Ohne Typographie hätten die Ideen von Luther, Marx und anderen nicht verbreitet werden können
Die Welt der gedruckten Schriften
Mit den Schriften ist es wie
mit dem Kochen: Man kann ein Fünf-Gänge-Menü zaubern und
es im Kerzenschein auf einem schön dekorierten Tisch servieren.
Man kann aber auch eine Dose Ravioli öffnen und kalt
auslöffeln satt wird man allemal. Es ist also durchaus
ausreichend, die Botschaft, die man zu verkünden hat, in Times New
Roman oder Arial auszudrucken. Man kann aber auch eine Garamond nehmen
und auf den richtigen Durchschuß achten. Wolfgang Beinert
beschäftigt sich professionell mit dem Einsatz von Schriften. Er
ist Grafik-Designer und Typograph in Berlin. Er betreibt eine
Typo-Seite im Internet.
Typograph zu sein, ist ja schon etwas Besonderes. Wie sind Sie es denn geworden?
Ich bin Grafik-Designer; die Hälfte dieses Berufes
steht im Zusammenhang mit dem Thema Schrift. Schrift ist neben dem Bild
und der Produktion ein wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit. Ich will
sogar frech behaupten, daß Typographen vermutlich die besseren
Grafik-Designer sind.
Worin besteht die Arbeit des Typographen?
Heute bezeichnet man das Arbeitsgebiet des Typographen
primär als Grafik- und Kommunikationsdesign. Es geht also nicht
nur darum, Schriften zu entwerfen, sondern auch darum, mit ihnen zu
gestalten. Dazu gehört es auch, über Betrachtungs- und
Lesegewohnheiten bescheid zu wissen das ist sogar ein
wesentlicher Punkt. Wenn ich nicht weiß, wie eine bestimmte
Schrift wirkt, verfehle ich womöglich den Inhalt Schrift ist
ja nicht gleich Schrift. Es ist kein Luxus, sich darüber Gedanken
zu machen, sondern es geht darum, ob man Dinge gerne liest, schnell
liest, schnell begreift. Das einfachste Beispiel ist ein Schulbuch oder
ein Geschäftsbericht für Analysten. Hier ordnet sich mit
Sicherheit die Typographie dem Inhalt unter, weil es darum geht,
Inhalte klar und deutlich zu vermitteln.
Das nächste ist die visuelle Gestaltung eines
Druckerzeugnisses, einer Website oder einer dreidimensionalen Arbeit,
wie z.B. ein Firmenschriftzug an einem Haus. Der Gestalter muß
darauf achten, daß Inhalt und Schrift sowie die Anordnung von
Text und Bild optisch und didaktisch ein befriedigendes Ganzes ergibt.
Dazu muß er die Lehre von der ästhetischen,
künstlerischen und funktionalen Gestaltung kennen. Wie wirkt eine
bestimmte Anordnung von Buchstaben, Satzzeichen, Sonderzeichen und
Schriften? Am Rosa-Luxemburg-Platz, vor der Volksbühne, kann man
im übrigen ein schönes Beispiel plastischer Typographie
begutachten. Hier gelten natürlich andere Gesetze als in der
Lesetypographie.
Schön, man kann also
sagen, daß Typographie die Welt schneller lesbar macht. Aber hat
sie auch eine politische Relevanz?
Bereits Gutenbergs Erfindung hat innerhalb weniger Jahre
alle westeuropäischen Zivilisationen in kürzester Zeit
nachhaltig verändert. Gegenüber den folgenden Entwicklungen
der Digitalität wirkt sie allerdings geradezu harmlos. Aber die
Reformation, die Entstehung der modernen Wissenschaft oder die
Arbeiterbewegung wären in dieser Form nicht möglich gewesen.
Ohne Typographie, die Reproduktion von Wissen und Gedanken, hätten
die Ideen von Luther, Marx und anderen nicht verbreitet werden
können.
Normalerweise hält man
ja die Intellektuellen für die maßgeblichen Figuren. Wollen
Sie sagen, daß es die Typographen waren?
