Linkssozialdemokratische Akzente gegen rassistische Kampagnen
Die ehemalige Leiterin der Rütlischule hat ein Buch geschrieben
Die Rütlischule in Neukölln sorgte im letzten
Jahr für Schlagzeilen. Nachdem Lehrer der Schule in einem Offenen
Brief erklärten, sie könnten ihrem pädagogischen Auftrag
nicht mehr nachkommen, setze eine mit rassistischen Untertönen
unterfütterte Kampagne gegen eine multikulturelle Gesellschaft,
gegen angebliche Parallelgesellschaften und „jugendliche
Intensivtäter" ein. Der kurz vor dem Brief mit großem
Publikumserfolg angelaufene Film Knallhart lieferte die Stichworte
für die Kampagne. Dabei wurden Thesen in die Mitte der
Gesellschaft getragen, die vor Jahren nur im rechten Wochenblatt Junge
Freiheit zu lesen gewesen waren.
Da ist schon ein Buch zu begrüßen, das diesen
rechten Tönen linkssozialdemokratische Akzente entgegensetzt. Die
langjährige Rektorin der Rütlischule, Brigitte Pick, hat sich
auf diese Weise in ihrem Buch Kopfschüsse geäußert. In
vielen kleine Episoden schildert sie die sozialen Verhältnisse, in
denen viele ihrer Schüler leben. Sie beschreibt beispielsweise,
wie aus den so gefährlich wirkenden arabischen Jungmännern,
die Mitschüler bedrohen, schnell kleinlaute Jugendliche wurden,
die auch mal auf eine Party gehen wollten. Pick hält in ihrem Buch
einige nicht nur pädagogische Grundsätze hoch, die vor noch
nicht allzu langer Zeit zu den Mindeststandards gewerkschaftlicher und
selbst liberaler Bildungspolitik gehörten. Doch wer heute etwa das
Zeitgeist-Magazin Tip durchblättert, wo die erfolgreichen jungen
Kreativen gehyped, den Verlierer der Gesellschaft aber schon mal gesagt
wird, daß sie gefälligst das Maul halten und sich
schämen sollten, weiß, daß Pick mit ihren Thesen heute
schon eine lobenswerte Ausnahme ist.
Daher ist ihr Buch notwendig, aber trotzdem nicht gut.
Oft ist es zu episodenhaft gehalten. Was will uns Pick mit ihrer
Nachricht mitteilen, daß sie sich aus den roten Fahnen ihrer
Jugendzeit kürzlich Schwimmutensilien genäht hat? Und wer
glaubt, daß sie jenen Oehmke, der Pick angeblich erst den Weg in
den Schuldienst ebnete, rein zufällig über 30 Jahre
später als Rentner in einer Neuköllner Lokalität trifft
und nicht mal erkennt? Auch inhaltlich bleiben viele Fragen offen. So
lobt Pick die Hausordnung der Rütlischule, die unter ihrer
Ägide aufgestellt wurde. Die aber hauptsächlich aus Verboten
besteht und sich hierin wohl kaum von denen anderer Schulen
unterscheidet. Daß Pick auch noch ausdrücklich vermerkt, wie
gut die Schule mit allen Behörden und der Polizei kooperiert hat,
ist eigentlich auch ein Bankrott aller Vorstellungen von
emanzipatorischer Pädagogik, die Pick und andere einmal hatten.
Doch gerade die sicher den Verhältnissen geschuldeten Differenzen
zwischen Anspruch und Wirklichkeit können zu Diskussionen anregen.
Es ist allemal besser, hierüber zu diskutieren, als über die
Vorlagen, wie sie Filme wie Knallhart und ähnliche Ergüsse
vorgeben.
Peter Nowak
Brigitte Pick: Kopfschüsse.
Wer PISA nicht versteht, muß mit
RÜTLI rechnen. VSA-Verlag,
Hamburg 2007. 14,80 Euro.