Broken Babylon
Die Rückkehr der Mäzene
Kunst als Mittel der sozialen Auszeichnung
Foto: Philipp von Recklinghausen
Der Flaneur, der von Unter
den Linden kommend Richtung Museumsinsel schlendert, wird am
Kupfergraben einen Neubau sehen. Es ist ein mehrstöckiges,
unprätentiöses, aber gediegenes Haus, das gerade
fertiggestellt wird. Große Fensteröffnungen sind zu
einem schmucklosen Baukörper aus planen Kuben kombiniert. Er
wird mit alten Ziegeln verklinkert und hebt sich von den historischen
Nachbargebäuden durch seine Schmucklosigkeit und die
willkürliche Anordnung der Fenster ab. Die Qualität
der Architektur, die exponierte Lage und die
Großzügigkeit des Baus lassen auf einen Bauherrn mit
exquisitem Geschmack und großen finanziellen Mitteln
schließen. Das Gebäude weigert sich konsequent, sich
anzubiedern und zitiert mit den wiederverwendeten alten Ziegeln das
nahe Pergamonmuseum. Es ist ein privates Haus. Es wird Wohnungen und
eine Galerie beherbergen. Bauherr ist Heiner Bastian, und David
Chipperfield der Architekt. Heiner Bastian ist in Berlin eine Person
des öffentlichen Lebens, er war Sekretär von Joseph
Beuys und ehemaliger Kurator des Hamburger Bahnhofs, ist international
agierender Kunsthändler und Betreuer der Sammlung von Erich
Marx, die zur Zeit noch im Hamburger Bahnhof gezeigt wird.
Heiner Bastian, durch das Geschäft mit
der Kunst reich geworden, kann es sich leisten, seine privaten
Ausstellungsräume in einem eigenen Haus gegenüber der
Museumsinsel unterzubringen und vor dessen Errichtung einen Wettbewerb
auszuloben, zu dem einige der weltbesten Architekten geladen wurden.
Und das Haus von Herrn Bastian entsteht direkt gegenüber der
Museumsinsel, symbolträchtig unweit des Zentrums der
nationalen Museumslandschaft gelegen, nicht weit entfernt von dem
Museum, das den Namen Wilhelm von Bodes trägt, der wie kaum
ein zweiter im Kaiserreich als Generaldirektor der staatlichen
Kunstsammlungen an der Schnittstelle zwischen der Macht und dem Geld
agiert und mit privater und staatlicher Hilfe Kunstsammlungen aufgebaut
hatte. Die Wahl des Bauplatzes und die Intention des Neubaues lassen
wenig Zweifel an dem Rang aufkommen, den der Bauherr für sich
in Anspruch nimmt.
„Der Vorrang des Privaten vor dem
Öffentlichen vollzieht sich, wenn die Privaten ihr Privates
als Zeichen der Repräsentation öffentlich machen"
Die gemäßigte, gediegene
Moderne des Hauses erzählt von dem langsamen Wechsel in der
Berliner Kunstwelt, von der Rückkehr der Mäzene, dem
erwachenden Engagement der Wohlhabenden und dem steigenden
Einfluß der Sammler. Der Vorrang des Privaten vor dem
Öffentlichen vollzieht sich, wenn die Privaten ihr Privates
als Zeichen der Repräsentation öffentlich machen. Was
ist, wenn die Ära des sozialen Ausgleichs und der kulturellen
Unruhe ersetzt wird durch die Repräsentation einer
wohlhabenden Schicht wie im wilhelminischen Deutschland? Was ist die
Rolle der Kunst dann, in dieser Zeit?
In den USA ist Kunst schon immer mit
Vermögen verbunden, einige der spektakulärsten Museen
des Landes haben ihren Ursprung in privaten Stiftungen. Kunst und Geld
gehören zusammen, sagte mir ein ehemaliger Galerist, der jetzt
noch einzelne Künstler betreut, weise und illusionslos
geworden in dem Geschäft, Kultur und Kunstwerke an Museen und
Reiche zu verkaufen. Er hat nie an sozial engagierte Kunst geglaubt,
für ihn sind Künstler Menschen, die sich mit Verve
etablieren müssen. Für ihn symbolisiert das Haus
Bastian in Berlin Klugheit im Kunstmarkt, der immer schon fest in den
Händen privater Sammler war, die mit ihrer Kaufpolitik nicht
nur ihr Vermögen vermehren, sondern sich auch als
Schwergewichte in der Sphäre der kulturellen Legitimation der
gegenwärtigen Verhältnisse etablieren. Kultur stellt
den Rang der Besitzenden aus, so war es für ihn immer schon,
wenn man von dem Ideal der Romantik, dem unverstandenen
Künstler, absieht.
So gesehen ist Kunst essentiell ein
Verkaufsobjekt, und die kleinen roten Punkte neben den Werken in
Galerien bedeuten die erfolgreiche Plazierung des Künstlers
als Marke im internationalen Kunsthandel. Wie bei Fonds, die Banken
auflegen, sind ausgewählte Indizes rasch vergriffen. Die
Rendite bei der Akquise von Kunst mag abenteuerlich erscheinen
wen wundert es, daß viele Studenten an den
Kunstakademien von Galeristen und Headhuntern beobachtet werden und die
besseren schon Verträge mit Galeristen haben?
Kleine rote Punkte gab es neben fast jedem Bild,
als Dash Snow in der Galerie Contemporary Fine Arts ausgestellt wurde.
The End of Living ... The beginning of Survival, so heißt die
Ausstellung. Dash Snow widmet sich den Drop Outs, seine Fotos zeigen
Arme, Häßliche, Sex, Drogen und die
Atmosphäre der verslumten Stadtquartiere. Sind es Polaroids,
die dem Düsteren noch einen weiteren Kick der Armut geben?
