Keine schwedischen Gardinen mehr
In der ehemaligen JVA Rummelsburg entstehen Luxuswohnungen
Für den ehemaligen Gefangenen Torsten Nitschke*
klingt es wie ein schlechter Witz: „Das historische
Backsteinensemble verbindet in wunderbarer Weise Citynähe mit
einem hohen Maß an Lebensqualität und Ruhe einer
innerstädtischen Wasserlage im grünen Herzen Berlins." Mit
diesem Text wirbt die Berliner Firma Maruhn Immobilien für neue
Luxusdomizile in den alten Gefängnismauern der ehemaligen JVA
Rummelsburg. Doch es kommt noch härter: „Die
preußische Architektur zeichnet sich durch ihre historischen
Fassaden aus und steht doch im Einklang mit einer modernen und
anspruchsvollen Architektur."
Firmenchef Detlef Maruhn sieht es ganz gelassen. Er
steht zur etwas oberflächlichen Darstellung des Objekts in
Werbebroschüren und im Internet. „Wir stellen den
JVA-Beigeschmack zwar bewußt nicht in den Vordergrund", meint
Maruhn, verschweigen wolle und könne man das jedoch auch nicht.
Das unterstreicht auch der Projektmanager der Wasserstadt GmbH,
Christoph Hamm. Die frühere Arbeitshaus- und Gefängnisnutzung
würde „für die künftigen Bewohner kein Hemmnis
darstellen".
Seit Jahren hatte die Wasserstadt Berlin GmbH, ein
landeseigener Entwicklungsträger, versucht, das Areal an der
Rummelsburger Bucht zu vermarkten. Aber alle Versuche zur Neubelebung
des Gefängnisgeländes nach der Wende waren zum Scheitern
verurteilt: Der Einzug des Arbeits- und Sozialgerichts in die alten
Gemäuer war dem Land zu teuer, auch der Plan zur Errichtung eines
kirchlichen Seniorenwohnheims verlief im Sande. Schließlich
übergab die Wasserstadt Berlin GmbH am 18. April formell das als
„BerlinCampus" betitelte Grundstück an die Maruhn
Immobiliengruppe.
Der Berliner Immobilien-Spezialist Maruhn hatte bereits
im vergangenen Jahr einen guten Riecher gehabt. Nachdem andere
Bauprojekte an der Rummelsburger Bucht in Gang gekommen waren, nutzte
er die Gunst der Stunde. Bereits am 11. September 2006 kaufte er ein
28000 Quadratmeter großes Teilareal des seit Jahren leerstehenden
DDR-Knastes. Ab diesem Zeitpunkt, so Hamm, sei „die Sicherheit
für ein größeres Bauvorhaben, wie das der Maruhn
Immobilien Gruppe, gegeben gewesen". Die Übernahme des restlichen
Geländes sei, so Maruhn, in Planung.
Umnutzung heißt das Zauberwort. Mit einem
Investitionsvolumen von 40 Millionen Euro werden die schwedischen
Gardinen nun französischen Fenstern weichen. In den 15
Backsteinbauten will Maruhn Wohnungen mit Luxusbädern und
vorgehängten Balkonen errichten. Nicht mehr naßkalter Beton,
sondern Massivholzparkett soll zukünftig den Boden bedecken. Die
engen Zellen sollen Platz machen für Einbauküchen und
geräumige Zimmer mit hohen Decken. Eine Musterwohnung wurde
eingerichtet. Seit April wird gebaut. Ende des Jahres sollen die ersten
Familien einziehen.
Maruhns Konzept scheint aufzugehen. Von den 144
geplanten Wohnungen seien 51 bereits verkauft worden. Dabei machten
Menschen, die sofort in den Ex-Knast ziehen wollen, eher den geringeren
Teil der Interessenten aus. Etwa siebzig Prozent der bereits verkauften
Wohnungen, sagt Maruhn, habe man an Kapitalanleger verkauft. Bei den
restlichen dreißig Prozent handele es sich hingegen um Menschen,
„die im öffentlichen Dienst oder im mittleren Management
tätig sind". Hauptzielgruppe sei die gut verdienende Mittelklasse:
Abteilungsleiter, Uni-Personal und Mitarbeiter des öffentlichen
Dienstes. Wer in das denkmalgeschützte Gebiet investiert,
könne so von Steuervorteilen profitieren. Und Wasserstadt-Manager
Hamm ergänzt: „Es gibt auch einen größeren Anteil
von neu nach Berlin Zuziehenden."
Torsten Nitschke steht der Umgestaltung des
Knastgeländes eher skeptisch gegenüber. Er gehörte zur
letzten Generation der Rummelsburger JVA-Insassen. Bis 1989 mußte
der DDR-Kritiker hinter den Backsteinmauern SED-Medaillen und
Staatsorden pressen. 1990, zu Wendezeiten, gehörte er zum
Gefangenenrat. Mit dem Gebäudekomplex verbindet er noch immer
Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Schmerz. Er befürchtet,
daß das Leid, das Menschen hier widerfahren ist, „einfach
übertüncht und wegrestauriert" wird. Statt dessen
wünscht sich Nitschke „einen behutsamen Umgang mit der
gesamten Geschichte des Knastes".
In der Tat hat sich der Immobilienhalter Maruhn bisher
nur oberflächlich mit der Vorgeschichte des Areals und deren
zukünftige Aufarbeitung auseinandergesetzt. „Wenn wir doch
noch das ganze Gelände kaufen sollten, werden wir wahrscheinlich
Tafeln vor den einzelnen Gebäuden aufstellen, auf denen steht, was
sich früher darin befand." Konkrete Konzepte lägen jedoch
noch nicht in der Schublade.
Finster wirkt die Vorgeschichte des Geländes
zwischen Hauptstraße und Spreeufer. 1859 wurde in Rummelsburg das
Friedrichs-Waisenhaus gegründet, das später auch für die
Strafunterbringung, als Besserungsanstalt und als Arbeitshaus genutzt
wurde. Der progressive Stadtbaurat Hermann Blankenstein ließ an
der Rummelsburger Bucht das „Preußische Arbeitshaus"
errichten. Die Nazis internierten in den 15 Klinkerbauten zwischen 1933
und 1945 Homosexuelle und sogenannte „psychisch Abwegige". Selbst
nach dem Zweiten Weltkrieg, noch bis 1951, wurde der Komplex als
Arbeitshaus genutzt. Das gesamte Gelände wurde 1953 zum
Gefängnis umgebaut. Bis zu 900 Menschen saßen dort
gleichzeitig ein. Im Oktober '89 richtete die Volkspolizei im
Rummelsburger Knast ein Sammellager ein, wo Demo-Teilnehmer
festgehalten und mißhandelt wurden.
Zwar lockerten sich zu Wendezeiten die Haftbedingungen
der verbliebenen 300 Insassen, doch kam es im September 1990 zu
Dachbesetzungen und Gefangenenrevolten. Nach der Vereinigung beider
deutscher Staaten wurde die JVA Rummelsburg geschlossen. Die Gefangenen
wurden entweder amnestiert oder in die JVA Tegel verlegt. Die Spuren
der Geschichte werden mehr und mehr verwischt. Was bleibt, ist nur die
Hoffnung Nitschkes, daß „das Leid und Unrecht", mit dem
dieser Ort so lange verknüpft war, „nicht gänzlich in
Vergessenheit gerät".
Jens Steiner
* Name geändert