Sie spielten zumindest eine bedeutende Rolle. Ende des
18. Jahrhunderts wurde der Beruf des elitären Typographen, des
Künstler-Ingenieurs, überwiegend proletarisiert. Man
bezeichnete sie innerhalb der Arbeiterschaft auch als sogenannte
Stehkragenproletarier, also als solche, die sich durch ihre Sprache und
Kleidung die auch heute noch existiert; allein die
Handschriftsetzer hatten einen gewerbespezifischen Sprachschatz von
1500 Wörtern , von den anderen Proletariern absetzen wollten.
Als der Akzidenzsatz Anfang des 19. Jahrhunderts aufkam, haben sich die
Drucker und Akzidenzschriftsetzer im Zuge der Proletarisierung sehr
bald gewerkschaftlich organisiert. Sie waren in einer Position,
daß sie den ganzen Betrieb lahmlegen konnten. Der Slogan
„Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will"
galt besonders für sie in den Verlags- und Zeitungsdruckereien.
Die Setzer hatten also eine zentrale Stellung im Betrieb, und
dementsprechend wichtig waren sie. Das hat dazu geführt, daß
Schriftsetzer immer sehr gut bezahlt wurden. Bis kurz vor der
Digitalisierung erhielten sie Gehälter, um die sie heute jeder
Grafik-Designer beneiden würde. Früher, also vor 15, 20
Jahren, hatte ein Redakteur bestenfalls seine Schreibmaschine und gab
seine Texte dem Schriftsetzer, der sie zu Papier brachte. Und wenn der
nicht wollte, gab es keine Zeitung.
War der Beruf des
Schriftsetzers ein Ziel für politisch bewußte Menschen, wie
das heute für viele die Juristerei ist?
Auf jeden Fall war die Typo-Szene bis in die 70er Jahre
sehr politisch. Heute sind die Grafik-Designer und Weber so
unpolitisch, daß es schon wehtut. Sie lesen heute ja nicht einmal
die Texte, die sie setzen und mit denen sie gestalten. Früher
wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Ein
Akzidenzsetzer, heute würde man Art Director sagen, mußte
den Text sogar seitenverkehrt lesen und verstehen können. Und er
nahm dadurch natürlich Inhalte, also Wissen auf, das anderen
Menschen noch nicht zugänglich war. Wenn ein Schriftsetzer den
Text eines Autors setzte, kannte er zwangsläufig den gesamten
Inhalt. Schriftsetzer waren deshalb meist sehr belesene Leute, was auch
ihre aktive Rolle in der damaligen Arbeiterbewegung erklären
könnte.
Mit dem heimischen PC kann heute jeder ein Typograph sein...
Die Produktionsmittel wurden komplett demokratisiert.
Noch vor ein paar Jahren war es unmöglich, ein Buch, ein Prospekt
oder eine Zeitung ohne Hilfe zu machen. Ein Fotosatzgerät von
Berthold, das eine geringere Leistung hatte als eine Armbanduhr von
heute, kostete rund eine Million Mark. Da hat man im Akzidenzsatz
für einen Buchstaben eine Mark gezahlt. Heute dagegen ist auch ein
Mac, der ja als teuer gilt, spottbillig.
Wenn jeder selbst mit
Schriften gestalten kann, ist das eigentlich toll, führt aber zum
Teil zu schrecklichen Ergebnissen. Eine Frage ist deshalb auch, wann
etwas gut gestaltet ist.
Typographie ist im Großen und Ganzen ein Handwerk,
das man lernen kann. Es gibt gewisse Gesetzmäßigkeiten wie
in anderen Berufen auch, und es gibt Regeln, die man aber verletzen
kann. Nicht nur Laien, sondern auch viele Verlage und Zeitungen
beachten die Regeln nicht. Insbesondere dann, wenn es um vergleichbare
Inhalte geht, also z.B. bei Lehrbüchern, die es aus verschiedenen
Verlagen gibt, kennt jeder das Gefühl, daß er mit dem einen
Buch besser lernen kann als mit dem anderen. Das führt oftmals
dazu, daß man die Bücher von Verlag X gerne kauft, die von
Verlag Y aber nicht.
