Panne und Pathos
Zur Symbolik der Hauptstadtarchitektur
Foto: Christian von Steffelin
Es schmetterten keine
Fanfaren, als sich die neue Senatsbaudirektorin Regula Lüscher
auf der diesjährigen Jahresausstellung der Architektenkammer
dem Fachpublikum vorstellte. Ihr Vorgänger Hans Stimmann
hätte sich zumindest einen launigen Paukenschlag
gegönnt. Sie aber erläuterte besonnen, fast versonnen
ihr Programm, bot allen ihre Zusammenarbeit an, lobte den guten Willen,
das Engagement der Architekten, ihr „ungeheures Wissen" um
diese Stadt, das sie, die Schweizerin, sich erst mühsam
aneignen müsse. Kaum bemerkte man die kleinen Spitzen: gegen
das rigide Planwerk Innenstadt etwa, das unter Stimmann noch als
verbindlicher „Entwurf" erschien, für
Lüscher aber nur ein allgemeines „Prinzip"
darstellt. Gegen die Fixierung auf das Zentrum und seine
architektonische Definition und die Vernachlässigung der
offenen, landschaftlichen Räume der Peripherie. Oder dagegen,
nur das ganz Alte und sehr Große, also das, was Politik und
Presse gerne „historisch" nennen, als authentisch und
wertvoll zu begreifen: Auch mit dem Abriß von Bauten der 60er
bis 80er Jahre „verlieren wir Identität und Heimat".
Herrlich, diese ruhigen Wörter. Für Lüscher
ist Berlin nicht Metropole, nicht Haupt- oder Weltstadt, sondern
schlicht und richtig „diese große Stadt".
So leise waren die Töne auf dem Podium,
daß kaum die Hälfte der Anwesenden
überhaupt zuhörte. Man plauderte und sah sich die
Arbeiten an, die die Kammer für ausstellungswürdig
befunden hatte. Man spürte den verhaltenen Optimismus, der die
Bau- und Planungsbranche ergriffen hat. Nach Jahren der Stagnation
kommt der Immobilienmarkt in Fahrt, die Baulöwen
rühren sich, die öffentliche Hand hat wieder Geld
für Gemeinschaftsbauten. In der Fachpresse stehen
ernstgemeinte Stellenanzeigen, während die Unis immer weniger
Absolventen ausspucken und mancher Kollege und Konkurrent schon
ausgewandert ist. Ein Architekt kann wieder optimistisch in die Zukunft
blicken, wie jeder andere Dienstleister auch. Er wird Aufträge
haben und Geld verdienen und seine Familie ernähren, das ist
doch schon mal was.
„Bei den aktuellen Bauten ist Symbolik
selten ein Unfall, sondern ein kalkulierter Teil der
Präsentation"
Draußen in der wirklichen Stadt, wo sich
Nutzer und Besucher, Kritiker und Touristenführer
herumtreiben, hält sich ein anderes Bild von Architektur. Der
Glaube, daß sie etwas zu besagen hat und auf die Gesellschaft
Einfluß nimmt, ist ungebrochen: Ein großes Hochhaus
ist ein „Leuchttum", eine Ost-West-Brücke
„vereint", kunterbunte Wohnhausfassaden fördern
„Individualität", offene Bürolandschaften
das „selbstbestimmte Arbeiten". Selbst einzelne Materialien
werden von Architekturkritik und Reiseführern metaphorisch
ausgedeutet: Glas gleich Offenheit und Transparenz, Stein gleich
Ewigkeit, Stahl gleich technischer Fortschritt, Holz gleich Liebe zur
Natur. Man glaubt an die Kraft der Symbole und wenn an eine
Kraft geglaubt wird, existiert sie dann nicht auch?
