Laß dich nicht erwischen!
Die kriminelle Gladow-Bande im Theater an der Parkaue
Werner Gladow war einer der ungewöhnlichsten
Verbrecher der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit 16 gründete der
kleinkriminelle Jugendliche 1948 seine Bande und verstand es, die
Berliner Nachkriegsverhältnisse anarchisch zu seinem Vorteil
ausnutzen. Al Capone war sein Vorbild, und so mußten alle seine
Bandenmitglieder weiße Krawatten und Maßanzüge tragen,
wie richtige Gangster eben. Viel ist schon über die Gladow-Bande
geschrieben worden; es gab Filme, Dokumentationen, Bücher, aber
noch kein Theaterstück. Bis jetzt. „Das elfte Gebot. Du
sollst dich nicht erwischen lassen" heißt es und hat
außerdem quasi am Ort des Geschehens, im Theater an der Parkaue,
Premiere. Gladow und seine Spießgesellen wohnten fast ausnahmslos
in der unmittelbaren Nachbarschaft des Theaters, im Samariterkiez. Und
in dieser Gegend gibt es noch viele Leute, die mal einen kannten, der
wiederum befreundet war mit der Freundin eines der Mitglieder oder so
ähnlich. Ginge man aber danach, wäre die Bande viel
größer gewesen, meint Annett Gröschner, die zusammen
mit Grischa Meyer das Stück geschrieben hat.
Bereits Mitte der Neunziger sollte es im
Volksbühnen-Prater ein Stück zur Gladow Bande geben. Dazu kam
es nicht, dafür waren beide als Experten zum Thema gefragt. Ihre
Chronik der Ereignisse umfaßt mittlerweile dreihundert Seiten.
Daß dieses Theaterstück nun doch entstanden ist, hängt
auch mit dem neuen Intendanten des Theaters an der Parkaue, Sascha
Bunge, zusammen, mit dem Annett Gröschner schon einmal zusammen
gearbeitet hat. Und mit der Tatsache, daß die Protagonisten genau
im Alter des Publikums sind, daß hier vorwiegend aus
Schülern besteht, und daß alles gewissermaßen vor der
Haustür im Friedrichshain geschah.
Natürlich läge es nahe, die Bandengeschichte
zu aktualisieren. Die Jungs zu Gangsta-Superstars zu machen. Das
passiert aber nicht, das wäre zu platt. Das Publikum, also die
Teenager, sollen gefordert werden. Parallelen finden sie von ganz
allein, sagt Grischa Meyer: „1948 war Leberwurst mindestens
genauso wichtig wie ein Joint. Und natürlich träumten die
Gladow-Jungs von der Villa mit Stahljalousien, vom großen Auto,
vom Ruhm. Das ist heute bei den Jugendlichen nicht viel anders. Im
Grunde ist es egal, ob es ein MTV-Gangsta-Rapper-Video ist oder ein
Gangsterfilm mit James Cagney aus den Dreißigern, der einen
entzündet und sagen läßt: Das will ich auch."
Dazu Annett Gröschner: „Letztendlich geht es
in dem Stück darum, für welches Leben man sich entscheidet,
was man ausprobiert und wobei man erkennt, daß es sich doch nicht
gelohnt hat. Wie sich das anfühlt, wenn plötzlich wirklich
jemand tot da liegt? Wir sind dabei für das Stück konsequent
historisch geblieben. Nichts desto trotz erzählt es von
Entscheidungen, die man auch heute treffen muß."
Erzählt wird die Geschichte der Bande linear von
ihrer Gründung bis zum bitteren Ende, der Hinrichtung ihres
Anführers durch das Fallbeil. Auf der offenen Bühne agieren
die Schauspieler in einer Art multipler Kulisse. In einer Ecke das
rüschige Interieur des Gladowschen Elternhauses, in der Mitte eine
leicht puffige Kneipenszenerie und am anderen Rand einige abgeranzte
Sofas, wo die Bande ihre Pläne ausheckt. Dazu kommen noch eine
Videowand und ein paar Fernseher, in denen historische
Nachkriegsaufnahmen kommentierend flimmern. Das ist sehr sparsam und
paßt somit zur Nachkriegszeit. Außerdem ist die Geschichte
an sich spannend genug. Die Szenen gehen fließend ineinander
über, was einen gewissen atemlosen Sog erzeugt. Und die
Schauspieler haben bei diesem Stück sichtlich Spaß an ihrer
Arbeit. So hält man es auch gute drei Stunden im Theater aus.
Natürlich wünschen sich die Macher, daß zu dieser
Inszenierung nicht nur Schulklassen kommen, sondern auch Leute aus der
Nachbarschaft oder Rentner, die jemanden kannten, der jemanden kannte,
der was mit den Gladow-Jungs zu tun hatte. Lohnen tut es sich allemal.
Ingrid Beerbaum
Premiere am 26. April um 19.30 Uhr, weitere
Vorstellungen am 27. und 29. April um 19 Uhr sowie am 21. und 22. Mai
um 18 Uhr im Theater an der Parkaue, Parkaue 29