Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wir sind der Sprache mächtig

Neue Gedichtbände, für die, die keine Gedichtbände kaufen

„Wir schreiben nicht oft Gedichte", lautet eine Zeile von Sascha Anderson aus den 80er Jahren, als man zumindest im sprachlichen Untergrund der DDR mit Lyrik noch das Subversive behaupten konnte. Zwischen den Zeilen fanden sich die Botschaften zur Entzündung des Urwalds nahe Spree und Elbe. Die vorausgegangenen Avantgarden waren fern und jeder sein eigener Neodadaist. Die berüchtigte Prenzlauerberg-Szene wohnte im Friedrichshain, Bert Papenfuß und Stefan Döring waren kein Kneipiers und die Kastanienallee brachte Ausdrücke hervor, die heutzutage vor dem Kaufdichglücklich mit keinem Erasmusstudentinnenlächeln bedacht würden. Das ist alles undenkbar lange her, doch das Hamsterrad der Lyrik dreht sich weiter, es wirft ja noch Perlen vor die Säue! Wir wollen das gutheißen, wir lesen nicht oft Gedichte. Wir sind der Sprache mächtig, sofern sie uns syntaktisch bestätigt, daß der Satz eine grammatikalische Ordnung zu haben hat, die sich aus der Einbahnstraßenregelung ergibt.

Fragmentierte Gewässer heißt der zweite Gedichtband von Ron Winkler (Jg. 1973), der sich bis auf eine handvoll Kindheitsgedichte die Natur nach der Natur zum Gegenstand gemacht hat: zeitgeistlich cool, süffisant und geschmacklich ausgereift. Mit linguistischen Einsprengseln der Maschinen- und Fachsprachen durchdringen diese lyrischen Gebilde ihr Sujet, ironisieren ihr Thema und gelangen dabei zu berückenden
Findungen. Die Texte wirken postmodern abgehangen wie gut aufbewahrte Delikatessen, deren Aromen sich wie ein über Jahre gelagerter Burgunder zu entfalten wissen: „die Seen, die wir sahen, waren durch Schwäne/mit dem Meer verbunden. ihre Schreie klopften nicht/ an, sie traten gleich ein (auch weiß waren sie nicht)." Ron Winklers Landschaftstexturen neuen Stils, die das tradierte deutschsprachige Naturgedicht der Waldeinsamkeit ad absurdum führen, muß man brillant nennen, so schön, so glücklich semantisch gefügt ist ihre Oberflächenpolitur: „die Dinge stehen im Wettbewerb. zwei Strandkiefern/ringen um die ästhetischste Neigung." Manchmal kommt diese aufgerufene fremdwortverwöhnte Wissendheit artistisch daher, die Ironie neigt mitunter zu Reflexen der Reizüberflutung; am suggestivsten sind Winklers Gedichte, wenn sie Erfahrenes versinnbildlichen.

„Punk as fuck" könnte als Motto über den Gedichten des österreichischen Autors Stefan Schmitzer (Jg. 1978) stehen. Die Sammlung moonlight on clichy, die zum Teil auf die einst innovativ bahnbrechende „Ich-scheiß-auf-deutsche-Texte"-Musikszene verweist. Daß es sich hier nicht um Weichspülerpop handelt, sondern um stimmlich verstärkte Beatlyrik nach dem Ende der Beatlyrik, ist allemal erfreulich. Am eindrucksvollsten gelingt es Schmitzer bei seinem Debut, in den längeren Gedichten assoziative Wahrnehmungs- und Bewußtseinsketten spielerisch miteinander zu verbinden: „ich singe den grund-/mauernblues, den glutshuffle für den außen-/bezirk, für die vorstadtpomeranze und die glockenblume, milch-/weißer arsch und milch-weißer blütenkelch ..." Hören wir da etwa so was wie Groove in einem deutsch-sprachigen Gedicht, im Gegensatz zu den sonst vorherrschenden restaurativen Tendenzen, die so gern preisberühmt von schmalstirnigen Kritikern gerühmt werden? Dieser Autor nimmt seine Leser mit in den rasenden Puls der Sprache, zum Herzschlag der besseren Musik. Allerdings: Einige Gedichte strotzen so vor Attitüde, was den Texten eher an Facettenreichtum und Möglichkeiten nimmt, daß man sich erinnert fühlt an Nachmittage in den frühen 90er- Jahren, als das Heimgras noch gut war, als die Hausapotheke noch half und Gedichte von Rolf Dieter Brinkmann haltbar erschienen. Allenthalben Respekt gilt dem droschl-Verlag aus Graz für diese wagemutige Veröffentlichung in Zeiten zunehmend apolitischer Verleger und eines fast schon servil zu nennenden Literaturbetriebs.

