Wir sind der Sprache mächtig
Neue Gedichtbände, für die, die keine Gedichtbände kaufen
„Wir schreiben nicht oft Gedichte", lautet eine
Zeile von Sascha Anderson aus den 80er Jahren, als man zumindest im
sprachlichen Untergrund der DDR mit Lyrik noch das Subversive behaupten
konnte. Zwischen den Zeilen fanden sich die Botschaften zur
Entzündung des Urwalds nahe Spree und Elbe. Die vorausgegangenen
Avantgarden waren fern und jeder sein eigener Neodadaist. Die
berüchtigte Prenzlauerberg-Szene wohnte im Friedrichshain, Bert
Papenfuß und Stefan Döring waren kein Kneipiers und die
Kastanienallee brachte Ausdrücke hervor, die heutzutage vor dem
Kaufdichglücklich mit keinem Erasmusstudentinnenlächeln
bedacht würden. Das ist alles undenkbar lange her, doch das
Hamsterrad der Lyrik dreht sich weiter, es wirft ja noch Perlen vor die
Säue! Wir wollen das gutheißen, wir lesen nicht oft
Gedichte. Wir sind der Sprache mächtig, sofern sie uns syntaktisch
bestätigt, daß der Satz eine grammatikalische Ordnung zu
haben hat, die sich aus der Einbahnstraßenregelung ergibt.
Fragmentierte Gewässer heißt der zweite
Gedichtband von Ron Winkler (Jg. 1973), der sich bis auf eine handvoll
Kindheitsgedichte die Natur nach der Natur zum Gegenstand gemacht hat:
zeitgeistlich cool, süffisant und geschmacklich ausgereift. Mit
linguistischen Einsprengseln der Maschinen- und Fachsprachen
durchdringen diese lyrischen Gebilde ihr Sujet, ironisieren ihr Thema
und gelangen dabei zu berückenden
Findungen. Die Texte wirken postmodern abgehangen wie gut aufbewahrte
Delikatessen, deren Aromen sich wie ein über Jahre gelagerter
Burgunder zu entfalten wissen: „die Seen, die wir sahen, waren
durch Schwäne/mit dem Meer verbunden. ihre Schreie klopften nicht/
an, sie traten gleich ein (auch weiß waren sie nicht)." Ron
Winklers Landschaftstexturen neuen Stils, die das tradierte
deutschsprachige Naturgedicht der Waldeinsamkeit ad absurdum
führen, muß man brillant nennen, so schön, so
glücklich semantisch gefügt ist ihre Oberflächenpolitur:
„die Dinge stehen im Wettbewerb. zwei Strandkiefern/ringen um die
ästhetischste Neigung." Manchmal kommt diese aufgerufene
fremdwortverwöhnte Wissendheit artistisch daher, die Ironie neigt
mitunter zu Reflexen der Reizüberflutung; am suggestivsten sind
Winklers Gedichte, wenn sie Erfahrenes versinnbildlichen.
„Punk as fuck" könnte als Motto über den
Gedichten des österreichischen Autors Stefan Schmitzer (Jg. 1978)
stehen. Die Sammlung moonlight on clichy, die zum Teil auf die einst
innovativ bahnbrechende
„Ich-scheiß-auf-deutsche-Texte"-Musikszene verweist.
Daß es sich hier nicht um Weichspülerpop handelt, sondern um
stimmlich verstärkte Beatlyrik nach dem Ende der Beatlyrik, ist
allemal erfreulich. Am eindrucksvollsten gelingt es Schmitzer bei
seinem Debut, in den längeren Gedichten assoziative Wahrnehmungs-
und Bewußtseinsketten spielerisch miteinander zu verbinden:
„ich singe den grund-/mauernblues, den glutshuffle für den
außen-/bezirk, für die vorstadtpomeranze und die
glockenblume, milch-/weißer arsch und milch-weißer
blütenkelch ..." Hören wir da etwa so was wie Groove in einem
deutsch-sprachigen Gedicht, im Gegensatz zu den sonst vorherrschenden
restaurativen Tendenzen, die so gern preisberühmt von
schmalstirnigen Kritikern gerühmt werden? Dieser Autor nimmt seine
Leser mit in den rasenden Puls der Sprache, zum Herzschlag der besseren
Musik. Allerdings: Einige Gedichte strotzen so vor Attitüde, was
den Texten eher an Facettenreichtum und Möglichkeiten nimmt,
daß man sich erinnert fühlt an Nachmittage in den
frühen 90er- Jahren, als das Heimgras noch gut war, als die
Hausapotheke noch half und Gedichte von Rolf Dieter Brinkmann haltbar
erschienen. Allenthalben Respekt gilt dem droschl-Verlag aus Graz
für diese wagemutige Veröffentlichung in Zeiten zunehmend
apolitischer Verleger und eines fast schon servil zu nennenden
Literaturbetriebs.
