Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Er machte sich eine Notiz

Die ausufernden Notate des 1900-scheinschlag-Kolumnisten Falko Hennig

Falko Hennig war einer der ersten Autoren, die mir, als ich selbst noch ausschließlich Zuschauer war, auf den Berliner Lesebühnen aufgefallen sind. Um Papier zu sparen, las er seine Texte meist vom Laptop ab und trug dabei fast das ganze Jahr über kurze Hosen und Sandalen. Manchmal verschenkte er an Interessierte aus dem Publikum aussortierten Kram aus seiner Wohnung, der ihm zu schade zum Wegwerfen war.

Sein erstes Buch Alles nur geklaut enthielt so viele faszinierende Szenen, daß es gar nicht störte, daß der Lektor offenbar betrunken gewesen war, als er die Wortwiederholungen kontrollieren sollte. Aber wie bei guter Musik machte es gar nichts, daß die Platte kratzte, das Buch ist für mich der einzige legitime Wenderoman, weil die DDR anhand einer Kleinkriminellenkarriere beschrieben wird, wie wir sie damals zwangsläufig alle geführt haben. Der erste Satz lautet: „Bei mir hat es im Kindergarten angefangen." Bei mir auch! Einmal berichtet der Held, wie er beim Altstoffhändler eingebrochen ist und sich im Altpapierberg eine Höhle eingerichtet hat, wo er ganze Tage umgeben von alten Zeitungen verbrachte, viele aus dem Westen. Oder er landet beim Versuch, im Palast der Republik einzubrechen, um in die ausverkaufte Loriot-Vorstellung zu kommen, in der Volkskammer. Bei den meisten Episoden stand ich sozusagen direkt daneben, Loriot habe ich zum Beispiel damals durch Zufall vom Palasthotel (inzwischen abgerissen) zum Palast (bald abgerissen) gehen sehen, die Kartensucher standen bis zur Spandauer Straße, einer fragte sogar Loriot selbst, ob er eine Karte habe.

Was mir Falko Hennig so sympathisch macht, ist seine fast makellose Erfolglosigkeit, wenn man einmal davon absieht, daß er einzigartige Texte schreibt, aber wenn man damit kein Geld verdient, kann man irgendwann auch nicht mehr weitermachen. Deshalb schreibt er schon keine Gedichte mehr, weil er diese Form inzwischen für ökonomisch unsinnig hält. Ich glaube, er gehört zu den wenigen Autoren, denen Geld nichts anhaben könnte, er würde im Gegenteil viel besser funktionieren.

Aber alle Strategien, den Erfolg herbeizuzwingen, gehen bei ihm daneben: Wenn er 1000 Werbekarten verschickt, kommen 999 zurück, weil die Straßen umbenannt worden sind, wenn er für eine Pressekonferenz ein Büffet organisiert, ist gerade Champions-League-Finale und kein Journalist kommt, seine Filmkamera und die Fototasche, die er immer mit sich führt (da er immer dann Motive entdeckt, wenn er sie nicht dabei hat), läßt er alle paar Tage irgendwo liegen. Wenn er sich in einem Café hinsetzt, gehen die Gläser an den Nachbartischen zu Bruch. Er nutzt die Gelegenheit, um die Geschädigten mit Flyern seiner nächsten Veranstaltungen zu trösten, was meistens nicht so gut ankommt.

Falko Hennig steht in der Tradition der großen Tagebuchschreiber, der Brüder Goncourt, Thomas Manns und vor allem Walter Kempowskis. Seine Chronik ist ein Lebensroman von Fundstücken, Zumutungen des Daseins und Selbstbeschwörungen zur Arbeit, sie enthält aber auch herrliche Beschimpfungen von dreistem Servicepersonal, unabgeschickte Drohbriefe an Kritiker und detaillierte Krankheitsbeschreibungen. Die tröstliche Komik des Lamentos ist hier zu bewundern. Daß ich vor fünf Jahren selbst angefangen habe, nach einer längeren Pause wieder Chronik zu schreiben, lag sicher hauptsächlich an ihm. Mein Traum war es immer, beide Versionen der Wirklichkeit in einer Lesung gemeinsam zu präsentieren, daraus entstand die Idee der „Weltchronik", unserer monatlichen Veranstaltung im Filmkunsthaus Babylon.

Es ist immer unterhaltsam, bei einer Veranstaltung neben Falko zu sitzen, weil man dann in seinem aktuellen Notizbuch blättern darf. Seltsamerweise ist ihm das nicht unangenehm, sogar seine Frau dürfte das, wobei sie gar nicht will. Beschimpfungen, die nicht für die große Öffentlichkeit bestimmt sind, faßt er in einer eigenen Geheimschrift ab. Das älteste Tagebuch stammt von 1981, Notizbücher füllt er seit August 1998, als er in Ungarn wegen eines vergessenen Netzteils nicht mit dem Laptop schreiben konnte. Je nach Auftragslage und Dicke des Notizbuches schreibt er eines in zwei bis sechs Wochen voll, allerdings klebt er auch fremde Einkaufszettel hinein, die er auf der Straße gefunden hat.

Im Moment steht Falko Hennigs berufliche Existenz aus ökonomischen Gründen auf der Kippe. Solange sein rundüberholter Trabant-Kübel keinen Käufer findet, richten sich seine Hoffnungen auf ein Lehrerstudium. Davon könnte ihn und unsere Kinder nur der erfolgreiche Verkauf seiner Notizbücher erlösen, von denen er sich schweren Herzens trennen will. Es sind bibliophile Kostbarkeiten, deren Preis sich nach Dicke, Inhalt und buchbinderischen Details richtet, von 50 Euro (dünn, mit wenig Fotos) bis 1000 Euro (echtes Leder, viele, auch pornographische Fotos).

Jochen Schmidt

Anfragen an Falko Hennig:

radiohochsee@web.de

www.dieweltchronik.de

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