Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Linkssozialdemokratische Akzente gegen rassistische Kampagnen

Die ehemalige Leiterin der Rütlischule hat ein Buch geschrieben

Die Rütlischule in Neukölln sorgte im letzten Jahr für Schlagzeilen. Nachdem Lehrer der Schule in einem Offenen Brief erklärten, sie könnten ihrem pädagogischen Auftrag nicht mehr nachkommen, setze eine mit rassistischen Untertönen unterfütterte Kampagne gegen eine multikulturelle Gesellschaft, gegen angebliche Parallelgesellschaften und „jugendliche Intensivtäter" ein. Der kurz vor dem Brief mit großem Publikumserfolg angelaufene Film Knallhart lieferte die Stichworte für die Kampagne. Dabei wurden Thesen in die Mitte der Gesellschaft getragen, die vor Jahren nur im rechten Wochenblatt Junge Freiheit zu lesen gewesen waren.

Da ist schon ein Buch zu begrüßen, das diesen rechten Tönen linkssozialdemokratische Akzente entgegensetzt. Die langjährige Rektorin der Rütlischule, Brigitte Pick, hat sich auf diese Weise in ihrem Buch Kopfschüsse geäußert. In vielen kleine Episoden schildert sie die sozialen Verhältnisse, in denen viele ihrer Schüler leben. Sie beschreibt beispielsweise, wie aus den so gefährlich wirkenden arabischen Jungmännern, die Mitschüler bedrohen, schnell kleinlaute Jugendliche wurden, die auch mal auf eine Party gehen wollten. Pick hält in ihrem Buch einige nicht nur pädagogische Grundsätze hoch, die vor noch nicht allzu langer Zeit zu den Mindeststandards gewerkschaftlicher und selbst liberaler Bildungspolitik gehörten. Doch wer heute etwa das Zeitgeist-Magazin Tip durchblättert, wo die erfolgreichen jungen Kreativen gehyped, den Verlierer der Gesellschaft aber schon mal gesagt wird, daß sie gefälligst das Maul halten und sich schämen sollten, weiß, daß Pick mit ihren Thesen heute schon eine lobenswerte Ausnahme ist.

Daher ist ihr Buch notwendig, aber trotzdem nicht gut. Oft ist es zu episodenhaft gehalten. Was will uns Pick mit ihrer Nachricht mitteilen, daß sie sich aus den roten Fahnen ihrer Jugendzeit kürzlich Schwimmutensilien genäht hat? Und wer glaubt, daß sie jenen Oehmke, der Pick angeblich erst den Weg in den Schuldienst ebnete, rein zufällig über 30 Jahre später als Rentner in einer Neuköllner Lokalität trifft und nicht mal erkennt? Auch inhaltlich bleiben viele Fragen offen. So lobt Pick die Hausordnung der Rütlischule, die unter ihrer Ägide aufgestellt wurde. Die aber hauptsächlich aus Verboten besteht und sich hierin wohl kaum von denen anderer Schulen unterscheidet. Daß Pick auch noch ausdrücklich vermerkt, wie gut die Schule mit allen Behörden und der Polizei kooperiert hat, ist eigentlich auch ein Bankrott aller Vorstellungen von emanzipatorischer Pädagogik, die Pick und andere einmal hatten. Doch gerade die sicher den Verhältnissen geschuldeten Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit können zu Diskussionen anregen. Es ist allemal besser, hierüber zu diskutieren, als über die Vorlagen, wie sie Filme wie Knallhart und ähnliche Ergüsse vorgeben. 

Peter Nowak

Brigitte Pick: Kopfschüsse.
Wer PISA nicht versteht, muß mit
RÜTLI rechnen. VSA-Verlag,
Hamburg 2007. 14,80 Euro.

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 04 - 2007 © scheinschlag 2007