Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Panne und Pathos

Zur Symbolik der Hauptstadtarchitektur


Foto: Christian von Steffelin

Es schmetterten keine Fanfaren, als sich die neue Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf der diesjährigen Jahresausstellung der Architektenkammer dem Fachpublikum vorstellte. Ihr Vorgänger Hans Stimmann hätte sich zumindest einen launigen Paukenschlag gegönnt. Sie aber erläuterte besonnen, fast versonnen ihr Programm, bot allen ihre Zusammenarbeit an, lobte den guten Willen, das Engagement der Architekten, ihr „ungeheures Wissen" um diese Stadt, das sie, die Schweizerin, sich erst mühsam aneignen müsse. Kaum bemerkte man die kleinen Spitzen: gegen das rigide Planwerk Innenstadt etwa, das unter Stimmann noch als verbindlicher „Entwurf" erschien, für Lüscher aber nur ein allgemeines „Prinzip" darstellt. Gegen die Fixierung auf das Zentrum und seine architektonische Definition und die Vernachlässigung der offenen, landschaftlichen Räume der Peripherie. Oder dagegen, nur das ganz Alte und sehr Große, also das, was Politik und Presse gerne „historisch" nennen, als authentisch und wertvoll zu begreifen: Auch mit dem Abriß von Bauten der 60er bis 80er Jahre „verlieren wir Identität und Heimat". Herrlich, diese ruhigen Wörter. Für Lüscher ist Berlin nicht Metropole, nicht Haupt- oder Weltstadt, sondern schlicht und richtig „diese große Stadt".

So leise waren die Töne auf dem Podium, daß kaum die Hälfte der Anwesenden überhaupt zuhörte. Man plauderte und sah sich die Arbeiten an, die die Kammer für ausstellungswürdig befunden hatte. Man spürte den verhaltenen Optimismus, der die Bau- und Planungsbranche ergriffen hat. Nach Jahren der Stagnation kommt der Immobilienmarkt in Fahrt, die Baulöwen rühren sich, die öffentliche Hand hat wieder Geld für Gemeinschaftsbauten. In der Fachpresse stehen ernstgemeinte Stellenanzeigen, während die Unis immer weniger Absolventen ausspucken und mancher Kollege und Konkurrent schon ausgewandert ist. Ein Architekt kann wieder optimistisch in die Zukunft blicken, wie jeder andere Dienstleister auch. Er wird Aufträge haben und Geld verdienen und seine Familie ernähren, das ist doch schon mal was.

„Bei den aktuellen Bauten ist Symbolik selten ein Unfall, sondern ein kalkulierter Teil der Präsentation"

Draußen in der wirklichen Stadt, wo sich Nutzer und Besucher, Kritiker und Touristenführer herumtreiben, hält sich ein anderes Bild von Architektur. Der Glaube, daß sie etwas zu besagen hat und auf die Gesellschaft Einfluß nimmt, ist ungebrochen: Ein großes Hochhaus ist ein „Leuchttum", eine Ost-West-Brücke „vereint", kunterbunte Wohnhausfassaden fördern „Individualität", offene Bürolandschaften das „selbstbestimmte Arbeiten". Selbst einzelne Materialien werden von Architekturkritik und Reiseführern metaphorisch ausgedeutet: Glas gleich Offenheit und Transparenz, Stein gleich Ewigkeit, Stahl gleich technischer Fortschritt, Holz gleich Liebe zur Natur. Man glaubt an die Kraft der Symbole ­ und wenn an eine Kraft geglaubt wird, existiert sie dann nicht auch?

