Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Asbestalarm!

Wie die Stadt zum Hasenbrot wurde

„Berlin braucht eine Gründerzeit mit Markanz und Brutalität." Hanno Klein, Referatsleiter und Investorenbetreuer in der Senatsbauverwaltung, 1991

Touristenschiffe schaukeln über die Spree, vorbei am Kanzleramt, Regierungsviertel, Hauptbahnhof mit halbem Dach. In Höhe des Marx-Engels-Forums bestaunen die Berlin-Besucher eine halb demontierte Ruine. Doch kaum einer der sonst so routiniert dozierenden Stadtbilderklärer verliert ein Wort über sie. Vielleicht, weil es zu kompliziert ist zu erklären, was hier vor sich geht. Warum in Berlin ein erst 30 Jahre altes Gebäude abgerissen wird, das weltweit als Symbol deutscher Geschichte galt und zuletzt als der aufregendste Kulturort der Stadt gefeiert worden war.

Es war wie selbstverständlich das Ostberliner Zentrum zwischen Alexanderplatz und Schloßplatz, das sich die Demonstranten im Herbst 1989 nahmen. Der Palast der Republik, von den Ostlern bis dato bespöttelt wie genutzt, wurde plötzlich zum hochpolitischen Ort: Wo sich noch zum 40. Jahrestag der DDR die Apparatschiks abgeschottet hatten, zogen am 4. November 500000 Demonstranten vorbei, hier stellten sie ihre Transparente aus. Am Tag der ersten freien Volkskammerwahl drängelten sich Hunderte internationaler Kamerateams im Foyer. Hier beschloß die Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik ­ um das Gebäude anschließend fluchtartig zu verlassen: Asbestalarm! Die neue Berliner Gründerzeit begann.

Noch tummelten sich auf dem Potsdamer Platz die Hasen und wurde auf dem Polenmarkt im einstigen Niemandsland getrödelt, da war das Areal schon für ein Hasenbrot verscherbelt. Politiker und Investoren kriegten vor Aufregung rote Köpfe: Hauptstadtbeschluß! Regierungsumzug! Ost-West-Drehscheibe! Olympia 2000! Und all die schönen Grundstücke, die plötzlich von der Rand- zur 1a-Lage geworden waren. Die Wachstumseuphorien nahmen fast wahnhafte Züge an: Man phantasierte von fünf Millionen Einwohnern und Hunderttausenden zusätzlicher Quadratmeter Büro- und Handelsflächen, die benötigt würden für all die großen Konzerne, die nun nach Berlin kämen. Besondere Fürsorge galt dabei dem Ostteil der Stadt ­ „Pionierland", das jede Menge Potential bot: als Immobilien-, Absatz-, Privatisierungs- und Arbeitsmarkt.

Chefplaner im Buddelkasten

Feuchte Investorenträume und die Metropolen- Ambitionen des überforderten Senats (nicht wenige Koryphäen waren diskret von der westdeutschen Provinz in der ungeliebten neuen Hauptstadt entsorgt worden) ergaben eine fatale Allianz: Nicht nur, daß die Stadt Anfang der Neunziger eine rasante Deindustrialisierung zu verkraften hatte ­ neben den Arbeitsplätzen verschwanden vor den Augen der verdutzten Bewohner plötzlich auch Straßennamen, Denkmäler, Parks, Gebäude, ganze Industrieareale. Schneller als man gucken konnte, waren das Lindencorso, das Stadion der Weltjugend, Checkpoint Charlie, das Außenministerium oder der alte Zentralviehhof geschreddert. Dafür wurden den Berlinern unverdrossen immer neue hochfliegende Pläne um die Ohren gehauen: Regierungsviertel! Hochhausgewitter am Alexanderplatz! Neue Urbanität am Potsdamer Platz! Historisierende Sofakissen auf dem Pariser Platz! Die Friedrichstraße wurde in Nullkommanichts auf Luxuszone getrimmt, derweil Wilhelm von Boddien seine Schloßfassaden-Phantasien in Plastikfolie auf dem Schloßplatz zusammenfrickelte ­ direkt vor dem Palast der Republik, dessen Abriß schon so gut wie beschlossen war. Zeitweise wirkte die Stadt wie ein überdimensionierter Buddelkasten, in dem die Chefplaner munter mit Sandburgen experimentierten.

