Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kleiner brauner Freund

Die Puppen- und Bärenklinik

Das Gesundheitszentrum ist viel besucht. Schon praktisch, wenn alle Ärzte sich in einem Haus befinden. Das verkürzt Wege. Stefanie folgt dem Schild zu Josefines Puppen- und Bärenklinik. Dieses ist ganz plakativ mit zwei Gesichtern verziert, dem einer Puppe und eines Teddybären. Aufgang A, erster Stock. Die Treppe hoch und am Hausarzt vorbei, schon steht sie vor der Praxis. Von außen meint man, durch das Schaufenster einer Spielwarenhandlung zu schauen. Nur, daß diese außer Knuddelobjekten keine weiteren Spielzeuge führt. Die unzähligen Kuscheltiere und Puppen in der riesigen Glasvitrine wirken, als würden sie über die Besucher tuscheln.

Besorgt guckt Stefanie hinunter zu dem kleinen Bündel in ihrer Hand. In eine Socke gewickelt lugt ein kleiner brauner Bärenkopf hervor. Die schwarzen Äuglein mustern die Umgebung interessiert. Sie hält ihn in der Hand und stellt ihn vor: „Ich habe hier einen kleinen Patienten." Josefine ist beim Anblick des Kleinen ganz verzückt. „Ach, ist das ein Süßer! Wo ist der denn her?" So herzlich wurde Hugo noch nie empfangen.

Hugo wird im Sommer sechs Jahre alt, und diese sechs Lebensjahre haben sein Fell ziemlich gezeichnet. Es ist zerzaust, und er sieht ausgemergelt aus. Die Füllung ist keine Füllung mehr, so daß der Bär nur noch schlaff dahängt und kaum noch aufrecht sitzen kann. Ihm geht es offenbar nicht sonderlich gut. Stefanie weiß, er braucht ein Lifting. Nun soll Josefine ihn wieder in Form bringen.

Josefine setzt sich an den Schreibtisch und nimmt die Daten des kleinen Bären auf, will wissen, wie er heißt, was er hat, was gemacht werden soll. Eine klassische Anamnese. Das Fazit: Der kleine Patient muß stationär behandelt werden.

Stefanie wird ein bißchen bleich, als sie ihn hergeben soll. Denn Hugo hat noch nie allein bei Fremden übernachtet. Josefine wickelt ein Gummi um Hugos Bauch, mit dem sie einen Zettel an ihm befestigt. Dann wandert er in die Kiste mit den anderen Kuscheltieren. „Es war schlimm, ihn dort zu lassen. Für mich begannen qualvolle Tage, für ihn natürlich auch." Fünf Tage sind die beiden nicht zusammen, die sich die letzten Jahre täglich gesehen haben, gemeinsam aufgewacht, gemeinsam schlafen gegangen sind.

Die Übergabe findet am U-Bahnhof Alexanderplatz statt. Wippend steht Ste-fanie da, guckt laufend auf die Uhr. Auf ihren Teddybären zu warten, ist für sie so aufregend wie das Wiedersehen mit einem Lebenspartner nach einem langen Auslandsaufenthalt. Das freudige Strahlen erstarrt zunächst, als Josefine den kleinen Hugo präsentiert. „Als ich ihn gesehen habe, war ich erschrok-
ken, weil er etwas anders aussah, seine dünnen Beinchen steifer waren als vorher." Wohlgenährt sieht er nun aus, wie nach einer langen Kur in einem fränkischen Heilbad. Josefine beruhigt sie, wenn die Füllung sich gesetzt hat, ist er nicht mehr so steif. Und tatsächlich. Nach einigen Tagen, nachdem Stefanie sich ein paar Male des nachts über ihn gerollt hat, wackeln alle Beinchen wieder wie gehabt.

Josefine ist pensioniert. Diese Arbeit im Gesundheitszentrum macht sie nur aus Spaß an der Freude. Die Freude, die Tierchen und Puppen wieder zu reparieren. Und auch wegen der Freude daran, die Menschen wieder glücklich zu sehen. Während Stefanie mit Hugo im Arm von dannen schreitet, steigt Josefine in die U-Bahn und macht sich auf ihren Weg zu einer Spielzeugmesse. Dort will sie Arme, Beine und weitere Accessoires einkaufen, die sie für die nächsten Patienten verwenden kann. 

Sonja John

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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