Ja und nein. Natürlich können ein Ensemble, ein Gebäude, ein Bauelement Symbolkraft erlangen und damit nach außen wirken. Nur ist dieser Prozeß selten so gradlinig wie die Architekturführer behaupten. Es kann z.B. versehentlich passieren, was natürlich die lustigste Variante ist: das Symbol als Panne. Oder es geschieht gewollt, in dem Sinne, daß eine eher funktionale Lösung zusätzlich oder nachträglich um einen symbolischen Gehalt ergänzt wird: das Symbol als Nebeneffekt. Dieser Gehalt kann aber auch selbst die wesentliche Funktion eines Baus sein, der praktische Nutzen ist dann nachrangig oder sogar irrelevant: das Symbol als Ziel. Und schließlich kann es geschehen, daß die architektonische Symbolik mit der Funktionsweise des Baus einfach nichts zu tun hat. Dann haben wir den ganz normalen Bluff der Propagandisten und Werbefuzzis vor uns: das Symbol als Reklame. Deklinieren wir diese Varianten am Thema „Eingang" durch ein banales architektonisches Element, das aber oft symbolisch aufgeladen wird. Der Eingang definiert, wo bei einem Bau vorn ist, er entscheidet über den ersten Eindruck, er ist das Hauptmotiv für Erinnerungsfotos, Werbebroschüren oder Dokumentationen. Ist er ein nüchterner Durchschlupf, wird man anders von einem Bau, seinen Erbauern und seinen Nutzern denken, als wenn er als große, pathetische oder sogar irreführende Geste formuliert ist.

Der wohl prominenteste Eingang mit einer pannenhaften Symbolik, den Berlin zu bieten hat, war einmal das barocke „Lustgartenportal" des Stadtschlosses. Bei dessen Abriß stellte die DDR das Portal samt Balkon, von dem, der Legende nach, Karl Liebknecht eine Republik ausgerufen hatte, dem Staatsratsgebäude vor die Nase. Da steht es nun und erzählt von Revolutionen, Staatsräten und ­ dies nun der peinliche Subtext ­ von Heuchelei, Trunkenheit und nahem Winter. Denn die allegorischen Figuren unter dem Balkon stellen den Herbst dar, und zwar mit Masken und Wein. Peinlich für die Architekturpolitiker der DDR, aber ihren Nachfolgern im Staatsratsgebäude geht es ähnlich: Auch bei der Managerschule, die nun das Gebäude nutzt, könnten Falschheit, Suff und Herbst als peinlich passende Symbole gedeutet werden. Und noch grotesker wird es, falls eines Tages die Kopie des Stadtschlosses errichtet wird und gleich zwei Liebknecht-DDR-Portale am Schloßplatz stehen, das Original vor der Kapitalistenkaderschmiede, die Kopie am Kaiserschloß.

Bei den aktuellen Bauten ist Symbolik allerdings selten ein Unfall, sondern ein kalkulierter Teil der Präsentation. Zwar bestimmt die Suche nach dem richtigen Symbol nicht wirklich den Entwurfsprozeß ­ der Architekt hat meist genug damit zu tun, die konstruktiven, juristischen, finanziellen Vorgaben zu erfüllen; sie sind der „wahre Grund" für die meisten seiner Enscheidungen. Der „gute Grund", den er dann der Öffentlichkeit vorstellt, ist der ästhetische, historische, politische Gehalt. Daß beispielsweise der Eingang zum Jüdischen Museum als Tunnel formuliert wurde, lag zunächst einmal daran, daß das Gebäude zunächst als Anbau des benachbarten Berlin-Museums gedacht war, wo auch der Eingang liegt. Um den „Anbau" dennoch als selbstbewußtes Solitär erscheinen zu lassen, mußte er per Tunnel erschlossen werden. Der wird nun den Besuchern als „dramatische Leere" präsentiert, die Alt- und Neubau „in der Tiefe von Zeit und Raum verbinde". Albern formuliert, aber nicht gelogen. Der düstere Schlauch paßt gut zu dem beklemmenden Gesamteindruck des Baus. Es gab einen wahren Grund, ihn zu bauen, nun gibt es auch einen guten.