Die gebrochenen Schriften
stehen bei vielen in einem schlechten Ruf. Viele rümpfen die Nase,
weil sie z.B. die Schwabacher für eine Nazi-Schrift halten.
Gebrochenen Schriften haben in Deutschland eine
große Tradition. Deshalb nennt man sie auch die Deutsche Schrift.
Die gebrochene Schrift war auch die, die man der Reformation zuordnete.
Die Antiqua hingegen war im wesentlichen die Schrift der Humanisten und
später der Kurie. Auch der Benediktiner-Orden hat über
Jahrhunderte immer in Antiqua geschrieben.
Deutschland, Österreich und die Schweiz waren die
einzigen Länder, die bis zum Krieg auch mit gebrochenen Schriften
gearbeitet haben. Natürlich gab es immer Bestrebungen, wie von
Goethe, Wieland, Göschen oder Unger, die versuchten, unsere
Schriftkultur zu reformieren, d.h. von der gebrochenen Schrift
wegzukommen und so zu drucken wie die Engländer, Franzosen und
Italiener. Das hat nie funktioniert. Bismarck etwa hat sich geweigert,
Antiqua-Schriften zu lesen, für den war das was
Französisches. Insbesondere die Preußen haben sich mit
Händen und Füßen gewehrt, in Antiqua-Schriften zu
drucken; alle ihre Kriegsgegner hatten ja bekanntlich die Antiqua.
Druckschrift war in Deutschland immer sehr politisch. Das fing bei der
Reformation an und dauert bis heute.
Die schöne Tradition, gebrochene Schriften zu
verwenden, haben die Nazis beendet. 1941 wurde sie verboten und
Frakturschriften als „Juden-Schrift" diffamiert. Es ging in
diesem Fall aber auch um ganz andere Dinge. Viele Druckereien und
Schriftgießereien waren mittelständische Industriebetriebe,
in denen Tonnen von Bleisatzschriften aufbewahrt wurden, was ein
enormes Vermögen darstellte. Bei dem Verbot ging es primär
darum, an den Besitz jüdischer und anders denkender Unternehmer
heranzukommen, bzw. ihnen den Markt kaputt zu machen. Wir dürfen
nicht vergessen, daß früher Druckereien nahezu
ausschließlich Verlags-, Zeitungs- und Buchdruckereien waren und
Schrift materiell und gebrochen war!
Daß sie zurückgedrängt wurde, hat aber
auch mit der materiellen Situation nach dem Krieg zu tun. Da so gut wie
keine Bleischriften und Maschinen mehr vorhanden waren, mußte man
die Schriften irgendwo her kriegen. Also hat man sie z.B. in England
bei der Monotype gekauft, aber da waren natürlich nur
Antiqua-Schriften vorhanden. Die Antiqua als Verkehrschrift in
Deutschland entstand in der Nachkriegszeit also auch über die
Maschinen, die gerade zur Verfügung standen.
Erleben wir eine Renaissance der gebrochenen Schriften?
Über England kommt sie gerade wieder auch nach
Deutschland zurück, insbesondere in der Werbetypographie. Auch in
der Mode sieht man das immer häufiger. Aber wie schon
erwähnt, wir Deutschen haben eine Vorliebe dafür, alles
ausgiebig zu diskutieren und zu bewerten. Wieso sollte es bei Schriften
anders sein? Wenn man gebrochene Schriften ablehnt, handelt es sich
häufig um ein Mißverständnis. Deshalb hoffe ich,
daß diese jahrhundertealte Schriftkultur in Deutschland nicht
verloren geht. Im Design werden wir sie wieder häufiger sehen. In
Büchern und Zeitungen nicht mehr.
Interview: Benno Kirsch
www.typolexikon.de
Typo Berlin 2007 „Music". Vom 17. bis 19. Mai im Berliner Congress Centrum, Alexanderstraße 11, Mitte. www.typoberlin.de