Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Alle Jahre wieder ­ kein Untergang des Abendlandes

Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist schwammig und sagt wenig aus

Am 19. März hat der Innensenator die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) Berlins für 2006 vorgestellt. Die Mühe hätte er sich sparen können, denn man wußte bereits, was drinstehen würde. Der Tagesspiegel hatte Auszüge im Voraus veröffentlicht: Die Jugendkriminalität und besonders der Anteil von Tätern mit Migrationshintergrund sind stark angestiegen.

Die Debatte vor und nach der Veröffentlichung der PKS folgt einem festen Ritual, das in den letzten Jahren kaum eine Veränderung erfuhr. Es ist zwar angebracht, mal über Ghettobildung, mangelnde Integration und gewaltverherrlichende Jugendkulturen zu diskutieren. Nur: Die Kriminalstatistik ist der denkbar schlechteste Anlaß, weil sie nichts über die tatsächliche Gewalt in den Straßen aussagt!

In der PKS werden Anzeigen von Bürgern und Polizei aufgenommen. Die Zahlen sagen etwas darüber aus, welche Ängste in der Bevölkerung vorherrschen und auf welche Kriminalitätsfelder die Polizei besonderes Augenmerk legt. Und nachdem 2006 das Jahr einer gigantischen Medienkampagne gewesen ist ­ Stichworte „Rütlischule", der Film Knallhart, „Berliner Banlieus" und so weiter ­ , nimmt es nicht Wunder, daß bei jugendlichen Immigranten genauer hingeguckt wurde.

Die Schwammigkeit und geringe Aussagekraft der PKS läßt sich an ein paar Punkten festmachen: Zunächst betrachtet sie nur das sogenannte Hellfeld, also die zur Anzeige gebrachten Straftaten und nicht die tatsächlich begangenen. Außerdem sind die darin aufgeführten Täter eigentlich Tatverdächtige, also noch nicht überführte oder verurteilte Täter. Dann muß man sich nur einmal die Kategorie „Jugendliche mit Migrationshintergrund" genauer ansehen: In der PKS von 2005 hieß diese Gruppe noch „Nichtdeutsche", aufgesplittet in „Nichtdeutsche mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit". Nun also „Migrationshintergrund". Was in der Statistik natürlich nicht steht, ist, wann man aufhört, einen Migrationshintergrund zu haben. Nach zwei Generationen? Oder nach drei? Sind die Nachkommen der deutschen Ostvertriebenen dann nicht auch Jugendliche mit Migrationshintergrund? Gehören jugendliche Rußlanddeutsche auch dazu? Hätte man vielleicht besser nach dem sozialen Background der Tatverdächtigen fragen sollen?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Sicherlich herrscht in gewissen Vierteln ein rauher Umgangston und sicherlich ist dort Handeln gefragt. Aber vor allem muß ruhig und besonnen argumentiert werden, ohne Vorverurteilungen. Die PKS ist Ausdruck einer Medienblase. So mancher brave Bürger beobachtete nach einigen Stunden Rütli-TV auch vor seiner Haustür fremdländisch aussehende Jugendliche, die miteinander rangelten, und rief die Polizei. Witzigerweise sind die gestiegenen Zahlen auch einer größeren Aufmerksamkeit der Polizei für diesen Täterkreis geschuldet. Wenn jetzt wieder die üblichen Law-and-Order Fundamentalisten zu einem härteren Durchgreifen aufrufen, wird die Statistik nächstes Jahr eine noch alarmierendere Zahl an Verdächtigen aus diesem Milieu ausweisen. Genauso wurde schon letztes Jahr verfahren.

Den Verfassern der Statistik sind keine Vorwürfe zu machen. Diese braven Beamten antworten nur auf Fragen, die eine aufgeschreckte Gesellschaft ihnen stellt. Die Statistiker selbst verstehen ihr Werk eigentlich eher als Erfolgsbilanz der Polizeiarbeit und nicht als Studie über gesellschaftliche Mißstände.

All dies ist bekannt, oder sollte bekannt sein. Politiker jeder Couleur, die sich auf die PKS berufen, um den Untergang des Abendlandes, zumindest in Neukölln und Kreuzberg zu beschwören, machen sich einer bewußten und gemeingefährlichen Irreführung der Bevölkerung schuldig.

Moritz Feichtinger

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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