Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

No Sex, no War

Vom Glück der Asexuellen

Normalerweise gilt die Liebe, das Liebemachen oder was man dafür hält, als nicht besonders kriegstreibend. Ja, es gibt sogar den Spruch „Make Love Not War", der behauptet, Liebe machen sei das exakte Gegenteil von Krieg. Doch wenn damit einfach Sex gemeint ist, was ist dann mit Vergewaltigung? Ist dies nicht auch ein Krieg gegen Frauen, ausgeführt von mehr oder minder ekeligen Typen, ja sogar solchen, denen frau auf gar keinen Fall und mann sowieso so etwas nie zugetraut hätte? Und wie viele Vergewaltiger haben sich damit gerechtfertigt, daß sie ganz normal Liebe gemacht hätten? Aber lassen wir uns nicht irritieren vom feministischen Slogan, Vergewaltigung finde täglich statt und sei jeder Frau gegenwärtig, auch wenn das so ist. Bleiben wir also bei der sogenannten Normalität, in der das Liebemachen Vergewaltigung nicht mit einschließt. Da ist nun die Liebe und die dazugehörige Beziehung, wenn die Liebe sich denn erfüllt. Sind Liebesbeziehungen wirklich so friedfertig? Ist es nicht so, daß, wenn es kriselt und dieses Kriseln nicht zu einem Bruch führt, sich unterschwellige Aggressionen entwickeln, es zu Wutausbrüchen kommt, zu Gemeinheiten, Hinterhältigkeiten? Und sind derartige Auseinandersetzungen nicht, auf einer sehr persönlichen Ebene, dem Krieg ähnlich, nur eben psychologisch geführt? Und dann gibt es schließlich noch diejenigen Beziehungen, wo solche Aggressionen tatsächlich in offene Gewalt umschlagen und die Partner sich trotzdem nicht trennen. Wollen wir da nach wie vor festhalten an dem Glauben, Liebe sei das glatte Gegenteil von Krieg? Nun könnte man argumentieren, daß Liebe und Sex, soweit diese auf Gegenseitigkeit beruhen, mit Krieg nun wirklich nichts zu tun haben. Doch wie viele Menschen haben Sex miteinander, bei dem – und das ist ja wohl die Idealvorstellung von friedlichem Sex – beide Seiten befriedigt sind? Diesen gibt es doch nur in einer engen Beziehung, bei der sich beide kennenlernen wollen und ein gegenseitiges Verständnis entwikkeln können. Wenn es dann zum Bruch kommt und zur darauffolgenden Krise, wird der Partnerkrieg um so grausamer. Doch wenn nicht Sex, was ist dann die Lösung gegen Krieg? Vielleicht gar kein Sex? Vielleicht sollte man sich die asexuellen Menschen zum Vorbild nehmen, die es angeblich auch in Berlin zuhauf gibt – weltweit hat sich eine ständig wachsende Community bekennender Asexueller herausgebildet, die sich u.a. mithilfe der Informationsplattform AVEN (Asexual Visibility and Education Network) in der Öffentlichkeit präsentiert. Diese Menschen können trotzdem enge Beziehungen zu anderen entwickeln, wollen nur die sexuelle Interaktion nicht. Der Vorteil von asexuellen Beziehungen wäre, dass die Gefühle nicht den Höhen und Tiefen einer sexuellen Liebe unterliegen und man nicht immer der sexuellen Befriedigung hinterher rennen müßte, ja man käme mit ganz entspannter Masturbation aus. Was sollte da noch fehlen für ein ausgeglichenes Gefühlsleben?

Inett Kleinmichel

http://asexuality.org/de

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