Doch ging die Gründerzeit nicht nur mit Brutalität, sondern vor allem mit bemerkenswerter Ignoranz einher: All die spaßigen Rotunden, Info-Boxen und „Schaustellen", mit denen die Insassen über den ihnen bevorstehenden Anstaltsumbau belehrt wurden, all die hübschen Euphemismen und Superlative (gern schwärmte man von „Kran-Balletten" und der „größten Baustelle Europas") konnten kaum darüber hinwegtäuschen, daß die Bevölkerung dabei eher als Störfaktor empfunden wurde. Das Anfang der Neunziger installierte „Stadtforum" als Ort der öffentlichen Debatte verkam bald zur Alibiveranstaltung mit Beteiligungstouch fürs Fußvolk, dafür hohem pädagogischen Wert. Insbesondere die Ostberliner, die gerade ihre Lust an demokratischer Teilhabe entdeckt hatten, fanden sich unvermittelt auf den Bänken einer Klippschule wieder. Gern teilte ihnen Senatsbaudirektor Stimmann mit, daß sie im Grunde „abartig" gelebt hatten: all diese Plattenbauten mit Abstandsgrün, und dazu noch die Datschen.

Mit besonderer Inbrunst widmeten sich die Hauptstadtcowboys der Ostberliner Moderne. Die klassischen Bauten der Sechziger und Siebziger, die offenen Plätze und großzügigen Räume schienen bei ihnen geradezu Ekel hervorzurufen: Das denkmalgeschützte „Ahornblatt" des weltweit geschätzten Architekten Ulrich Müther wurde „kritisch rekonstruiert" (also trotz aller Proteste abgerissen und durch einen stupiden Riegel ersetzt); öffentliche Räume, deren Zustopfen etwas länger dauern konnte, wurden vorsorglich diskreditiert und verbal zur Abschußreife gebracht: der Alexanderplatz „zugig", geradezu der „Vorhof der Mongolei", der Schloßplatz ein „Windkanal" und „Acker historischer Denkmäler", auf dem „viele die Grenzen ihrer seelischen Belastbarkeit längst erreicht" hätten. Insbesondere der Schloßplatz wurde zur Projektionsfläche der Repräsentationsphantasien: hochgejazzt zum „Herz der Republik", gar zum „identitätsstiftenden Ort" für 80 Millionen Bundesbürger.

Immerhin ging der Stadt nie der Gesprächsstoff aus: Bauskandale, windige Grundstücksdeals, Pannen. Der durchschnittliche, von der öffentlichen Hand errichtete Berliner Neubau kostete in der Regel das Doppelte des ursprünglich Kalkulierten, wurde Jahre nach dem eigentlichen Termin fertiggestellt und funktionierte hinterher irgendwie nicht so richtig. Unterdessen wurde der Palast für den bevorstehenden Abriß asbestsaniert und bot ein immer traurigeres Bild. Schräg gegenüber wurde das in den Siebzigern erbaute Palasthotel geschreddert. Ein Taxifahrer murmelte: „Dit sieht hier aus wie im Bürgerkrieg." Außerhalb Berlins erntete man bloß Kopfschütteln bei dem Versuch, das Geschehen zu erklären. Im Ausland verstand man sowieso nicht, warum Berlin so vehement versuchte, sich des Interessantesten zu entledigen, das es zu bieten hatte: seiner jüngeren Geschichte, seiner Vielschichtigkeit und Disparatheit.

Daß es um viel mehr als um bloße Architekturdebatten ging, wurde spätestens bei der Präsentation des „Planwerks Innenstadt" auf einem „Stadtforum" Ende 1996 deutlich, die vor so großem Publikum eigentlich gar nicht vorgesehen war: Monatelang hatten die Planer im Auftrag des Stadtentwicklungssenators hinter strikt verschlossenen Türen an einem Masterplan gebastelt, der die Innenstadt wieder auf den barocken Grundriß der Vorgründerzeit zurückbeamen sollte. Und deshalb waren sie nicht eben amüsiert, als die Vorabveröffentlichung der Pläne durch taz und scheinschlag eine Menge streitlustiger Bürger auf den Plan rief. Doch alle verbale Zuckerwatte wie „Identität", „Urbanität", „historische Rekonstruktion" oder „Stadtreparatur" konnte nicht verbergen, worum es wirklich ging: um Deutungsmacht, um die Sehnsucht nach einer idyllischen, „heilen" Stadt, die sich nicht länger „stadträumlich im verschlissenen Unterzeug seiner Teilungsgeschichte darstellt" ­ mithin um das Schmirgeln von Geschichte. Aber nicht nur die Bauten der Moderne beispielsweise an der Leipziger Straße waren aus Sicht der Planwerker falsch ­ die Bewohner waren es offenbar auch. Sie waren auch gar keine Bürger mehr, sondern lediglich „rechthaberische Basis", wenn nicht gleich der „Ossi-Zoo". Heiß herbeigesehnt wurde dagegen der „neue Stadtbürger", auch „Urbanit" genannt, eine Art Promenadenmischung aus flanierendem Bourgeois und Häuslebauer.

