Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Uns bleibt immer noch Bukarest

Warum junge Ausländer nach Berlin kommen und welche Spuren sie hinterlassen


Foto: Christian Reister

Berlin gebärdet sich wie eine Dauerbewerberin. Per weltweitem Vorstellungsgespräch will sie endlich den Job „Metropolendarstellung" ergattern. Die Stadt hat sich aufgehübscht für jede neue Vorstellungsrunde, hat in neue Kostüme investiert und Gesichtsgymnastik gegen die Sorgenfalten betrieben, um international im Städtewettbewerb mithalten zu können. Es gab die zeitweilige Vermarktung der „Schaustelle", „Loveparade", „Partyhochburg", „Designcity" und schon Vergessenes mehr. Die Touristen schauten pflichtschuldig vorbei, so wie sie überall vorbeischauen, wo etwas los ist, die Beamten trafen zwangsweise ein, die Investoren hingegen kamen nur zögerlich.

Wirklich freiwillig nach Berlin ist in all den Jahren nur die Jugend und die Berufsjugend aus dem In- und Ausland geströmt, die wenig Geld hat, hier billig leben kann, studiert oder sich mit Jobs mal gut, mal weniger gut über Wasser hält. Mittlerweile hat die Stadt zumindest in dieser Hinsicht international den Ruf, anziehend zu sein. „Arm, aber sexy", so brachte Bürgermeister Klaus Wowereit die ambivalente Situation 2003 auf den Punkt. Die Fingernägel sind also weiterhin dreckig, aber durch den Riß in der Hose sieht man wenigstens gleich die nackte Haut. Doch Sexiness in Kombination mit Armut hat nur begrenzten Charme und läßt sich dazu noch schlecht vermarkten. Ein Image, das mit Kultur und Kreativität verbunden wird, ist da viel ausbaufähiger.

Im Mai 2005 veröffentlichten die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen sowie die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur übergreifend den ersten Kulturwirtschaftsbericht Berlins. Der Report faßte zum ersten Mal die Umsatz- und Beschäftigungszahlen der sogenannten Kulturwirtschaftsbranchen zusammen. Ein bunter Strauß entfaltete sich da: Kunstmarkt, Musikwirtschaft, Buch- und Pressemarkt, Film- und Fernsehwirtschaft, Architektur, darstellende Kunst, Werbung und Softwareentwicklung. Alle Bereiche zusammen erwirtschafteten damals rund acht Milliarden Euro pro Jahr, das waren 11 Prozent des Bruttoinlandsproduktes Berlins.

„In Berlin kann man zwar billig leben, aber Geld verdienen kann man in fast jeder anderen Stadt besser"

Zwei Jahre später, im Juni 2007, gibt es nun den zweiten Bericht, allerdings diesmal allein von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen präsentiert. Die neuen Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung werden jetzt der „Kreativwirtschaft" sowie dem „Cluster Kommunikation" zugeordnet ­ ein bißchen Show muß sein. Man ist ein wenig überrascht, was sich alles zur Branche zählen darf: Informations- und Kommunikationstechnik, die Kreativwirtschaft natürlich mit ihren explizit künstlerischen Bereichen, der Musik und der Malerei, sowie die Presse, die Verlage und die Werbung. Nicht zu vergessen aber auch die Marktforschung sowie allen Ernstes die privaten Kurierdienste. Landläufig stellt man sich unter kreativer Arbeit ja immer noch den bebrillten Designer vor, der den ultimativen Eierlöffel entwirft. Aber diese Zeiten sind längst vorbei, und unter dem Oberbegriff „Kommunikation" läßt sich schließlich auch so einiges verbuchen. Zumindest wächst und gedeiht laut Senator Harald Wolf auch weiterhin die Branche, wohl auch deswegen, weil da so ziemlich alle mitmachen dürfen.

Stadtmarketing-Agenturen wie Berlin Partner versuchen nun, dieses Image wieder hinaus in die Welt zu tragen und „‚Kreativität' als Wirtschafts- und Standortfaktor stärker international zu kommunizieren", das heißt die einst billigen Freiräume, quasi die Armut in veredelter Form zu präsentieren, auf daß langfristig die Wertschöpfung greife. Was aber veranlaßt die eigentlich Kreativen, zum Beispiel die junge Ausländer, in die Stadt zu kommen?

Oft waren sie zunächst im Urlaub in Berlin und hatten sich „in diese Kieze verliebt" oder kamen zum Studium in die Stadt. Matthew aus London, der im Buchhandel arbeitet, hat immerhin schon in der Schule Deutsch gelernt, bevor er übersiedelte. „In Berlin kann ich von wenig Arbeit relativ gut leben", erzählt er. Londons Mieten seien dagegen exorbitant hoch, nur am Stadtrand gäbe es noch bezahlbaren Wohnraum. Auch Alex aus Italien, der ein Internetmagazin publiziert und zwischen New York und Berlin pendelt, verweist auf die Vorteile des „billigen Berlins": „Die Stadt ist perfekt, um ein Unternehmen zu gründen, weil man hier nicht viel Startkapital benötigt", ist seine Erfahrung. Allerdings attestiert er den Berlinern im Vergleich zu den New Yorkern, in dieser Hinsicht kaum „ambitious" zu sein. Ignacio, ein junger Chilene, der an der TU Berlin zum Thema „Citymarketing und Stadtimages in Reiseführern" promoviert, glaubt, daß das, was diese jungen Leute anlocke, der Mythos der „Berliner Luft" sei. Gemeint ist damit die Toleranz, der große Freiraum für kreative Entfaltung und nicht zuletzt die Multikulturalität Berlins. Interessanterweise arbeiten die Ausländer selbst am stärksten an der Verwirklichung eines Mythos mit, wegen dem sie eigentlich gekommen sind.

