Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Illustration: Jan Gillich

Irgend jemandem in den Hintern treten

Auf der Jagd nach authentischen Berichten wird fleißig inszeniert

Da sitze ich neulich vor dem Fernseher, und plötzlich wird mir etwas klar: Ich wundere mich nicht mehr über die vielen Menschen in den Talksshows oder den Nachrichten, die peinliche Details aus ihrem Privatleben vor der ganzen Nation kundtun. Früher mußte ich umschalten, weil mir das Erzählte entweder peinlich war oder mir die Menschen leid taten. Heute dagegen schaue ich emotionslos zu.

Der Werdegang meines Abstumpfens begann vor etwa zwei Jahren. Damals lernte ich einen jungen Berliner Journalisten kennen, der für verschiedene Sender arbeitete. Eines Tages rief er mich an und fragte, ob ich nicht eine Familie kenne, die am Rande der Existenz lebt. Am besten Hartz-IV-Empfänger mit vielen Kindern, die verwahrlost in einer Platte auf engstem Raum auskommen müssen. Er wollte einen Bericht drehen über ein Thema, das zur Zeit in aller Munde war: verwahrloste Familien, vermüllte Wohnungen, gleichgültige Nachbarn.

Leider fehlten ihm hierfür die Protagonisten. Es sollte jemand sein, der im Unterhemd und mit einer Flasche Bier in der Hand seine Kinder tadelt, ach was, am besten anbrüllt. Es dauerte nicht lange, und ich fand eine Familie, die für die angebotenen 250 Euro erfreut zustimmte. Ich kassierte eine kaum geringere Vermittlungsgebühr.

So haben wir in den letzten zwei Jahren viele Berichte gemacht. Zum Beispiel von illegal in Deutschland lebenden Ausländern. Mein farbiger Nachbar wollte sich gern 150 Euro dazuverdienen. Wir räumten sein Bettgestell aus dem Zimmer und legten die Matratze auf den Boden. Die Fenster wurden verdunkelt und ein paar leere Bierflaschen in die Ecke gestellt. Dann munkelte er in gebrochenem Deutsch etwas von ständiger Angst, in der er lebe, in die Kamera. Dabei gab es viel zu lachen, denn es fiel ihm schwer, seinen bayerischen Dialekt zu unterdrücken. Sein Gesicht und seine Stimme wurden unkenntlich gemacht. Ein reißerisch klingender Untertitel sorgte für die richtige Dramatik, und die Sache war im Kasten. Der Bericht lief ein paar Tage später im Fernsehen.

Das Schwierige ist nicht, die Menschen zu finden, die bereit sind, sich filmen zu lassen, sondern die, die genau das sagen, was der Sender zu hören wünscht. Der sogenannte O-Ton und die Emotion sind das Geheimrezept der heutigen Nachrichtenmacher. Viele der Gezeigten, die wir täglich im BoulevardFernsehen sehen, verstehen ihren Einsatz dabei wiederum als eine nette Abwechslung, sich selber mal darin zu sehen.

Genau das wollte ich auch, mit meiner eigenen Nachrichtenidee. Die ganze Nation behauptet, man solle irgend jemandem in den Hintern treten. Die Bürger den Politikern, die Arbeitgeber den Arbeitern, die Arbeiter den Arbeitslosen usw. Ich polsterte mir also den Hintern mit Schaumstoff und fragte in der Stadt Passanten, ob sie nicht mir, stellvertretend für jemand anderen, in den Hintern treten wollten. Somit konnten die Leute für eine Gebühr von einem Euro auch mal wirklich zutreten. Anschließend gab es für sie noch eine Urkunde für ihre Tatkraft. Ein Kamerateam filmte mich dabei, und schon am nächsten Tag lief die Aktion im Fernsehen.

Ich rutschte also so nebenbei in die Nachrichtenmacherszene, habe seitdem entweder Leute vermittelt oder selber so manchen Unsinn vor laufender Kamera behauptet. Die ersten Bedenken kamen mir jedoch, als ich bei dem Rummel um die Rütli-Schule dabei war und mitbekam, wie Reporter und Fotografen mit allen Mitteln versuchten, zu ihren gewünschten Nachrichten zu kommen. Ein Fotograf der Bildzeitung fuchtelte so lange mit seiner Kamera direkt vor dem Gesicht eines Jugendlichen herum, bis dieser die Kamera wegschlug. Das waren dann auch die Skandalfotos, die wir am nächsten Tag in der Bild-Zeitung zu sehen bekamen.

Fast alle Kamerateams boten Geld. Manche mehr, andere weniger. Schlappe 50 Euro wollte RTL für ein Interview herausrücken. Ebenso zeigte sich ein Herr vom Tagesspiegel knauserig: 150 Euro bot der Fotograf einem Schüler für ein Foto mit einem Messer in der Hand. Das Gesicht des Jugendlichen wurde daraufhin leider nicht, wie zuvor vereinbart, unkenntlich gemacht, so daß er von Mitschülern erkannt wurde und in der Schule Ärger bekam. Auch der Spiegel hielt seinen Vertrag mit den Jugendlichen nicht ein ­ auch hier war die „Unkenntlichkeit" der Jugendlichen so schlampig gemacht, daß alle Beteiligten wiedererkannt wurden. Die Folgen waren Ächtung von Seiten ihrer Freunde und zu Hause eine Tracht Prügel.

Auch die Berliner Zeitung scheint nicht gerade flüssig zu sein. Auf 130 Euro handelte ein Reporter drei Jugendliche herunter, bis er endlich das gewünschte Foto machen durfte. Es gab aber auch spendable Medienvertreter. Ein Jugendlicher wurde für 500 Euro plus Spesen von Günter Jauch zu SternTV eingeladen. Natürlich ging man mit ihm die Fragen und Antworten zuvor nochmal gründlich durch. Reporter der BildZeitung boten bis zu 350 Euro für gestellte Gewaltszenen und erfundene Äußerungen. Der Vertreter eines russischen Fernsehsenders wurde laut, als ihm ein minderjähriger Jugendlicher vor der Kamera mehrmals nicht die gewünschte Antwort lieferte, für die ihm immerhin 300 Euro geboten worden waren.

Ich habe mich später bei einigen Sendern über ihre Knauserigkeit beschwert und um eine Gehaltserhöhung für die von ihnen fotografierten Jugendlichen gebeten. Hierfür erstellte ich mit den Jugendlichen zusammen eine Gehaltsliste. So wären die Schüler gerne für ein Foto mit einem Messer samt einer elterlichen Tracht Prügel bereit, jedoch nicht unter 2500 Euro. Doch von keinem der Sender sahen wir eine Nachzahlung. Leider zeigte sich auch keiner der von uns gefragten Anwälte bereit, uns zu unterstützen.

Manchmal ist das Nachrichtengeschäft gar nicht so lustig und sogar an der Grenze zur Illegalität. Bei einer Familiendokumentation provozierte der Regisseur absichtlich einen Familienstreit. Er handelte dabei auf Anweisung seines Senders. Zur Zeit sucht ein Sender Jugendliche, die sich bei der Verübung von Straftaten filmen lassen. Ungestellte Aufnahmen erhöhen die zu erwartete Aufmerksamkeit und den Verdienst enorm. So gibt es für „Autotür zerkratzen", „Wand besprühen" oder „Reifen zerstechen" aktuell bis zu 300 Euro.

Ach ja, falls jemand Lust hat, sich filmen zu lassen und Lustiges oder Dramatisches von seinen Erfahrungen als Arbeitsloser berichten möchte, dann bitte kurz bei mir melden.

Waldemar Olesch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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