Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Keine schwedischen Gardinen mehr

In der ehemaligen JVA Rummelsburg entstehen Luxuswohnungen

Für den ehemaligen Gefangenen Torsten Nitschke* klingt es wie ein schlechter Witz: „Das historische Backsteinensemble verbindet in wunderbarer Weise Citynähe mit einem hohen Maß an Lebensqualität und Ruhe einer innerstädtischen Wasserlage im grünen Herzen Berlins." Mit diesem Text wirbt die Berliner Firma Maruhn Immobilien für neue Luxusdomizile in den alten Gefängnismauern der ehemaligen JVA Rummelsburg. Doch es kommt noch härter: „Die preußische Architektur zeichnet sich durch ihre historischen Fassaden aus und steht doch im Einklang mit einer modernen und anspruchsvollen Architektur."

Firmenchef Detlef Maruhn sieht es ganz gelassen. Er steht zur etwas oberflächlichen Darstellung des Objekts in Werbebroschüren und im Internet. „Wir stellen den JVA-Beigeschmack zwar bewußt nicht in den Vordergrund", meint Maruhn, verschweigen wolle und könne man das jedoch auch nicht. Das unterstreicht auch der Projektmanager der Wasserstadt GmbH, Christoph Hamm. Die frühere Arbeitshaus- und Gefängnisnutzung würde „für die künftigen Bewohner kein Hemmnis darstellen".

Seit Jahren hatte die Wasserstadt Berlin GmbH, ein landeseigener Entwicklungsträger, versucht, das Areal an der Rummelsburger Bucht zu vermarkten. Aber alle Versuche zur Neubelebung des Gefängnisgeländes nach der Wende waren zum Scheitern verurteilt: Der Einzug des Arbeits- und Sozialgerichts in die alten Gemäuer war dem Land zu teuer, auch der Plan zur Errichtung eines kirchlichen Seniorenwohnheims verlief im Sande. Schließlich übergab die Wasserstadt Berlin GmbH am 18. April formell das als „BerlinCampus" betitelte Grundstück an die Maruhn Immobiliengruppe.

Der Berliner Immobilien-Spezialist Maruhn hatte bereits im vergangenen Jahr einen guten Riecher gehabt. Nachdem andere Bauprojekte an der Rummelsburger Bucht in Gang gekommen waren, nutzte er die Gunst der Stunde. Bereits am 11. September 2006 kaufte er ein 28000 Quadratmeter großes Teilareal des seit Jahren leerstehenden DDR-Knastes. Ab diesem Zeitpunkt, so Hamm, sei „die Sicherheit für ein größeres Bauvorhaben, wie das der Maruhn Immobilien Gruppe, gegeben gewesen". Die Übernahme des restlichen Geländes sei, so Maruhn, in Planung.

Umnutzung heißt das Zauberwort. Mit einem Investitionsvolumen von 40 Millionen Euro werden die schwedischen Gardinen nun französischen Fenstern weichen. In den 15 Backsteinbauten will Maruhn Wohnungen mit Luxusbädern und vorgehängten Balkonen errichten. Nicht mehr naßkalter Beton, sondern Massivholzparkett soll zukünftig den Boden bedecken. Die engen Zellen sollen Platz machen für Einbauküchen und geräumige Zimmer mit hohen Decken. Eine Musterwohnung wurde eingerichtet. Seit April wird gebaut. Ende des Jahres sollen die ersten Familien einziehen.

Maruhns Konzept scheint aufzugehen. Von den 144 geplanten Wohnungen seien 51 bereits verkauft worden. Dabei machten Menschen, die sofort in den Ex-Knast ziehen wollen, eher den geringeren Teil der Interessenten aus. Etwa siebzig Prozent der bereits verkauften Wohnungen, sagt Maruhn, habe man an Kapitalanleger verkauft. Bei den restlichen dreißig Prozent handele es sich hingegen um Menschen, „die im öffentlichen Dienst oder im mittleren Management tätig sind". Hauptzielgruppe sei die gut verdienende Mittelklasse: Abteilungsleiter, Uni-Personal und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Wer in das denkmalgeschützte Gebiet investiert, könne so von Steuervorteilen profitieren. Und Wasserstadt-Manager Hamm ergänzt: „Es gibt auch einen größeren Anteil von neu nach Berlin Zuziehenden."

Torsten Nitschke steht der Umgestaltung des Knastgeländes eher skeptisch gegenüber. Er gehörte zur letzten Generation der Rummelsburger JVA-Insassen. Bis 1989 mußte der DDR-Kritiker hinter den Backsteinmauern SED-Medaillen und Staatsorden pressen. 1990, zu Wendezeiten, gehörte er zum Gefangenenrat. Mit dem Gebäudekomplex verbindet er noch immer Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Schmerz. Er befürchtet, daß das Leid, das Menschen hier widerfahren ist, „einfach übertüncht und wegrestauriert" wird. Statt dessen wünscht sich Nitschke „einen behutsamen Umgang mit der gesamten Geschichte des Knastes".

In der Tat hat sich der Immobilienhalter Maruhn bisher nur oberflächlich mit der Vorgeschichte des Areals und deren zukünftige Aufarbeitung auseinandergesetzt. „Wenn wir doch noch das ganze Gelände kaufen sollten, werden wir wahrscheinlich Tafeln vor den einzelnen Gebäuden aufstellen, auf denen steht, was sich früher darin befand." Konkrete Konzepte lägen jedoch noch nicht in der Schublade.

Finster wirkt die Vorgeschichte des Geländes zwischen Hauptstraße und Spreeufer. 1859 wurde in Rummelsburg das Friedrichs-Waisenhaus gegründet, das später auch für die Strafunterbringung, als Besserungsanstalt und als Arbeitshaus genutzt wurde. Der progressive Stadtbaurat Hermann Blankenstein ließ an der Rummelsburger Bucht das „Preußische Arbeitshaus" errichten. Die Nazis internierten in den 15 Klinkerbauten zwischen 1933 und 1945 Homosexuelle und sogenannte „psychisch Abwegige". Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg, noch bis 1951, wurde der Komplex als Arbeitshaus genutzt. Das gesamte Gelände wurde 1953 zum Gefängnis umgebaut. Bis zu 900 Menschen saßen dort gleichzeitig ein. Im Oktober '89 richtete die Volkspolizei im Rummelsburger Knast ein Sammellager ein, wo Demo-Teilnehmer festgehalten und mißhandelt wurden.

Zwar lockerten sich zu Wendezeiten die Haftbedingungen der verbliebenen 300 Insassen, doch kam es im September 1990 zu Dachbesetzungen und Gefangenenrevolten. Nach der Vereinigung beider deutscher Staaten wurde die JVA Rummelsburg geschlossen. Die Gefangenen wurden entweder amnestiert oder in die JVA Tegel verlegt. Die Spuren der Geschichte werden mehr und mehr verwischt. Was bleibt, ist nur die Hoffnung Nitschkes, daß „das Leid und Unrecht", mit dem dieser Ort so lange verknüpft war, „nicht gänzlich in Vergessenheit gerät". 

Jens Steiner

* Name geändert

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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