Kampfansage an die reale Stadt

Das Planwerk war tatsächlich eine „Kampfansage", wie seine Autoren es intern tituliert hatten: eine Kampfansage an die reale Stadt. Man muß schon viel Widerwillen gegen eine Stadt, ihre Geschichte und ihre Bewohner entwickeln, um mit solchem Gestus nach ihr zu greifen. Doch den Bilderkampf gegen die Wirklichkeit kann man nur verlieren. Es war ein fast tragischer Moment, als Senatsbaudirektor Stimmann Ende der 90er von Demographieexperten vernehmen mußte, daß weit und breit keine wohlhabenden Urbanitenschwärme in Sicht seien, sondern vor allem Migranten auf der Suche nach Jobs.

Der Kater nach dem Metropolenrausch war gewaltig. Die Olympiaträume waren bereits 1993 peinlich geschei-tert, als Erinnerung blieben riesige städtische Brachen. Der große Boom fand nicht statt. Ende der Neunziger brach der Berliner Immobilienmarkt zusammen, der Leerstand von Büros, Geschäf-ten und Wohnungen war enorm. Die Stadt driftete sozial auseinander, „aufgewerteten" Wohlstandsinseln standen immer mehr sogenannte „Problemquartiere" gegenüber. Der Bankenskandal brachte das ohnehin hochverschuldete Berlin an den Rand der finanziellen Katastrophe.

Ironie der Geschichte: Als die Stimmung in der Stadt auf dem Nullpunkt war, erlebte ausgerechnet die berühmteste Berliner Ruine ein furioses Comeback ­ der längst totgesagte, bis aufs Betonskelett reduzierte Palast der Republik. Das war weniger Zufall denn bezeichnend: Eine junge, pragmatische Generation setzte den nostalgischen Luftschlössern der Altherrenriege ihre eigene Vorstellung von Urbanität entgegen und ertrotzte eine kulturelle Zwischennutzung. Der Palast rockte, die Schlangen vorm Eingang waren rekordverdächtig. Von New York bis Paris sprach sich die Attraktion herum, schrieben Zeitungen begeistert über die temporäre Kunsthalle.

Das hinderte den Senat, der sonst so sehr um internationales Renommee buhlt, nicht daran, den Abriß zu exekutieren. Sie planen an diesem Ort jetzt übrigens eine temporäre Kunsthalle. So lange, bis Wilhelm von Boddien die seit 15 Jahren versprochenen 80 Millionen Euro Spendengelder für die Schloßfassade eingesammelt hat (das könnte allerdings dauern). Einfacher wäre es natürlich, die alten Attrappen-Planen über die Palastreste zu hängen, aber pragmatische Kompromisse waren ja noch nie Berlins Stärke. Immerhin sind kaum noch Klagen über den jetzt noch zugigeren Schloßplatz zu vernehmen ­ vielleicht, weil inzwischen nicht nur im Osten ein rauer Wind weht. Oder weil Aussicht auf ein kuscheliges Schloßeckchen besteht.

„Würde", „Hauptstadtwürde" war eine der Lieblingsvokabeln der Planwerksstrategen. Wenn hier derzeit überhaupt irgendetwas Würde ausstrahlt, dann sind es die Überreste des Palastes der Republik. Am Ende hat er mehr geschlossene Jahre im Westen erlebt als belebte Jahre im Osten, still unendliche ideologiebeheizte Debatten über sich ergehen lassen ­ und war einfach ein vielseitig nutzbares Gebäude, das (wenn man das wissen wollte) viel über deutsch-deutsche Geschichte erzählen konnte. Zum Abschied ziehen wir den Hut vor einem Ort, der ursprünglich nicht Heimat war, aber wurde.

Ulrike Steglich

 
 
Ausgabe 06 - 2007 © scheinschlag 2007