Florian Voß (Jg. 1970) hat seinem zweiten Gedichtband Schattenbildwerfer zumindest partiell eine Frischzellenkur verordnet. Eine Erweiterung der Themen und Stimmlagen ist erkennbar, mitunter sogar ein Kalauern über der Bewunderungspfalz: „Der deutsche Himmel ist aus Puffreis/dahinter lauern Nazi-Engel". Es bleibt dem Leser überlassen, seine eigene politisch unkorrekte Lesart zu finden, wenn Voß zwei Zeilen aus dem Horst-Wessel-Lied in sein Gedicht stellt und damit parodiert. Legitim ist das allemal und so heißt es in „Volkslied": „Am Brunnen vor dem Tore/vor der Kaserne/steht eine Tribüne/Die Fahne hoch/die Schellenkappe auf/Die Reihen fest geschlossen/ihr lieben Volksgenossen/und immer um den Lindenbaum". Ansonsten herrschen dunkel gefärbte melancholische Töne vor, Elegisches, ein Mix aus Spätexpressionismus und barocken Anklängen. Das alles kommt bei Florian Voß mittlerweile stilistisch ausgewogener daher als noch vor Jahren, im Bemühen um sprachliche Konzentration, im Ringen um das gelungene Bild, im Gelingen von Rhythmus und Klang. So stellen sich hier und da Verse von beinah klassizistischer Schönheit ein, die sich auf ihre Art in die sprachmusikalische Gedächtnisplatine einbrennen: „Mit der Hitze des Sommers bin ich per Sie ...// Die Bauarbeiter am Weichselplatz/gehen auf ein Bier in den Landwehrkanal".

Die Gedichte von Monika Rinck versprühten schon immer die Aura des Besonderen. Mit ihrem neuen, zweiten Lyrikband zum fernbleiben der umarmung ist ihr jetzt der große Wurf gelungen, von dem die meisten ihrer dichtenden Kollegen und Kolleginnen nur träumen können. Die 1969 geborene Autorin gelangt hierin zu einer Symbiose aus Sprach- und Zeitkritik, wie sie hierzulande äußerst selten zu finden ist: „was ist denn das fürne pflanze? die hat heidrun mitgebracht, man hat/schon hunde ohne fell gezüchtet, hat man, aber pflanzen ohne blätter?/vor diese pflanze stelle ich mich hin und sage in das surren der rechner: „einst ruhe ich ewige zeit." und denke das draußen, ein wehen, zärtlich,/ die blätter, die blätter, bewegt im verbund und unter ihres-irisgleichen ...". Man muß Monika Rinck als die mit Abstand beste Dichterin ihrer Generation bezeichnen: kühn in ihren Mitteln, mit radikalen Einsichten. So heißt es in „was machen die Frauen am Sonntag": „die frauen vergrößern sich endlos und gehen/darüber hinaus. wir posten fotos von unseren fotzen./es wird egal. was wird genommen, was gegeben./es entspricht sich nicht. schreiben. schicken./ weitermachen. schreien. nicht verständlich sein./am cap finisterre der empathie. wir sind am end." Das Ende von Gender, das Ende von Jeglichem, der Verzicht auf noch spätere Warengesellschaften und sexuelle Selbstversklaverei; in diesen Gedichten wird all dies begreifbar. Und provokativ ausrufen, selbst das kann sie noch, die Dichterin Rinck aus Moabit, wo immer das liegen mag: „nutten zur literatur. keiner lachte." Der Verfasser dieser kleinen Abhandlung kann sich das beim besten Willen nicht verkneifen. Zu guter Letzt sei gesagt, die hier vorgestellten Gedichtbände sind unkäuflich. Man möge sie durch die Shoppingmalls und Discounter schleifen, an Sonntagen durch den Zoo streifen zu den Lamas, die man nicht mit nach Hause nehmen kann, dafür aber jenes Lied von den ramponierten Tieren, die nicht mikrowellen-tauglich sind und vor dem Schaden klug werden.

Tom Schulz

Ron Winkler: Fragmentierte Gewässer. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2007. 18 Euro.

Stefan Schmitzer: moonlight on clichy. Gedichte. Droschl Verlag,
Graz 2007. 16 Euro.

Florian Voß: Schattenbildwerfer. Gedichte, Lyrikedition 2000, München 2007.

Monika Rinck: zum fernbleiben der umarmung. Gedichte. kookbooks,  Idstein/Berlin 2007. 14,90 Euro.

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