Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Foto: Stefan Neugebauer

Die sanfte Einsamkeit des Melancholikers

Das clubtheater-berlin richtet sich im Stadtbad Steglitz ein

Wo eine spektakuläre Immobilie leer steht, da läßt die Kunst nicht lange auf sich warten. Ob altes Pumpwerk (Radialsystem), Kaufhausruine (Tacheles) oder Palast der Republik (Volkspalast-Bespielung) – der Raum kann gar nicht ungewöhnlich genug sein, als daß er nicht bei dem einen oder anderen Künstlerkollektiv Begehrlichkeiten wecken würde. Das clubtheater-berlin und sein findiger Gründer Stefan Neugebauer haben sich bei der Suche nach solchen ungewöhnlichen Orten nachgerade zu Spezialisten entwickelt: Ursprünglich starteten sie in der Clubszene, genauer im Cookies; dann spielten sie im Festsaal des Max & Moritz in Kreuzberg oder im Sektionshörsaal der Charité. Nun haben sie sich – fast schon spießig! – eine feste Spielstätte gewählt; die aber ist auf den ersten Blick so theaterfern, wie nur was: das Stadtbad Steglitz. Vor einem Jahr versenkte Neugebauer hier einen Woyzeck im (leeren) Schwimmbecken, und seitdem läßt ihn das Gebäude nicht mehr los. Jetzt will er sich also für länger einrichten – allerdings nicht für die Ewigkeit: Die Eigentümerin der Immobilie will über kurz oder lang den Schwimmbetrieb in dem 100 Jahre alten Jugendstil-Gebäude wieder aufnehmen. Zwischennutzung heißt somit die Devise, und mit Verve geht nun Berlins jüngstes Stadt(bad)theater in seine erste Saison.

Analog zu den großen Häusern der Stadt hat auch das clubtheater neben seiner Hauptbühne ­ der Schwimmhalle ­ sein kleines Studio: die Sauna. Hier hat Stefan Neugebauer mit dem italienischen Schauspieler Gerolamo Fancellu den „Bericht für eine Akademie" von Kafka erarbeitet, in dem ein ­ ja was? ein Noch-Nicht-Mensch? ein Nicht-Mehr-Affe? von seinem äffischen Vorleben und seiner Kultivierung Rechenschaft ablegt. Fancellu ist in der Rolle des Rotpeter eine Idealbesetzung: Zum einen bringt er die Geschichte seiner eigenen kulturellen Verpflanzung ein, seine italienischen Vokalfärbungen im ansonsten akzentfreien Deutsch wirken wie Relikte einer unterdrückten, ursprünglicheren Sprache; zum anderen ist er ein begnadeter Körperschauspieler, der die plötzlichen Rückfälle Rotpeters in die Affennatur in beängstigender Explosivität beglaubigen kann. Fancellu springt an den Armaturen und Rohren der Sauna herum, als seien es die Lianen Tarzans ­ man bangt fast um die Stabilität der Wasserleitungen. Fancellu singt, säuft, grölt, erzählt Witze, verschlingt Bananen, immer wieder sucht er den direkten Blick- und Spielkontakt zum Publikum, dem er in der Enge des Raums mitunter fast auf dem Schoß sitzt. Konzentriertes Sprechen und scheinbar unkontrollierte Ausbrüche wechseln sich ab, und ganz unangestrengt gelingt es Neugebauer und Fancellu so, vom Kampf der Ratio gegen die Natur, von der Verdrängung des Körpers in unserer noch immer am Rockzipfel der Aufklärung hängenden Kultur zu erzählen.

Drei Wochen nach dem Bericht folgte dann die große Schwimmhallen-Premiere: Expedition zum Südpol nach Aufzeichnungen von Roald Amundsen und Robert Scott. Stefan Neugebauer nimmt die Expedition wörtlich: Das Publikum startet im Basislager (im Café), wo es ­ so es keine grundsätzliche Aversion gegen Mitmachtheater hat ­ sich in weiße Schutzanzüge hüllt. Dann stößt man in die Eingeweide des Stadtbads vor, im Maschinenraum offenbart uns Scott (Folke Paulsen) seine Südpol-Pläne; kurze Zeit später schaut Amundsen (gespielt vom Regisseur selbst) vor den Umkleidekabinen der Sauna auf den Wettlauf der beiden Expeditionen (der für Scott tödlich ausging) zurück: Anfang und Endpunkt sind so gesetzt. Dann erst erobert man die Antarktis, das Publikum steht zu beiden Seiten des großen Bassins in der Haupthalle, das ganz mit weißer Folie ausgeschlagen ist. Die Kälte, die hier zumindest Mitte März noch herrscht, verleiht ein wenig Lokalkolorit. Neugebauer setzt nun klug auf zwei konträre Erzählstrategien: Während Amundsen in einer schmucken Felljacke eher als Beobachter durch die Szene geht und die Geschehnisse retrospektiv und melancholisch kommentiert, ist Scott samt Mannschaft (Gerolamo Fancellu und Peter Fieseler) ganz konkret mit Schutzanzügen, Zelt und Seilen zugange. Man sieht die Briten herumhampeln und sich verausgaben, ihrem ­ mitunter auch schauspielerischen ­ Aktionismus ist das Schei-tern eingeschrieben. Amundsen dagegen bleibt immer bei sich, Neugebauer spielt ihn, fern aller Kraftvergeudung, nahezu gestenlos streng auf die Sprache fokussiert. Am Ende steht die sanfte Einsamkeit des Melancholikers gegen die grausame Einsamkeit des Kältetodes, der Scotts Mannschaft auf dem Rückweg vom Pol ereilt.

Hat der Abend am Anfang noch einige Rhythmusschwierigkeiten, findet er im Verlauf doch zu einigen tollen Momenten. Wenn das britische Team unter der weißen Folie hindurchtauchend den Beckenrand erklimmt und, nun am Südpol angelangt, grölend und siegesgewiß „Rule Britannia" singt, läßt ein Scheinwerfer die norwegische Flagge an der Kachelwand heraufdämmern ­ ein Gefühl stellt sich ein, wie nach zwei in der Schlußminute kassierten Toren eines schon gewonnen geglaubten Finales. Ganz am Schluß nimmt Amundsen dem erfrorenen Scott das Notizbuch aus der Hand, um daraus die letzten Eintragungen vorzulesen: Ein schönes Bild der Nähe zwischen zwei Forschern, die sich ­ so sehr ihre Schicksale miteinander verwoben waren ­ tatsächlich nie begegnet sind.

Der Start des clubtheaters ist geglückt. Neugebauer will das Stadtbad Steglitz nun auch Gastspielen öffnen und einen Raum für künstlerische Experimente aller Art schaffen. Bleibt zu hoffen, daß er mit seinem Konzept nicht baden geht.

Raoul Golwenberg

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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