„In Berlin war alles symbolisch aufgeladen, jedes Detail raunte von hoher Bedeutung"

Ganz anders folgende Eingangssituation: Der neue Hauptbahnhof sollte, so die Entwurfsidee, den Umsteigeverkehr nicht nur abwickeln, sondern auch darstellen. Das Thema hieß „Kreuzung" und wurde mit den stadtbekannten Bügelbauten über der Ost-West-Trasse in Szene gesetzt. Aber auch das traditionelle Entwurfsthema für Bahnhöfe, „das Tor zur Welt", ist präsent: Die riesige Glashalle zwischen den Bügeln ist dramatisch schräg abgeschnitten und öffnet sich zu den beiden Vorplätzen im Norden und Süden, als wären sie Alexander- und Breitscheidplatz persönlich. Tatsächlich sind es menschenleere Flächen, die noch lange auf eine städtebauliche Fassung warten werden; wirklich bedeutsam, richtig voll oder wunderschön werden sie wohl nie. Warum gönnten ihnen die Architekten ein solches Brimborium? Um ein Zeichen zu setzen, ein Symbol für Zentralität und städtisches Leben. Wenn dieser Anspruch nur deutlich genug formuliert ist, so das Kalkül, wird auch die Stadt schon kommen, die Plätze sich mit Leben füllen und die Umgebung mit Geschäften und Hotels. Der „wahre Grund" für diese Entwurfsentscheidung ist vom „guten Grund" nicht zu unterscheiden. Jenseits von praktischen Notwendigkeiten ging es zuerst um die ehrgeizige, hoffnungsvolle Geste, das richtige Symbol für das „Tor zur Welt", das hier einmal entstehen soll. Leider kommt es vor, daß solche Gesten nicht hoffnungsvoll, nicht einmal naiv, sondern einfach nur verlogen sind. Auch der Eingang zum Bundeskanzleramt weist auf einen leeren Platz. Vor dem massigen, streng symmetrischen Bau wird eines Tages, wenn die Kassen überquellen, das „Bürgerforum" gebaut. Zu diesem Forum, dieser leeren Fläche „öffnet" sich das Kanzleramt, streckt Nord- und Südflügel weit aus und bittet mit offenen Armen, mit großen, sanft gerundeten Fenstern, Olivenbäumchen auf esoterisch geschwungenen Podesten und eleganter moderner Kunst, den Zaun, der die Bürger von ihrer Regierung trennt, zu vergessen. Einladend? Der wirkliche Eingang ist am Rand des Komplexes versteckt, die Staatsgäste gelangen quasi unterirdisch zu dem freundlichen Empfangshof. Und die Bürger dürfen die staatstragenden Spektakel, die dort stattfinden, allenfalls als Zaungäste bewundern. Die Symbolik dieses Eingangs ist ein Bluff. Indem er Offenheit suggeriert, versteckt er eine zitadellenhafte Unnahbarkeit, die einer Diktatur angemessen wäre.

Architektur wird immer für politische oder wirtschaftliche Ziele instrumentalisiert. Sie vermittelt ein Bild ­ von den Bauherren, Nutzern, Architekten, den Herrschern, der Gesellschaft, einer Utopie. Daß sich diese Bilder in Berlin so häufen, mag an der Geschichte liegen und an dem irrsinnigen Anspruch, den man aus ihr ableitete: Haupt- und Weltstadt, Fenster zur Freiheit oder Tor zum Osten, Wirtschaftsmetropole, Touristenmagnet, Zentrum für Fortschritt, Kompetenz und Gedöns. In Berlin war alles symbolisch aufgeladen, jedes Detail raunte von hoher Bedeutung und edler Gesinnung. Nun ist das Lobgeschrei heiser, das Stadtmarketing ein Hintergrundrauschen. Die Architekturbüros sind zurechtgeschrumpft und haben auch ohne Baukunst-Gewese genug zu tun; selbst die Senatsbaudirektion scheint die Lust an großen Ideen verloren zu haben. Die Symbole überwältigen nicht mehr. Jetzt können wir sie so sehen, wie sie sind: gelungen oder mißraten, modisch, gut gemeint, zukunftsweisend oder betrügerisch. 

Otto Witte

 
 
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