Ja und nein. Natürlich können
ein Ensemble, ein Gebäude, ein Bauelement Symbolkraft erlangen
und damit nach außen wirken. Nur ist dieser Prozeß
selten so gradlinig wie die Architekturführer behaupten. Es
kann z.B. versehentlich passieren, was natürlich die lustigste
Variante ist: das Symbol als Panne. Oder es geschieht gewollt, in dem
Sinne, daß eine eher funktionale Lösung
zusätzlich oder nachträglich um einen symbolischen
Gehalt ergänzt wird: das Symbol als Nebeneffekt. Dieser Gehalt
kann aber auch selbst die wesentliche Funktion eines Baus sein, der
praktische Nutzen ist dann nachrangig oder sogar irrelevant: das Symbol
als Ziel. Und schließlich kann es geschehen, daß
die architektonische Symbolik mit der Funktionsweise des Baus einfach
nichts zu tun hat. Dann haben wir den ganz normalen Bluff der
Propagandisten und Werbefuzzis vor uns: das Symbol als Reklame.
Deklinieren wir diese Varianten am Thema „Eingang" durch ein
banales architektonisches Element, das aber oft symbolisch aufgeladen
wird. Der Eingang definiert, wo bei einem Bau vorn ist, er entscheidet
über den ersten Eindruck, er ist das Hauptmotiv für
Erinnerungsfotos, Werbebroschüren oder Dokumentationen. Ist er
ein nüchterner Durchschlupf, wird man anders von einem Bau,
seinen Erbauern und seinen Nutzern denken, als wenn er als
große, pathetische oder sogar irreführende Geste
formuliert ist.
Der wohl prominenteste Eingang mit einer
pannenhaften Symbolik, den Berlin zu bieten hat, war einmal das barocke
„Lustgartenportal" des Stadtschlosses. Bei dessen
Abriß stellte die DDR das Portal samt Balkon, von dem, der
Legende nach, Karl Liebknecht eine Republik ausgerufen hatte, dem
Staatsratsgebäude vor die Nase. Da steht es nun und
erzählt von Revolutionen, Staatsräten und
dies nun der peinliche Subtext von Heuchelei, Trunkenheit und
nahem Winter. Denn die allegorischen Figuren unter dem Balkon stellen
den Herbst dar, und zwar mit Masken und Wein. Peinlich für die
Architekturpolitiker der DDR, aber ihren Nachfolgern im
Staatsratsgebäude geht es ähnlich: Auch bei der
Managerschule, die nun das Gebäude nutzt, könnten
Falschheit, Suff und Herbst als peinlich passende Symbole gedeutet
werden. Und noch grotesker wird es, falls eines Tages die Kopie des
Stadtschlosses errichtet wird und gleich zwei Liebknecht-DDR-Portale am
Schloßplatz stehen, das Original vor der
Kapitalistenkaderschmiede, die Kopie am Kaiserschloß.
Bei den aktuellen Bauten ist Symbolik allerdings
selten ein Unfall, sondern ein kalkulierter Teil der
Präsentation. Zwar bestimmt die Suche nach dem richtigen
Symbol nicht wirklich den Entwurfsprozeß der
Architekt hat meist genug damit zu tun, die konstruktiven,
juristischen, finanziellen Vorgaben zu erfüllen; sie sind der
„wahre Grund" für die meisten seiner Enscheidungen.
Der „gute Grund", den er dann der Öffentlichkeit
vorstellt, ist der ästhetische, historische, politische
Gehalt. Daß beispielsweise der Eingang zum Jüdischen
Museum als Tunnel formuliert wurde, lag zunächst einmal daran,
daß das Gebäude zunächst als Anbau des
benachbarten Berlin-Museums gedacht war, wo auch der Eingang liegt. Um
den „Anbau" dennoch als selbstbewußtes
Solitär erscheinen zu lassen, mußte er per Tunnel
erschlossen werden. Der wird nun den Besuchern als
„dramatische Leere" präsentiert, die Alt- und Neubau
„in der Tiefe von Zeit und Raum verbinde". Albern formuliert,
aber nicht gelogen. Der düstere Schlauch paßt gut zu
dem beklemmenden Gesamteindruck des Baus. Es gab einen wahren Grund,
ihn zu bauen, nun gibt es auch einen guten.
