Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Überzeugen, nicht agitieren

Die Behindertenzeitung Mondkalb geht an den Start

Was für eine selten dämliche Frage, im Interview der Jungle World: „Es könnten auch Menschen ohne Behinderung an eurer Zeitung interessiert sein ..." ­ Tatsächlich? Die Antwort, der kicker habe auch keine Fußballer als Zielgruppe, fiel dann leider der Schlußredaktion zum Opfer. Ein Glück, daß an gleicher Stelle noch Platz war für „Menschen mit Behinderung", statt Behinderter, und den Hinweis, das neue Blatt werde sich selbstverständlich auch mit Themen wie „Migration und Antirassismus" beschäftigen. Nur daß dergleichen von Jan Plöger, dem Interviewten, nicht gesagt worden war. „Die Sachen hatte ich beim Autorisieren sogar rausgestrichen", sagt der Politikstudent und Sitzredakteur der neuen Behindertengazette Mondkalb. In der Linken habe man das oft, daß Behinderte als Stichwortgeber gebraucht würden. Politisch korrekt sei dann immer von „Menschen mit Behinderung" die Rede. Und zur Not würden einem die besagten „Menschen" eben in den Mund gelegt. Denn nur wer die richtigen Worte nennt, ist auch auf der richtigen Seite ...

Plöger, der selbst schwer gehbehindert ist, sieht darin eine Art von Respektlosigkeit, die an und für sich der Grund sei, weshalb sie Mondkalb gegründet hätten. Etliche Jahre hätten er und andere aus der Redaktion sich in linken und linksradikalen Gruppen engagiert ­ für ein Bleiberecht aller Flüchtlinge, für die Rechte von Schwulen und Lesben in Polen, für Obdachlose, ja sogar gegen die Wehrpflicht. „All diese Zirkel und Aktionen aber waren Lichtjahre von unserer eigenen Lebenswelt entfernt. Warum kämpft eigentlich keiner für uns?"

In diesem Sinne sei Mondkalb das erste wirklich eigene Projekt. Die Zeitung wird vorerst vierteljährlich erscheinen und in einer Auflage von 10000 Exemplaren in Berliner Kneipen, Arztpraxen, Bezirksämtern usw. ausliegen. Finanziert wurde die erste Ausgabe teilweise vom Berliner Landesverband der Naturfreudejugend. Und wie in so vielen alternativen Projekten gebe es auch bei Mondkalb am Anfang mehr Häuptlinge als Indianer. Doch gelte in der Redaktion mittlerweile die alte SED-Losung: „Arbeite mit, regiere mit!" Das inhaltliche Konzept könnte einfacher nicht sein: Einklang von Zeitungs- und Lebenswelt, wobei der Wurm dem Fisch zu schmekken hat und nicht dem Angler. Im Anspruch orientiere man sich an den früheren „Berliner Seiten" der FAZ, nur eben mit weniger Geld und etwas räudiger, „und natürlich sind wir irgendwie links".

Da nun aber die Lebenswelt Behinderter eine völlig andere sei, werde sich auch Mondkalb von anderen linken Blättern deutlich unterscheiden. So werden auf der Titelseite unter der Überschrift „Krüppel aus dem Sack" künftig sogar Bordelle auf ihre Barrierefreiheit getestet. Es wird eine „Opferecke" geben, eine Rubrik „United Autists" ­ aber vor allem „jede Menge Streit." Die Redaktion von Mondkalb werde überzeugen, nicht agitieren. 


Karsten Barkmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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