Das dicke Ende kommt noch ...
Das Scheitern der „behutsamen Stadterneuerung" bedeutet auch neue Chancen für
Mieterkämpfe
Der Spielfilm Sommer vorm Balkon von Andreas
Dresen war letztes Jahr zumindest in Berlin ein Kinohit. In der ersten
Woche waren selbst die 18-Uhr-Vorstellungen ausverkauft. Der Reiz des
Filmes bestand nicht nur im alltagsnahen Format der Geschichte und den
sorgsam ausgearbeiteten Charakteren, sondern auch in den stimmig
dargestellten und ausgesuchten Drehorten: dem Prenzlauer-Berg-Effekt.
Ob Neu-, Alt-, oder Besuchsberliner, die meisten Einstellungen
lösten einen Wiedererkennungseffekt aus. Das angesagte
Café mit den schaufenstergroßen Scheiben, das
Graffito an der Wand, die schönen, geschäftigen und
jungen Menschen, der Punk mit den großen Hunden, die teuren
Autos mit den auswärtigen Kennzeichen, die Plakate, die
für die angesagten Clubs der Stadt werben ...
Die Bilder des Films suggerierten im Gleichklang
mit dem Feuilleton: Hier brodelt das Leben, hier schlägt das
Herz der Stadt, hier bekommt der Alltag den Kick zum Besonderen. Die
Geschichte spielt am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg
vielleicht der Ort, an dem sich die Konflikte um Aufwertung,
Verdrängung und Definitionsmacht im Zuge der Ostberliner
Sanierungsarbeiten in den letzten Jahre am stärksten
verdichteten. Traditionell mit dem Image des Schmuddelkiezes verbunden,
hielt die gründerzeitlich bebaute Umgebung des
Helmholtzplatzes trotz intensiver Modernisierungstätigkeit
lange Zeit dem Druck der symbolischen Aufwertung stand, und die
Nachbarschaft war anders als beispielsweise am Kollwitzplatz noch bis
Ende der 90er Jahre proletarisch und subkulturell geprägt. Der
Film dokumentiert Momente des Übergangs: In einer Sequenz
werden in kurzen Schnitten ein Mann im Anzug auf dem Fahrrad, eine
modebewußte junge Mutter mit Kinderwagen und ein an die
Hauswand pinkelnder Punk mit Hund gezeigt. Die nächtlichen
Balkonszenen ziehen die Zuschauer in eine akustische Konkurrenz von
brüllenden „Alkis" und murmelndem
Kneipenlärm hinein. Beim Blick über die
Dächer fallen die vielen luxuriös gestalteten
Dachgeschoßausbauten auf, die im krassen Gegensatz zu den
unsanierten, ofenbeheizten Wohnungen der beiden Hauptheldinnen stehen.
Es wird ein Bild der Gegensätze gezeichnet und auch eines von
Veränderungen. Die letzte Einstellung zeigt das Haus des Films
ein letztes Mal eingekleidet in ein Baugerüst,
leergezogen zur Sanierung. Das improvisierte
Überlebensarrangement der lebensfrohen, aber nicht sonderlich
erfolgreichen Frauen verliert sein räumliches Korsett. Wie das
Leben der beiden weitergeht, bleibt offen. Auf jeden Fall ist die
schöne Zeit des Sommers zu Ende.
„Die Stadterneuerungspolitik stellt die
Existenzfrage für Tausende Bewohner"
Die Stadterneuerungspolitik der letzten 15 Jahre
jedoch stellte die Existenzfrage für Tausende Bewohner auch im
wirklichen Leben. Trotz des in den Leitlinien zur Sanierung
festgeschriebenen Ziels eines „Erhalts der Sozialstruktur"
hat die Stadterneuerung einen drastischen Wandel der
Bevölkerung ausgelöst. Die statistischen Daten
sprechen eine deutliche Sprache: Die Haushaltsstrukturen haben sich
deutlich verschoben etwa 60 Prozent aller Haushalte in den
Sanierungsgebieten sind inzwischen Singles. Dieser Wert liegt
über dem Berliner Durchschnitt und bedeutet einen Anstieg um
etwa 15 Prozentpunkte seit Anfang der 90er Jahre. Die Altersstruktur im
Bezirk hat sich von einer relativ heterogenen Zusammensetzung zu einer
Monostruktur der 25- bis 45jährigen verändert. Vor
allem die Zahl der Alten und der Kinder ist drastisch
zurückgegangen. Der vielzitierte Baby-Boom von Prenzlauer Berg
ist letztlich die Folge dieser Entwicklungen. Die Anzahl der geborenen
Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter ist sogar unter
dem Berliner Durchschnitt. Hinsichtlich der Bildungsstandards sprechen
Soziologen von einem bildungsstrukturellen Statussprung in den
Gebieten: Sowohl die Anzahl der Personen mit höheren
Schulabschlüssen als auch mit Hochschulabschlüssen
hat sich in den vergangen 15 Jahren mehr als verdoppelt. Und auch
hinsichtlich der Einkommen ist ein Anstieg von deutlich
unterdurchschnittlichen Werten auf ein Niveau leicht über dem
Ostberliner Durchschnitt festzustellen.
All diese Veränderungen so
belegen es verschiedenen Studien sind nicht auf biografische
Entwicklungen zurückzuführen, sondern Folge von
sozial selektiven Wanderungsbewegungen. Unabhängig von der in
Innenstädten typischen Fluktuation sind vor allem die
Modernisierungsarbeiten als wahre Mobilitätsschleudern zu
bezeichnen die Umzugsdynamik in
Modernisierungshäusern ist viermal so hoch wie im
Gebietsdurchschnitt.