„In Berlin war alles symbolisch
aufgeladen, jedes Detail raunte von hoher Bedeutung"
Ganz anders folgende Eingangssituation: Der neue
Hauptbahnhof sollte, so die Entwurfsidee, den Umsteigeverkehr nicht nur
abwickeln, sondern auch darstellen. Das Thema hieß
„Kreuzung" und wurde mit den stadtbekannten
Bügelbauten über der Ost-West-Trasse in Szene
gesetzt. Aber auch das traditionelle Entwurfsthema für
Bahnhöfe, „das Tor zur Welt", ist präsent:
Die riesige Glashalle zwischen den Bügeln ist dramatisch
schräg abgeschnitten und öffnet sich zu den beiden
Vorplätzen im Norden und Süden, als wären
sie Alexander- und Breitscheidplatz persönlich.
Tatsächlich sind es menschenleere Flächen, die noch
lange auf eine städtebauliche Fassung warten werden; wirklich
bedeutsam, richtig voll oder wunderschön werden sie wohl nie.
Warum gönnten ihnen die Architekten ein solches Brimborium? Um
ein Zeichen zu setzen, ein Symbol für Zentralität und
städtisches Leben. Wenn dieser Anspruch nur deutlich genug
formuliert ist, so das Kalkül, wird auch die Stadt schon
kommen, die Plätze sich mit Leben füllen und die
Umgebung mit Geschäften und Hotels. Der „wahre
Grund" für diese Entwurfsentscheidung ist vom „guten
Grund" nicht zu unterscheiden. Jenseits von praktischen Notwendigkeiten
ging es zuerst um die ehrgeizige, hoffnungsvolle Geste, das richtige
Symbol für das „Tor zur Welt", das hier einmal
entstehen soll. Leider kommt es vor, daß solche Gesten nicht
hoffnungsvoll, nicht einmal naiv, sondern einfach nur verlogen sind.
Auch der Eingang zum Bundeskanzleramt weist auf einen leeren Platz. Vor
dem massigen, streng symmetrischen Bau wird eines Tages, wenn die
Kassen überquellen, das „Bürgerforum"
gebaut. Zu diesem Forum, dieser leeren Fläche
„öffnet" sich das Kanzleramt, streckt Nord- und
Südflügel weit aus und bittet mit offenen Armen, mit
großen, sanft gerundeten Fenstern, Olivenbäumchen
auf esoterisch geschwungenen Podesten und eleganter moderner Kunst, den
Zaun, der die Bürger von ihrer Regierung trennt, zu vergessen.
Einladend? Der wirkliche Eingang ist am Rand des Komplexes versteckt,
die Staatsgäste gelangen quasi unterirdisch zu dem
freundlichen Empfangshof. Und die Bürger dürfen die
staatstragenden Spektakel, die dort stattfinden, allenfalls als
Zaungäste bewundern. Die Symbolik dieses Eingangs ist ein
Bluff. Indem er Offenheit suggeriert, versteckt er eine zitadellenhafte
Unnahbarkeit, die einer Diktatur angemessen wäre.
Architektur wird immer für politische
oder wirtschaftliche Ziele instrumentalisiert. Sie vermittelt ein Bild
von den Bauherren, Nutzern, Architekten, den Herrschern, der
Gesellschaft, einer Utopie. Daß sich diese Bilder in Berlin
so häufen, mag an der Geschichte liegen und an dem irrsinnigen
Anspruch, den man aus ihr ableitete: Haupt- und Weltstadt, Fenster zur
Freiheit oder Tor zum Osten, Wirtschaftsmetropole, Touristenmagnet,
Zentrum für Fortschritt, Kompetenz und Gedöns. In
Berlin war alles symbolisch aufgeladen, jedes Detail raunte von hoher
Bedeutung und edler Gesinnung. Nun ist das Lobgeschrei heiser, das
Stadtmarketing ein Hintergrundrauschen. Die Architekturbüros
sind zurechtgeschrumpft und haben auch ohne Baukunst-Gewese genug zu
tun; selbst die Senatsbaudirektion scheint die Lust an großen
Ideen verloren zu haben. Die Symbole überwältigen
nicht mehr. Jetzt können wir sie so sehen, wie sie sind:
gelungen oder mißraten, modisch, gut gemeint, zukunftsweisend
oder betrügerisch.
Otto Witte