zu haben. Und die, die etwas zu sagen hatten, schwiegen oder verteidigten sich gegen die Schreihälse. Die Wahrheit ist einfach mit einem Feindbild. Barbara Thalheim hörte auf zu singen, weil sie keins mehr hatte.

Als ich im letzten Sommer im BE saß und sah, wie das Publikum nach Reizwörtern wie "Trabant" lechzte, bekam ich ein ähnlich flaues Gefühl wie bei meinem einzigen Distel-Besuch, nach der Wende. Da wurde Honecker einfach gegen Kohl ausgewechselt, und weiter ging´s. Nur die Bilder fehlten. Aber wozu in Bildern reden, wenn man doch alles sagen darf?

Es ist eine Entzauberung der Clownswelt, wenn Meh & Weh über Preis-Leistungs-Verhältnis, Rechtsstaat und soziales Netz reden. Solche Wörter gibt es nicht in der großen Welt der Clowns und auch nicht auf der weiten See. Eher auf der kleinen Bühne des Kabaretts. Also welche Funktion hat in dieser Zeit überhaupt die Narrenkappe? Und kann man sich Hegel um den Hals hängen?

Über das nunmehr zwanzigjährige Schaffen der beiden Clowns ist im März ein Buch von David Robb erschienen: "Zwei Clowns im Lande des verlorenen Lachens". Wenzel/Mensching finden es etwas nüchtern, aber den analytischen Blickwinkel interessant, der frei von jedweder Positionierung ist, die von einem deutschen Autor nicht zu vermeiden wäre.

David Robb ist Schotte. Er kommt aus Edinburgh und studierte dort Germanistik. Ein Jahr hat er in Rostock studiert, und zwar 1982. Er ist selber Liedermacher und tat sich damals bei den Liedermachern in der DDR um. Und vielleicht ist auch Schottland gar nicht so weit weg. Wenzel/Mensching sagen, daß Menschen aus kleinen Ländern, die sich gegen einen kulturell dominanten Nachbarn behaupten müssen, immer leichter Zugang zu ihren Programmen gefunden hätten.

Das Buch beschreibt das Entstehen und die Entwicklung der ostdeutschen Singebewegung und begleitet dann die Clowns von Karls Enkel über die Da Da eR-Programme bis zum Abschied der Matrosen von Kommunismus.Es ist schön, wie sich David Robb in die Situation der Wende hineingedacht hat. Zum Beispiel die heute lächerlich klingende Szene, als nach den Übergriffen der Polizei am 7. Oktober 1989 die Sektion Lied und Kleinkunst sich der neuen Erklärung der Sektion für Rockmusiker anschloß. Er beschreibt die wie noch zu diesem Zeitpunkt eigentlich keiner wußte, wie alles ausgehen würde, wie Polizei und Armee reagieren würden. Den Clowns wurde für diesen Abend der Auftritt gekündigt und weil sie irgendwelchen geheimen Herren in einem Wartburg frech zu winkten, wurden sie vorsorglich 10 Stunden in Polizeigewahrsam genommen.

Der letzte Blick gilt den Clowns in den Neunzigern: 1994 der Eklat bei SAT 1, als eine Sendung wegen Verletzung religiöser Gefühle nicht ausgestrahlt wurde, da sie eine Aufnahme von Meh&Weh´s "Samenspende für den Papst" enthielt, Deutscher Kabarettpreis 1995 und viele andere Projekte.

"Heute fragen sie nicht mehr: Was bleibt? Sondern: Was ist? Was kommt? - Ich sehe was, was du nicht siehst, und das sieht schwarz aus. - Alles ist möglich."(Heinz und Karin Hirdina)

André Caspary

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