Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Mit revolutionärem Anspruch

in die Bedeutungslosigkeit

Der Niedergang der Berliner Autonomen

Foto: Knut Hildebrandt

Die Räumung der Friedrichshainer Mainzer Straße vom 12. bis 14. November 1990, die zeitgenössische Journalisten unter dem Eindruck der Ereignisse damals als „größten Polizeieinsatz der deutschen Nachkriegsgeschichte" bezeichneten, hat die autonome Szene, die sonst zu jedem Popelereignis ihre Nachbereitungstreffen zelebriert, nie ernsthaft thematisiert. Das ist verständlich, denn wer erfreut sich schon an Niederlagen und suhlt sich gern in seinen Traumata. In der Tat markiert die Räumung der Mainzer Straße den Beginn des Niedergangs der autonomen Szene.

Dabei war die Ostberliner Hausbesetzerbewegung eigentlich gar keine autonome Bewegung. Zu Beginn stand sie eher in der ostdeutschen Tradition des „Schwarzwohnens". Das erste öffentlich besetzte Haus Ostberlins in der Schönhauser Allee 20/21 entwickelte sich aus einer Reihe stiller Wohnungsbesetzungen, bis die Bewohner am 22. Dezember 1989 mit dem Aufhängen eines Transparents die Besetzung bekanntgaben. Nachdem die Nachricht von der Okkupation in der Öffentlichkeit wie eine Bombe eingeschlagen war, folgten schnell weitere Besetzungen. Bis Februar 1990 waren es schon zwanzig Häuser, hauptsächlich im Prenzlauer Berg.

Bis dahin wurde die Besetzerbewegung hauptsächlich von DDR-Bürgern getragen. Doch im Februar war das Potential an Ostberlinern für Hausbesetzungen weitgehend erschöpft. Jetzt kamen immer mehr Westberliner Künstler, Autonome, Studenten oder auch einfach Obdachlose in den Ostteil der Stadt, um sich Häuser anzueignen. Schwerpunkt der neuen Hausbesetzungen war zu diesem Zeitpunkt der Stadtbezirk Mitte. Bis Ende April waren 50 Häuser besetzt.

Im Mai kam die Bewegung richtig in Schwung. Nachdem „MitgliederInnen autonomer Gruppen aus Ost und West" in der Westberliner Szene-Postille Interim einen Aufruf veröffentlicht hatten, in Friedrichshain Häuser zu besetzen, um bevorstehende geplante Umstrukturierungen zu verhindern und die beiden dort besetzten Häuser vor Nazi-Angriffen zu schützen, kam es zu einem regelrechten Run auf den Bezirk. Innerhalb kürzester Zeit waren zwölf Häuser allein in der Mainzer Straße besetzt. Die Straße entwickelte sich zum Eldorado für allerlei Abenteurer und Politaktivisten. Ständig folgten weitere Besetzungen von Häusern und auch von einzelnen Wohnungen. Die Westberliner Wohnungsnot fand in Ostberlin ihr Ventil. Bis zum Höhepunkt der Bewegung im August waren 120 Häuser besetzt.

„Eine der größten Stärken und gleichzeitig auch eine der größten Schwächen der linken Szene war immer schon das ‚Konzept Szene' selbst"

Die Bewegung baute von Anfang an ihre eigene Infrastruktur auf: Sie hatte
eigene Kneipen, Veranstaltungsräume, Volksküchen und eine Zeitung, die als internes Diskussionsforum diente. Organisiert war sie nach dem Räte-Modell, mit einem imperativen Mandat für die Delegierten: Es gab einen Ostberliner Besetzerrat, in dem man unter anderem den Umgang mit Nazis und die Vertragsverhandlungen mit dem Ostberliner Magi-strat besprach, dazu verschiedene Arbeitsgruppen. Es gab Räte in den einzelnen Stadtbezirken, straßenweise und in jedem Haus. Aber trotz des in der Öffentlichkeit verbreiteten Interesses an den besetzten Häusern machte die Bewegung so gut wie keine Anstalten, ihre Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Aufgrund ihrer offensichtlichen Stärke war sie sich selbst genug, und solange sich immer mehr Leute anschlossen, gab es auch keinen Grund für eine Ausweitung ­ in Richtung einer Mieterbewegung etwa. Besonders nach dem Ansturm auf Friedrichshain, als mehr und mehr die autonomen Gruppen das Zepter in den Räten übernahmen und damit nach und nach die Leute aus dem Prenzlauer Berg vertrieben, setzte man mehr auf Abschreckung und Stärke. So kursierten Flugblätter, auf denen gedroht wurde, für jedes geräumte Haus einen Sachschaden von 100000 Mark anzurichten.

Diese Androhung gewalttätiger Ausschreitungen war durchaus ernstzunehmen, wie die Straßenkämpfe im Anschluß an die Räumung zweier besetzter Häuser in der Lichtenberger Pfarrstraße und eines in der Cotheniusstraße im Prenzlauer Berg am 12. November 1990 zeigten. Nachdem zwei Tage später die Mainzer Straße geräumt worden war, fielen diese Drohungen aber schnell in sich zusammen, denn hier war immerhin so etwas wie das Herz der Bewegung besiegt worden. Hätten irgendwelche Häuser erfolgreich militant verteidigt werden können, dann die in der Mainzer Straße.