Florian Voß (Jg. 1970) hat seinem zweiten
Gedichtband Schattenbildwerfer zumindest partiell eine Frischzellenkur
verordnet. Eine Erweiterung der Themen und Stimmlagen ist erkennbar,
mitunter sogar ein Kalauern über der Bewunderungspfalz: „Der
deutsche Himmel ist aus Puffreis/dahinter lauern Nazi-Engel". Es bleibt
dem Leser überlassen, seine eigene politisch unkorrekte Lesart zu
finden, wenn Voß zwei Zeilen aus dem Horst-Wessel-Lied in sein
Gedicht stellt und damit parodiert. Legitim ist das allemal und so
heißt es in „Volkslied": „Am Brunnen vor dem Tore/vor
der Kaserne/steht eine Tribüne/Die Fahne hoch/die Schellenkappe
auf/Die Reihen fest geschlossen/ihr lieben Volksgenossen/und immer um
den Lindenbaum". Ansonsten herrschen dunkel gefärbte
melancholische Töne vor, Elegisches, ein Mix aus
Spätexpressionismus und barocken Anklängen. Das alles kommt
bei Florian Voß mittlerweile stilistisch ausgewogener daher als
noch vor Jahren, im Bemühen um sprachliche Konzentration, im
Ringen um das gelungene Bild, im Gelingen von Rhythmus und Klang. So
stellen sich hier und da Verse von beinah klassizistischer
Schönheit ein, die sich auf ihre Art in die sprachmusikalische
Gedächtnisplatine einbrennen: „Mit der Hitze des Sommers bin
ich per Sie ...// Die Bauarbeiter am Weichselplatz/gehen auf ein Bier
in den Landwehrkanal".
Die Gedichte von Monika Rinck versprühten schon
immer die Aura des Besonderen. Mit ihrem neuen, zweiten Lyrikband zum
fernbleiben der umarmung ist ihr jetzt der große Wurf gelungen,
von dem die meisten ihrer dichtenden Kollegen und Kolleginnen nur
träumen können. Die 1969 geborene Autorin gelangt hierin zu
einer Symbiose aus Sprach- und Zeitkritik, wie sie hierzulande
äußerst selten zu finden ist: „was ist denn das
fürne pflanze? die hat heidrun mitgebracht, man hat/schon hunde
ohne fell gezüchtet, hat man, aber pflanzen ohne blätter?/vor
diese pflanze stelle ich mich hin und sage in das surren der rechner:
„einst ruhe ich ewige zeit." und denke das draußen, ein
wehen, zärtlich,/ die blätter, die blätter, bewegt im
verbund und unter ihres-irisgleichen ...". Man muß Monika Rinck
als die mit Abstand beste Dichterin ihrer Generation bezeichnen:
kühn in ihren Mitteln, mit radikalen Einsichten. So heißt es
in „was machen die Frauen am Sonntag": „die frauen
vergrößern sich endlos und gehen/darüber hinaus. wir
posten fotos von unseren fotzen./es wird egal. was wird genommen, was
gegeben./es entspricht sich nicht. schreiben. schicken./ weitermachen.
schreien. nicht verständlich sein./am cap finisterre der empathie.
wir sind am end." Das Ende von Gender, das Ende von Jeglichem, der
Verzicht auf noch spätere Warengesellschaften und sexuelle
Selbstversklaverei; in diesen Gedichten wird all dies begreifbar. Und
provokativ ausrufen, selbst das kann sie noch, die Dichterin Rinck aus
Moabit, wo immer das liegen mag: „nutten zur literatur. keiner
lachte." Der Verfasser dieser kleinen Abhandlung kann sich das beim
besten Willen nicht verkneifen. Zu guter Letzt sei gesagt, die hier
vorgestellten Gedichtbände sind unkäuflich. Man möge sie
durch die Shoppingmalls und Discounter schleifen, an Sonntagen durch
den Zoo streifen zu den Lamas, die man nicht mit nach Hause nehmen
kann, dafür aber jenes Lied von den ramponierten Tieren, die nicht
mikrowellen-tauglich sind und vor dem Schaden klug werden.
Tom Schulz
Ron Winkler: Fragmentierte Gewässer. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2007. 18 Euro.
Stefan Schmitzer: moonlight on clichy. Gedichte. Droschl Verlag,
Graz 2007. 16 Euro.
Florian Voß: Schattenbildwerfer. Gedichte, Lyrikedition 2000, München 2007.
Monika Rinck: zum fernbleiben der umarmung. Gedichte. kookbooks, Idstein/Berlin 2007. 14,90 Euro.