Die Modernisierungsverfahren in den Ostberliner
Sanierungsgebieten lassen sich grob in drei Phasen einteilen: eine
Förderphase bis etwa 1995, die von geförderten
Sanierungsarbeiten vor allem im Programm „Soziale
Stadterneuerung" geprägt waren. Damals kehrten etwa 60 Prozent
aller Bewohner nach der Modernisierung in ihre Wohnungen
zurück. Dieser Altmieteranteil verringerte sich in einer
zweiten, von Steuerabschreibungsbedingungen und Mietobergrenzen
geprägten Phase bis zum Jahr 2000 auf etwa 40 Prozent. In der
aktuellen, von Umwandlungen in Eigentumswohnungen bestimmten Phase ist
dieser Anteil auf 25 Prozent gesunken aus der Perspektive der
sozialen Sanierungsziele eine Bankrotterklärung.
Sanierungsbeauftragte, die Senatsverwaltung, aber
auch Wissenschaftler haben in Diskussionen um die
Stadterneuerungspolitik vor allem in Prenzlauer Berg eine
Verdrängung und Gentrifizierung lange bestritten. Auch wenn
die Zeichen der Aufwertung eindeutig schienen so wurde den
Kritikern entgegengehalten , gäbe es doch keine
für solche Prozesse typischen Verdrängungseffekte.
Und diese sind auf der individuellen Ebene tatsächlich nur
schwer zu ermitteln, weil sie eigentlich eine Befragung der
Fortgezogenen voraussetzt. Peter Marcuse, ein Stadtforscher aus New
York, hat dagegen den Begriff der indirekten Verdrängung
geprägt und damit auf Veränderungsprozesse
hingewiesen, bei denen nach einem Auszug eines sozial
schwächeren Haushalts Modernisierungsarbeiten und
Preissteigerungen realisiert werden, die den Einzug eines sozial
vergleichbaren Haushalts dauerhaft verhindern. Und genau diesen
Prozeß haben die Sanierungsgebiete in Mitte und Prenzlauer
Berg in den letzten Jahren durchlaufen.
„Die Notwendigkeit für einen
regulierenden Eingriff in das Sanierungsgeschehen war noch nie so
groß wie heute"
Die Gründe dafür liegen neben
der Ökonomie der Sanierung vor allem in dem schrittweisen
Rückzug sanierungsrechtlicher Instrumente aus den
Modernisierungsverfahren. Statt auf Fördermittel und
Mietobergrenzen müssen die Sanierungsverwaltungsstellen bei
Modernisierungsanträgen heute vor allem auf die Einsicht der
Investoren hoffen und versuchen, mit diesen städtebauliche
Verträge abzuschließen. Ohne finanzielle Anreize und
ohne rechtliche Sanktionen jedoch sind die Erfolgsaussichten dieser
Steuerungsversuche überschaubar. Besonders problematisch ist
dies für die noch etwa 25 bis 30 Prozent unsanierter Wohnungen
in den Gebieten. Hier konzentrieren sich all jene, die vor den
bisherigen Sanierungsarbeiten und den steigenden Mieten Zuflucht in den
schlecht ausgestatteten, aber noch preiswerten Wohnungen gesucht haben.
Im Verlauf des Sanierungsprozesses ist die Einkommensdifferenz zwischen
den Bewohnern der sanierten und unsanierten Bestände deutlich
angestiegen und beträgt aktuell etwa 820 Euro. Dieses Geld
fehlt den Haushalten in den unsanierten Restbeständen
für die Finanzierung einer modernisierten Wohnung. Ihnen
gegenüber stehen nun ausgerechnet solche
Eigentümerstrategien, die auf eine umfassende Sanierung und
die schnelle Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen setzen.
Für Bedarfsgemeinschaften des ALG II, die sich an den
festgelegten Grenzen der Angemessenheit orientieren müssen,
sind sanierte Wohnungen in den Sanierungsbieten schon jetzt meist zu
teuer. Die Notwendigkeit für einen regulierenden Eingriff in
das Sanierungsgeschehen war noch nie so groß wie heute
zugleich waren die Instrumente der Sanierungsträger
und Verwaltungen noch nie so stumpf. Die Stadterneuerung
hinterläßt uns mit den bereits beschlossenen
Aufhebungen der Sanierungsgebiete jede Menge sozialen und
wohnungspolitischen Sprengstoff. Als „Behutsame
Stadterneuerung" mit den Idealen der baulich schrittweisen, sozial
erhaltenden und planerisch auf Beteiligung setzenden Sanierung
angetreten, bleibt nun der klassische Konflikt um die steigenden Kosten
von aufwendig sanierten Wohnungen. Ganz wie es die Handbücher
der kapitalistischen Wohnungspolitik beschreiben die Armen
wohnen in den schlechten Wohnungen, und nur wer es sich leisten kann,
findet Zugang zu den besseren Wohnungen.
Doch in diesem Versagen der Sanierungspolitik
liegt auch eine Chance. Statt der moderierten und konsensorientierten
Verfahren zum Abschluß von Modernisierungsvereinbarungen
müssen und können sich die Bewohner nun wieder
stärker auf die traditionellen Strategien des Mieterkampfes
einlassen. Hausversammlungen, mietrechtliche Beratungen und verweigerte
Zustimmung zu den Modernisierungsankündigungen können
den Prozeß der Verdrängung aufhalten. Mit den
Anlaufstellen der Mieterorganisationen und auch den Büros der
Betroffenenvertretungen gibt es in fast allen Gebieten
Unterstützung für solche Auseinandersetzungen. Der
Kampf gegen die Verdrängung wird ohne jeden Zweifel in eine
nächste Runde gehen.
Andrej Holm