Auch wenn am Abend nach der Räumung noch eine spontane Solidaritätsdemonstration zum Erhalt der noch besetzten und zur Rückgabe der geräumten Häuser mit der heute unvorstellbar hohen Zahl von 15000 Teilnehmern stattfand, fiel die Bewegung in der Folge schnell in sich zusammen. Die Bewe-
gung der linken Szene verlor ihren offensiven Charakter. Es ging jetzt nur noch um die Absicherung des Erreichten. Dies gelang aber immerhin für die meisten der Häuser.

Das Scheitern der großmäulig militanten Straßenpolitik war sicher nicht der einzige Grund für den Niedergang der autonomen Szene in den 90er Jahren. Unbedingte Voraussetzung für eine solche Politik ist eine Bewegung, in der überhaupt agiert werden kann. Da es seit der Anti-Olympia-Bewegung 1993 in Deutschland, abgesehen von Antifa-Mobilisierungen und den Castor-Transporten, keine größeren Menschenaufläufe mehr gegeben hat, jedenfalls keine, an der sich autonome Gruppen im großen Stil beteiligt hätten, tummelt man sich seit ein paar Jahren gern auf internationalen Events der Antiglobalisierungsbewegung und täuscht sich so selbst über die eigene Schwäche hinweg. Wenn man jedes Mal zwei Jahre Vorbereitung braucht, um ­ wie zu den Protesten in Rostock und Heiligendamm ­ nach einer internationalen Mobilisierung 50000 Menschen auf die Straße zu bringen, dann geht davon nur noch eine sehr begrenzte Bedrohung für die öffentliche Ordnung aus. Da können die meinungsbildenden Zeitungen noch so sehr die Gefährlichkeit des Schwarzen Blocks herbeischreiben ­ ohne die Hilfe von polnischen und spanischen „Kämpfern" bekommen die deutschen Autonomen noch nicht einmal mehr eine „ordentliche Randale" hin.

„Wer hinter jedem Baum einen Faschisten wittert, hat die Hoffnung auf eine revolutionäre Veränderung der
Gesellschaft längst aufgegeben"

Eine der größten Stärken und gleichzeitig auch eine der größten Schwächen der linken Szene war immer schon das „Konzept Szene" selbst. Sie war stets auch eine gegen- oder subkulturelle Bewegung, was ihr vor allem in den 80ern immensen Zulauf beschert hatte. Das war schon damals zweischneidig für eine Bewegung, die ja immerhin für sich beanspruchte, revolutionär zu sein. Heute hat sie durch die Ausdifferenzierung in Subkulturen zwar für jeden etwas im Angebot, damit ist aber auch die Kraft verlorengegangen, die eine Einheit bieten kann. Überdies benutzen heute Nazis dieselben Codes, und man weiß auch nie so genau, ob der coole Szene-Schuppen, in dem man gerade ist, nicht von Nike betrieben wird. Nicht ganz zufällig bezeichnet ein Szeneviertel heutzutage ein Vergnügungsviertel.

Die Hauptschwäche des Konzepts Szene besteht aber in der Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft, der man im Grunde feindlich gegenübertritt. Durch die zwischenzeitlich fast ausschließlich auf Antifa-Politik beschränkte Praxis autonomer Gruppen hat sich diese Abgrenzung noch verschärft. In Friedrichshain war das schon 1990 ein Problem und hat nicht unwesentlich zur Niederlage in der Mainzer Straße beigetragen. Eine ähnliche Straßenschlacht um die Hamburger Hafenstraße ein paar Jahre zuvor hatte schließlich mit Hilfe der Nachbarn gewonnen werden können. In Friedrichshain waren die besetzten Häuser völlige Fremdkörper, Festungen in einer feindlichen Umgebung.

Folgerichtig hat sich die linke Szene denn auch ab 1993 mehr als ein Jahrzehnt lang praktisch gar nicht mehr an größeren sozialen Bewegungen beteiligt. Während der Arbeitslosenbewegung 1998 und in Konkurrenz zu ihr organisierte die Berliner Gruppe FelS einen Kongreß zum Existenzgeld, und auf den Montagsdemos in Berlin zeigte nur die FAU Flagge. Seit der Agenda 2010 hat man aber immerhin das urlinke Thema der ungerechten Verteilung des Reichtums wiederentdeckt und mit dem etwas unscharfen Begriff des Prekariats auch gleich ein neues revolutionäres Subjekt ausgemacht. Mit normalen Prolls will man aber eigentlich immer noch nichts zu tun haben.

Wer sich in einer feindlichen Umgebung wähnt und hinter jedem Baum einen Faschisten wittert, hat die Hoffnung auf eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft ganz offensichtlich längst aufgegeben. Dann kann man nur noch dafür sorgen, daß wenigstens der eigene Vorgarten sauber bleibt. Also beschäftigt sich die linke Szene am liebsten mit sich selbst. Mal muß ein Kondomautomat in der Szenekneipe XB-Liebig verhindert werden, um die autonomen Frauen vor ihren sexbesessenen männlichen Kampfgefährten zu schützen, mal muß ein bekannter Berliner Flugblattsammler aus der Szene verbannt werden, weil er Pornos angesehen hat. Die dazugehörigen Diskussionen in der heute noch existierenden Interim können sich schon mal ein Jahr hinziehen.

Die Autonomen haben hierarchische Strukturen immer abgelehnt, deshalb ist die Szene auch nicht als Partei organisiert, sondern in informellen Strukturen. Das hat den Vorteil, daß sie staatlicherseits nicht verboten werden und den Nachteil, daß man sie nicht per Beschluß auflösen kann. Letzteres wäre für alle das Beste, schüfe es doch endlich wieder Platz für eine weniger realitätsfremde linke Bewegung. 

Søren Jansen

 
 
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