Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 


Quod licet Jovi, non licet bovi

Ditte ist zur Liebesquelle von Woltersdorf gereist. Da, wo andere in Hundescheiße treten, wandelt sie auf Rosenblättern bis zur Quelle. „Schlecht geschnittene Haare habe ich immer noch", denkt sie, sich im Wasser betrachtend.

Der Sprosser jubiliert. Das ist doch zum Mäusemelken! Wer erscheint da, nein, nicht wie Phönix aus der Asche, eher einem gefallenen Stern gleich im verlöschenden Glanz und in der Strahlkraft von vergangenem Ruhm? Der, dem man längst Nachrufe hinterher gemurmelt hat, die im Stehsatz bei regionalen und überregionalen Presseerzeugnissen abgelegt sind, den man längst ins Jenseits wünscht? Von dem sie neulich lesen durfte, daß der hundertjährige Komponist sich zum ersten Mal vermählt habe? Und daß seine Angetraute kurz nach der Vermählung in seinen Armen verschied als Frau Koch-Kämmnitzsch? Die letzten Worte von Frau Clara Koch-
Kämmnitzsch, geb. Döring, als sie ihre Augen für immer schloß, waren: „Dieses Lügenschwein".

Conrath Koch-Kämmnitzsch scheint von all dem ziemlich unbeeindruckt, der alte Schlawiner hat sich herausgeputzt wie ein italienischer Zuchthahn bzw. Hühnerzüchter auf Brautschau im Speckgürtel von Berlin, in Woltersdorf, wo sich Ditte und Menschenkind noch einmal eine Chance geben wollten, kommen doch hierher sogar strenggläubige Katholoken aus Polen, aus deren Ehe die Luft raus ist. Ja, ganz richtig, Katholoken, eine Sekte, die von polnischen Eisenbahnern gegründet wurde. Ditte steht unter Dampf, und die Erscheinung von CKK (wie wir ihn bereits in früheren Folgen abgekürzt haben ­ vielleicht erinnert sich der eine und die andere!)* verwan-delt den Dampf in Bewegung für eine strikte Flucht nach vorn. Sie strebt einem Gebüsch entgegen, hinter das sie sich zu retten wünscht. Nein, auch das noch, auch die noch! Larissa! Liegt auf einer winzigen Lichtung im Sonnenschein, am Herzen einen noch winzigen Säugling, den sie herzt und betuttelt. Ditte, völlig außer sich, stammelt: „Ach, du auch hier", um dann doch noch die Frage nachzuschieben: „Und das da, also wer ist das da?" Larissa, dieses Täubchen, gurrt mit allen Gutturallauten, die ihr selbstgebasteltes Deutsch zuläßt, „Burljuk, der Gebissene, der Stachanowjez unter den Säuglingen! Er überbietet das Soll um 50 Prozent, ein Säufer vor dem Herrn, ganz wie der Vater!" Aus Dittes noch rosigem Gesicht weicht schlagartig Farbe und Tünche ­ sie wird käseweiß. Also doch, Menschenkind hat sie heimtükkisch folgenreich betrogen. Giftige Blitze wirft sie auf das kleine Menschenkind, um dann doch nach Ähnlichkeit zu suchen, unsere gedemütigte Ditte. Der herzige Genosse Burljuk wiederum schaut zunächst trotzig zurück, beginnt etwas später leise zu plärren und steigert sich in Windeseile zu einer Art Kriegsgeheul, welches die Grillen verstummen und die Bäume sich schütteln läßt. Selbst Ditte schaudert es kurz, dieses Geheul, dunkle Erinnerungen, irgendwie scheint es ihr bekannt. Schlagartig verstummt Burljuk und verlangt wortlos nach Mütterchens Brust. Auch diese Verhaltensweise scheint Ditte bekannt zu sein, nein, oder doch? Nein! Doch! Koch!?

„Sag mal, Larissa, der Vater, wer oder was ...?" Der aufkommende Lärm läßt Dittes Frage untergehen. Arm in Arm, laut singend, daß die Karawanken wanken und die Alpen beben würden, wandern Menschenkind und CKK auf die Frauen zu. Burljluk, der kleine genießende Genosse, stimmt ein. Das ergibt die Kakophonie, für die CKK steht. „Meine Mädels", ruft der Lustgreis ausgelassen, aber Menschenkind wirft sich zwischen Ditte und den agilen Komponisten. „Finger weg, du hast schon die Clara Döring unglücklich gemacht! Quod licet Jovi, non licet bovi! Koch-Kämmnitzsch, bremse dich!"

Ditte und Menschenkind verlassen den Schauplatz, dank dieser Turbulenzen frisch verknallt in Richtung Wald. Was aber wird aus CKK, Larissa und dem Söhnchen? Eine atonale eheähnliche Bedarfsgemeinschaft? Oder nichts? Alles ist möglich, solang der Kuckuck ruft und das Käuzchen schreit: Es lebe Freud und Leid! 

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

www.freud-und-leid.de

*Conrath Koch-Kämmnitzsch, der Begründer der textierten Strophe im nonverbalen Bereich der modernen Kammermusik. Die mütterliche Linie seines weit verzweigten Stammbaums reicht bis zu den anonymen Verfasserinnen der Merseburger Zaubersprüche zurück, die prominenteste Verwandte dieses Astes ist freilich die Gattin Ernst Thälmanns. Im Memelland aufgewachsen, verschlug es den atonalen Tonsetzer in die Nähe von Adrian Leverkühn Anfang der zwan-ziger Jahre in den norddeutschen Raum.

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