Die meisten haben bereits kosmopolitische Erfahrungen und vergleichen Berlin mit anderen Städten. Deshalb ist für die meisten Berlin auch nicht eine echte Wahlheimat, sondern lediglich eine Zwischenstation. Laura etwa, eine dänische Musikerin, kennt viele junge Ausländer, die wie sie nur im Sommer nach Berlin kommen, da es im Winter nicht auszuhalten sei. Cloe aus den USA, die ebenfalls nach Berlin kam, um in der hiesigen Techno-Szene mitzumischen, pflichtet ihr bei: „Viele Leute aus den Staaten benutzen Berlin nur als erste Station einer Europareise. Und viele junge Europäer kommen nach Berlin, weil es sich hier noch am ehesten nach New York anfühlt."

Kann man sich in so einer Situation, in so kurzer Zeit überhaupt mit der Stadt identifizieren oder bleibt man nicht dauernd Tourist? Nein, meint Ignacio, es sei erstaunlich einfach, gefühlter Berliner zu werden. Zwar sehe er sich eher als Kreuzberger, aber auch die Debatte um den Abriß des Palastes der Republik habe ihn sehr bewegt. Die jungen Ausländer tragen ihre Verbundenheit mit Berlin durchaus mit Selbstbewußtsein vor. Ignacio meint scherzhaft: „Wenn die Stadt weiter so radikal umstrukturiert wird, hauen wir alle wieder ab."

„Die jungen ausländischen Kreativen sind extrem mobil, sie können sich schon morgen auf eine neue Stadt stürzen"

Damit ist ein weiterer Aspekt der „Berliner Luft" angesprochen: Viele der jungen Ausländer haben Berlin als charmant-schmutzige Stadt kennengelernt, die viel Improvisation zuließ und einen ganz eigenen verlotterten Reiz hat. Laura war entsetzt, als sie nach zwei Jahren im Ausland wieder nach Berlin kam: „Überall wachsen Bürogebäude in die Höhe, alles wird saniert und bonbonfarben angemalt. Die Mieten steigen ständig, und alles ist voll mit Yuppies". Daß diese Phänomene natürlich auch eine Folge des Berlinbooms und der eigenen Rolle in der Stadt sind, ist ihr und den anderen Kosmopoliten bewußt. Wie Ignacio warnt sie aber: „Wenn Berlin aussieht wie London oder Paris, gibt es für uns keinen Grund mehr, für längere Zeit hier zu leben. Außerdem können wir es uns dann nicht mehr leisten."

Apropos: Fühlt man sich als junger Ausländer in Berlin willkommen? „Nun ja, es wird einem durchaus mit wohlwollendem Interesse begegnet", findet Laura, allerdings, da sind sich alle Befragten einig, sei es mit der Internationalität auf sprachlicher Ebene nicht besonders weit her in Berlin. Zwar sprächen gerade die jungen Leute mehrheitlich gutes Englisch, aber schon bei der Wohnungssuche, dem Einkauf und erst recht bei Behördengängen sei man ohne halbwegs passables Deutsch aufgeschmissen.

Was aber hat Berlin von diesen jungen Ausländern? Wenn sie Geld verdienen, dann meist nicht genug, um hier Steuern zu bezahlen. Außerdem bleiben die meisten nur ein bis drei Jahre. Können sie in dieser Zeit etwas schaffen, wovon Berlin und die Berliner dauerhaft profitieren? Ignacio gibt zu bedenken, daß Berlin nicht nur große Teile seines Flairs und damit seiner touristischen Anziehungskraft den jungen Ausländern verdanke, sondern auch weniger Einwohner hätte als geplant. Das heißt, daß ohne die vielen Austauschstudenten und Zwischennutzer die Stadt nicht nur langweiliger wäre, sondern auch leerer. Der junge Akademiker möchte die Frage auch gerne umgekehrt gestellt wissen: Er glaube, daß es sich viele vorstellen könnten, dauerhaft in Berlin zu bleiben, weil es ihnen hier gefalle, sie sich an das Leben gewöhnt hätten oder auch Freunde und Partner gefunden hätten. Aber: „Berlin bietet keine Arbeitsplätze, weder für Deutsche noch für Ausländer. Da kannst du noch so jung, kreativ und kosmopolitisch sein, in Berlin kann man zwar billig leben, aber Geld verdienen kann man in fast jeder anderen Stadt besser!"

Es gibt allerdings inzwischen auch ein neue Form von verborgenen Arbeitsplätzen in Berlin, von denen Alex berichtet: „Viele Ausländer arbeiten übers Internet für Auftraggeber aus ihrer alten Heimat und werden auch von dort bezahlt." Weil die Stundenlöhne dort wesentlich höher seien, könnten sie sich ohne weiteres die teuren Mieten zum Beispiel in der Spandauer Vorstadt im Bezirk Mitte leisten. „Für eine vergleichbare Wohnung in London oder New York reicht der Verdienst nicht aus, aber in Berlin können sie es sich gut gehen lassen und sogar noch sparen."

Die jungen ausländischen Kreativen sind extrem mobil, sie können sich schon morgen auf eine neue Stadt stürzen. Denn die vielgerühmten Unternehmen der kreativen Branche bestehen oftmals lediglich aus einigen Computern und einer Kaffeemaschine. Es stellt sich also nur die Frage, ob sie dann in Pasewalk oder in Bukarest ans Stromnetz gehen.

Moritz Feichtinger/Sabine Schuster

 
 
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