Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Auf der Suche nach der Lieblingswahrheit

Loose Change entlarvt die 9/11 conspiracy

Neulich bekam ich im Kino noch einen zweiten Film, zum Mitnehmen für zu Hause. Dahinter steckte jedoch kein ausgeklügeltes Bonussystem des Lichtspielhauses im Kampf gegen Videotheken und -download, sondern eine politische Kampagne: Loose Change, ein US-amerikanischer Dokumentarfilm über die Vorgänge rund um den 11. September 2001, war mir in die Hände geraten. Eine Berliner Gruppe vervielfältigt den Film in Heimarbeit auf DVDs und legt sie vorwiegend in Kreuzberg, Mitte und Friedrichshain in gut hundert Cafés, Läden und Kinos mehr oder weniger links-alternativer Prove-nienz aus.

Die Filmemacher von Loose Change, ein paar junge Amateure aus Oneonta, New York, behaupten zunächst, keine Antworten geben, sondern Fragen stellen zu wollen: Wer steckte hinter den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon? Wer hatte die Möglichkeit, sie durchzuführen? Wer hat von ihnen profitiert? Und was ist von den „offiziellen Wahrheiten" zu halten, die von einem Großteil der Medien getragen werden?

Über eine knappe Spielfilmlänge werden Indizien gesammelt, Mutmaßungen angestrengt und vor allem: Zweifel gesät. Warum seien bestimmte Personen gewarnt worden, am 11. September öffentliche Flugzeugen zu besteigen? Sieht die Einschlagsstelle am Pentagon wirklich nach einer Passagiermaschiene aus? Konnten Brände allein die Zwillingstürme zum Einsturz bringen? Hat es nicht zahlreiche Berichte über ungeklärte Explosionen in den beiden Bürotürmen gegeben? Atmosphärisch dicht verpackt ergibt sich so ein kleines Universum mit einer konsistenten inneren Logik, die auf eines hinausläuft: Es sei nicht so gewesen, wie man es uns weismachen möchte. Und mit großer Wahrscheinlichkeit sei es die US-Regierung selbst, die hinter den Anschlägen gesteckt haben dürfte.

Etwas erstaunlich mag es schon wirken, wie sich im Rahmen von Loose Change nahezu widerspruchslos eins zum andern fügt, wie der Film all jene Indizien zusammensucht, die auf dem Weg zur Konstruktion einer alternativen Wahrheit nützlich sind. Wie er vorgibt, Fragen zu stellen, jedoch überdeutlich Antworten suggeriert.

Wer sich die Mühe macht, aus der Berieselung durch einen Dokumentarfilm auszusteigen und sich z.B. im Internet durch die zahlreichen Reaktionen auf Loose Change zu lesen, wird dort ein erstaunlich konträres Bild vorfinden. An so mancher Stelle zerpflücken die Skeptiker der 9/11-Skeptiker nämlich haarklein die Argumentationen und Darstellungen jener Leute, die angeblich nur Fragen stellen wollen. Da wird geradegerückt, aus welchem Zusammenhang dieses oder jenes Zitat gerissen wurde, wie tendenziös Bilder ausgewählt wurden, um die präferierte Theorie zu stützen, wie hanebüchen sogar manche Interpretation von Geschehnissen daherkommt, wenn man sie mal auf ihre Stichhaltigkeit hin abklopft. So werden die Macher von Loose Change ein ums andere Mal vorgeführt, Informationen nicht nur auf höchst fragwürdige Weise ausgewählt und dargestellt zu haben, ihnen wird sogar hier und da nachgewiesen, entlastendes Material gezielt verschwiegen zu haben.

Beunruhigend ist also nicht nur, welchen Erfolg eine halbwegs geschickte Zusammenstellung von Halbwahrheiten und Verdrehungen haben kann, solange sie ein konsistent erscheinendes Bild ergibt. Einfache Antworten bedienen diffuse Zweifel, indem alles Ungewisse sich angesichts einer mächtigen und zielgerichtet handelnden Hand in Luft auflösen darf. Mittlerweile beschweren sich US-amerikanische Linke wie Alexander Cockburn bereits, ihre Bewegung verliere sich im Schulterschluß mit populistischen Rechten zusehends in düsteren Verschwörungstheorien gegenüber der Regierung, statt sie von Krieg und Sicherheitswahn abzuhalten. Was passiert aber, wenn ein Film über den großen Teich wandert? Hier wird die Verschwörung nicht mehr länger bei der „eigenen" Regierung gesucht, so wie es den Filmemachern von Loose Change geht, sondern herbeihalluzinierten Kräften auf der globalen Hitliste des Bösen. Warum wurde Loose Change, wie zuvor Fahrenheit 9/11 von Michael Moore, denn gerade in Europa so populär? Eben weil hier der Wille, die USA abzuqualifizieren und sich selbst demgegenüber als das geläuterte, kritische und ach so friedliebende „Old Europe" zu vergewissern, unheimlich viele Freunde hat.

Um wieviel konsequenter ist da doch der Vater des Hamburger Todespiloten Mohammed Atta. Der nämlich kam vor drei Jahren im Gespräch mit einem Reporter des Cicero zu dem Schluß, niemand anderes als der Mossad könne hinter dem „Komplott" gegen seinen Sohn, er meint damit die Anschläge, stecken: „Nur die Juden können das. Niemand anderes sonst." So findet jeder die Wahrheit, die er sucht. Tobias Höpner

Loose Change (USA 2005),
Regie: Dylan Avery.

http://www.werboom.de/vt

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 04 - 2007 © scheinschlag 2007