Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Laß dich nicht erwischen!

Die kriminelle Gladow-Bande im Theater an der Parkaue

Werner Gladow war einer der ungewöhnlichsten Verbrecher der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit 16 gründete der kleinkriminelle Jugendliche 1948 seine Bande und verstand es, die Berliner Nachkriegsverhältnisse anarchisch zu seinem Vorteil ausnutzen. Al Capone war sein Vorbild, und so mußten alle seine Bandenmitglieder weiße Krawatten und Maßanzüge tragen, wie richtige Gangster eben. Viel ist schon über die Gladow-Bande geschrieben worden; es gab Filme, Dokumentationen, Bücher, aber noch kein Theaterstück. Bis jetzt. „Das elfte Gebot. Du sollst dich nicht erwischen lassen" heißt es und hat außerdem quasi am Ort des Geschehens, im Theater an der Parkaue, Premiere. Gladow und seine Spießgesellen wohnten fast ausnahmslos in der unmittelbaren Nachbarschaft des Theaters, im Samariterkiez. Und in dieser Gegend gibt es noch viele Leute, die mal einen kannten, der wiederum befreundet war mit der Freundin eines der Mitglieder oder so ähnlich. Ginge man aber danach, wäre die Bande viel größer gewesen, meint Annett Gröschner, die zusammen mit Grischa Meyer das Stück geschrieben hat.

Bereits Mitte der Neunziger sollte es im Volksbühnen-Prater ein Stück zur Gladow Bande geben. Dazu kam es nicht, dafür waren beide als Experten zum Thema gefragt. Ihre Chronik der Ereignisse umfaßt mittlerweile dreihundert Seiten. Daß dieses Theaterstück nun doch entstanden ist, hängt auch mit dem neuen Intendanten des Theaters an der Parkaue, Sascha Bunge, zusammen, mit dem Annett Gröschner schon einmal zusammen gearbeitet hat. Und mit der Tatsache, daß die Protagonisten genau im Alter des Publikums sind, daß hier vorwiegend aus Schülern besteht, und daß alles gewissermaßen vor der Haustür im Friedrichshain geschah.

Natürlich läge es nahe, die Bandengeschichte zu aktualisieren. Die Jungs zu Gangsta-Superstars zu machen. Das passiert aber nicht, das wäre zu platt. Das Publikum, also die Teenager, sollen gefordert werden. Parallelen finden sie von ganz allein, sagt Grischa Meyer: „1948 war Leberwurst mindestens genauso wichtig wie ein Joint. Und natürlich träumten die Gladow-Jungs von der Villa mit Stahljalousien, vom großen Auto, vom Ruhm. Das ist heute bei den Jugendlichen nicht viel anders. Im Grunde ist es egal, ob es ein MTV-Gangsta-Rapper-Video ist oder ein Gangsterfilm mit James Cagney aus den Dreißigern, der einen entzündet und sagen läßt: Das will ich auch."

Dazu Annett Gröschner: „Letztendlich geht es in dem Stück darum, für welches Leben man sich entscheidet, was man ausprobiert und wobei man erkennt, daß es sich doch nicht gelohnt hat. Wie sich das anfühlt, wenn plötzlich wirklich jemand tot da liegt? Wir sind dabei für das Stück konsequent historisch geblieben. Nichts desto trotz erzählt es von Entscheidungen, die man auch heute treffen muß."

Erzählt wird die Geschichte der Bande linear von ihrer Gründung bis zum bitteren Ende, der Hinrichtung ihres Anführers durch das Fallbeil. Auf der offenen Bühne agieren die Schauspieler in einer Art multipler Kulisse. In einer Ecke das rüschige Interieur des Gladowschen Elternhauses, in der Mitte eine leicht puffige Kneipenszenerie und am anderen Rand einige abgeranzte Sofas, wo die Bande ihre Pläne ausheckt. Dazu kommen noch eine Videowand und ein paar Fernseher, in denen historische Nachkriegsaufnahmen kommentierend flimmern. Das ist sehr sparsam und paßt somit zur Nachkriegszeit. Außerdem ist die Geschichte an sich spannend genug. Die Szenen gehen fließend ineinander über, was einen gewissen atemlosen Sog erzeugt. Und die Schauspieler haben bei diesem Stück sichtlich Spaß an ihrer Arbeit. So hält man es auch gute drei Stunden im Theater aus. Natürlich wünschen sich die Macher, daß zu dieser Inszenierung nicht nur Schulklassen kommen, sondern auch Leute aus der Nachbarschaft oder Rentner, die jemanden kannten, der jemanden kannte, der was mit den Gladow-Jungs zu tun hatte. Lohnen tut es sich allemal.

Ingrid Beerbaum

Premiere am 26. April um 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen am 27. und 29. April um 19 Uhr sowie am 21. und 22. Mai um 18 Uhr im Theater an der Parkaue, Parkaue 29

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