Dazu gibt es Collagen, großflächige Fotos mit viel
Fleisch und noch mehr Geschlechtsorganen, Zeitungsausschnitte von
Titelseiten amerikanischer Blätter, die den Tod Saddam
Husseins glorifizieren, eine Mischung aus Punk, Dada und einigen
Installationen. Eine eigenartige Atmosphäre des amerikanischen
Folk geht von diesen Werken aus, die wie eine museale Inkarnation der
Musik von Bonnie „Prince" Billie oder Hermann Düne
erscheinen, Punk, der jetzt künstlich verblichen ist und das
Ende einer Ära bedeutet.
Ohne Zweifel, hier wird ausgezeichnet zitiert und
dabei erneut ein Mythos beschworen, der sich in der Existenz der Loser,
der Verlorenen, des ,authentischen' Lebens jenseits der Viertel der
Mittelklasse manifestiert. Dabei pendeln die Werke auf eine raffinierte
Weise zwischen der Musealität der Avantgarde und jener
Bildästhetik des Schäbigen, wie sie unter anderem von
Vice, jenem kostenlosen Lifestylemagazin, das hie und da ausliegt,
propagiert wird. Dash Snow, der inzwischen als Künstler
überaus arriviert ist, ist dabei auf eine fast
inzestuöse Weise mit seiner Kunst verknüpft, rannte
er doch als Jugendlicher von seiner Familie fort, um, wie er sagt, in
New York mit Diebstählen und Graffiti seine Tage zu verbringen.
Allerdings war die Rolle, die er dabei gespielt
hatte, von dem Format eines klassischen Dramas, denn die Familie, der
Dash Snow entstammt, gehört zu den angesehensten Familien der
Ostküste. Reich, schwerreich, überaus eng mit Kunst
verknüpft, und etabliert in jeder Hinsicht, dazu hat Dash Snow
das Glück, ein sehr schöner Mann zu sein. Und jetzt
hat er es geschafft, sich selbst als Marke zu etablieren.
„Was bleibt, wenn Kunst zum Mittel der
sozialen
Distinktion wird"
Die Ausstellung hinterläßt
einen schalen Eindruck, nicht wegen der vielen roten Punkte oder den
freizügigen Penisfotos, unter denen die Angestellten der
Galerie im offenen Büroraum sitzen. Es bleibt das
Gefühl zurück, Gekonntes, aber nicht Eigenes gesehen
zu haben. Etwas, das marktkompatibel ist und nur kalkuliert provozieren
will. Hat man den Geschmack, den Dash Snow geerbt hat, gesehen und
nicht mehr? Ist ,taste', Geschmack, nicht auch ein Attribut einer
Schicht?
Der ruhige, freundliche Hinterhof, in dem die
Galerie Contemporary Fine Arts untergebracht ist, ist durch Stil und
offenkundige finanzielle Potenz in perfekter Langeweile sediert. Was
bleibt, wenn Kunst zum Mittel der sozialen Distinktion wird? Matthias
Bechthold hatte unweit davon im „Neuen Problem" eine
Ausstellung gehabt, ohne daß grüne oder rote Punkte
den Status des Verkaufes anzeigten.
Matthias Bechthold ist ein älterer,
hagerer und angenehm unprätentiöser Modellbauer. Was
er als Kunst fertigt, sind Stadtansichten aus Pappe, die hypertroph
wachsende urbane Szenarien entwerfen und aus japanischen Mangacomics
oder Artikeln von Rem Koolhaas über Megacities stammen
könnten. Es verdichten sich Pappbauten zu einer Landschaft,
aus der einige Hochhäuser wachsen und die wie ein
furchterregendes Abbild Sa˜o Paulos wirkt. Es gibt
Eisenbahnwagenmodelle und winzige Kinomodelle in futuristischen Bauten
mit eingebauten Bildschirmen. Allerdings wirken diese Kunstwerke sehr
privat, fast autistisch, ohne Verkaufsabsichten; es ist, als
würde man eine Zeitreise antreten, die in eine vergangene Zeit
futuristischer Pläne führen wird, in der Kinos und
Fernseher eine neue Zeit propagierten. Gleichzeitig strahlen einige
Entwürfe eine sogartige Faszination für eine
mögliche architektonische Form aus, die vor allem durch die
Schalen der Elektrogeräte, die in die Modelle eingeflossen
sind, bestimmt wird.
Nachts, in seinem Atelier, das in dem
Redaktionsgebäude des Neuen Deutschlands liegt und ein karger
Raum mit großen Fenstern ist, sieht man auf die
Hochhäuser des Wohnungsbaus der DDR. Hinter den Fenstern
flimmern Fernseher, davor ist eine vierspurige Straße. Eines
der Fenster des Ateliers ist zugewachsen mit Pflanzen, die die Fassade
emporwuchern. In einem der Modellkinos, das praktischerweise wieder die
Form eines Haushaltgeräts hatte, waren die Zuschauer schon
lange tot. Aus einem alten Lautsprecher klang Can, psychedelischer
Krautrock der 70er. Er paßte zu den großen Fenstern
des Ateliers, dem schmutzigen Teppichboden, dem abgegriffenen
Arbeitstisch und der geballten monströsen Moderne
draußen. Und plötzlich war in dem Atelier die Dichte
dieses Ortes und dieser Kunst gegenwärtig, die von dem
privaten Staunen erzählte und sich der Marktstrategie des
Ertrages zu verweigern scheint. Das Draußen und Drinnen
floß zusammen, es ließ einen innehalten, wie es nur
geglückte Erzählungen können und es
ließ vergessen, daß, wie Matthias Bechthold
einräumte, auch er, wie die meisten Künstler, ein
wenig egoman ist.
GMZ