Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Musik für die Massen

Der Kritiker ist tot ­ es lebe der Kritiker

Heute findet jede Zeitung
Größere Verbreitung durch Musikkritiker,
Und so hab auch ich die Ehre
Und mach jetzt Karriere als Musikkritiker.
Ich hab zwar ka Ahnung, was Musik ist,
Denn ich bin beruflich Pharmazeut,
Aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist:
Je schlechter, um so mehr freun sich
die Leut.

Es gehört zu meinen Pflichten,
Schönes zu vernichten als Musikkritiker.

Tatsächlich gibt es nichts befriedigenderes als einen amtlichen Verriß zu schreiben. Diese Lust an der Zerstörung fremder Schaffensfreude, den man schon beim Spiel kleiner Kinder in der Sandkiste beobachten kann, formulierte der österreichische Kabarettist Georg Kreisler in seinem Lied Der Musikkritiker trefflich. Nur haben sich die Zeiten geändert. Neben Regalmetern an diversen Musikjournalen und Fanzines sind es die vielen Plattformen im Internet, wo Lieblingslisten und bitterböse Kommentare erstellt werden ­ die bekanntesten finden sich wohl bei My Space oder Amazon. Dazu toben sich unzählige Schreiber in ihren Blogs und Foren über Mainstream und die abseitigsten musikalischen Subgenres aus. Gleichzeitig bieten kostenlose und zahlungspflichtige Downloads die Möglichkeit, Musik jenseits der üblichen Vertriebswege quasi an jedem Ort verfügbar zu haben. Kurz: Der Bann ist gebrochen, und so verliert der hauptamtliche Kritiker sein diktatorisches Regime über Geschmacks- und Qualitätsfragen in Sachen Musik

Geradezu radikal in Sachen Kritikerentmachtung sind aber Datenbanken, die maßgeschneiderte Musik nach Geschmack des Hörers ausspucken und den Musikkonsumenten so zum autonomen Pfadfinder machen, den Kritiker somit endgültig in den Ruhestand schicken. Am Anfang dieser Entwicklung stand eine Überlegung, die eher Unbehagen, denn wirkliche Lust hervorrief, denn hinter der Frage „Wieso mag jemand eine bestimmte Musik?" steht nicht das Individuelle, sondern die Suche nach einem musikalischen Code, der Musik, Bands und Künstler systematisiert und ihre Position in diesem Rahmensystem verortbar macht. So nennt sich die Gruppe, die hinter pandora.com steht, passenderweise auch gleich Music Genome Project. Aus rund 400 Merkmalen wie Melodie, Rhythmus und natürlich Text kristallisiert Pandora für jede Musik einen eigenen Code heraus. Der Nutzer der Seite kann nun eine ihm bekannte Band eingeben, und Pandora erstellt ein passendes Internetradioprogramm, durch den sich der Hörer streamen kann.

Die Idee der Social-Music-Portale hat im Laufe der Zeit eine Reihe von Nachahmern wie mog.com, finetune.com, mystrands.com oder last.fm gefunden, die alle nach dem gleichen Prinzip funktionieren: Entweder gibt man einen Bandnamen ein oder man läßt gleich ein Programm die eigene Festplatte nach vorhandenen Musiktiteln durchforsten. So oder so wird nach Musik ähnlicher Stilrichtungen gesucht. Durch permanente Bewertung der Musik durch den Nutzer verfeinern sich die Vorschläge ­ engen sich anderseits aber auch immer mehr ein. Im Zweifelsfall gilt es, das Programm neu zu starten, um sich einem neuen Stil widmen zu können. Für alle gilt aber: anhören: ja, downloaden: nein. Wenn's gefällt ­ meist sind über einen Klick „Amazon" oder „i-tunes" direkt mit der Website verlinkt und führen zum entsprechenden Album. Etwas anders funktioniert iJigg.com. iJigg ist eine Plattform für Bands, die noch keinen Plattenvertrag haben, deswegen können die Hörer die Stücke runterladen. Das garantiert die Begegnung mit unbekannten Klängen bei recht unterschiedlichen Qualitätsstandards.

Es ist ja keine neue Erkenntnis, daß sich der Musikmarkt im Umbruch befindet, und über die verschlafene Musikindustrie ist auch schon viel geschrieben worden. Interessant ist die Frage, inwieweit die Autonomie, die jeder dank der Social-Music-Portale zur Verfügung hat, auch dauerhaft auf Interesse stößt. Probieren geht über studieren ­ so kann man das Motto dieser Portale zusammenfassen. Der Nachteil all dieser Angebote ist natürlich, daß immer der Rechner das Medium der Vermittlung ist. So sitzt man vor seinem Monitor und klickt sich von Song zu Song ­ nicht gerade sexy. Dazu kommt die schier unbegrenzte Anzahl des Datenmaterials, die diese Projekte eher unattraktiv macht. Da bricht dann die Sehnsucht durch nach einer klaren Empfehlung, nach einer Liebeserklärung an ein Album oder eben auch nach einem ordentlich Verriß aus berufenem Munde.

Und was ist das Ende vom Lied? Nach Georg Kreisler ganz einfach: Nieder mit Musik! 

Marcus Peter

 
 
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