Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Barcelona – das Stadtbild in Plan und Wirklichkeit

Fotos: Michael Körner

Hamilkar Barkas, ein karthagischer Feldherr, gründete, kurz nachdem er den Ersten Punischen Krieg hinter sich gebracht hatte, die Siedlung Barcino im heutigen Katalonien auf der iberischen Halbinsel. Das war der Ursprung der späteren Stadt Barcelona.

Eine Stadt läßt sich lesen. Dank der Kartographie und ihres stark formalisierten graphischen Systems ist Stadtgeschichte beinahe graphologisch entzifferbar. Aus dem römisch-frühmittelalterlich überbauten Kern entwickelt sich die enge gotische Stadt bis an die Begrenzung der heute teilweise noch sichtbaren massiven Stadtmauern. Um diese herum gruppieren sich über mehrere Jahrhunderte Stadterweiterungen. Je nach spezifischer politischer Situation gestaltet sich dieser Prozeß sprunghaft und unreguliert wie in London, langsam-organisch wie in Berlin oder planvoll wie in Sankt Petersburg zwischen 1706 und 1730 ­ oder eben in Barcelona.

Der Plan von Ildefonso Cerdá von 1858, ein in jedem Städtebau-Seminar verhandeltes Projekt, entsteht zu einer Zeit, die von den Entwicklungsschüben der Industrialisierung, enormem Bevölkerungszuwachs und technologischem Paradigmenwechsel in den Bereichen Verkehr, Transport, Bauwesen und Hygiene geprägt ist. Anlaß ist neben diesen der Abriß der mittelalterlichen Fortifikationen etwa um das heutige Barri Gotic. Cerdá, Straßenbauingenieur und Theoretiker, Autor des auf drei Bände angelegten Werkes Allgemeine Theorie über die Urbanisierung und Anwendung ihrer Prinzipien und Lehren bei der Erneuerung und Erweiterung Barcelonas, glaubt zum Zeitpunkt der Entwicklung der Dampfmaschine zu erkennen, daß sich in Zukunft jeder eine eigene Dampfmaschine zulegen werde. Aus dieser Überlegung resultiert seine rasterförmige Stadtplanung. Die orthogonale Regelmäßigkeit und die Struktur der Baumassen in den dazwischenliegenden Karrees mit einem Maß von 133 Metern zeigen einen Visionär, der vor allem von der Regulierung des zukünftigen Transportwesens fasziniert ist. Aspekte der Mobilität und stetig steigender Geschwindigkeiten, die Paul Virilio über ein Jahrhundert später in seiner Dromologie (abgeleitet von dem altgriechischen dromos ­ Rennbahn) genannten Forschungsdisziplin als die wesentlichen Parameter hochtechnologisierter Gesellschaften herausarbeitet, in der sich Geschwindigkeit als verborgene Seite von Reichtum und Macht lesen läßt, nimmt Cerdá somit vorweg. Sein Ansatz ist um so bemerkenswerter, als in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Straßenbild üblicherweise von Fußgängern, Karren schiebenden Kleinstspediteuren, Kutschen und dem allgegenwärtigen Pferdefuhrwerk geprägt ist.

Die dreigespaltene Stadt

Selten Erwähnung findet ein beinahe kurioses Merkmal des Plans: die Ausrichtung der Stadt an der „Welt" als einer auf höherem Niveau zu suchenden Ordnung der Achsen. Cerdá gründet die Ausrichtung seines Lageplans anhand des rechtwinkligen und gleichschenkligen Dreiecks, dessen Katheten als Avenida de la Meridiana auf dem Meridian und mit der Avenida del Paralelo auf dem Äquator (!) beruhen. Eine solche quasi-kosmische Einbettung planerischen Gestaltens ist letztlich im Tagesgeschäft irrelevant und läßt Rückschlüsse auf eine die politische Geschichte bemühende Dimension des Planungsansatzes zu, ebenso wie es eine Absage an herrschende Ideologien, Weltordnungsmodelle unter religiöser, ideologischer oder herrschaftlicher Doktrin ist.

Die Tradition der utopischen Stadtschöpfung, der wirklichkeitsnahen Stadtplanung und des generellen Gestaltens geographischer Räume ist lang. Die „ideale Stadt" ist über zwei Jahrtausende eine prägende europäische Denkfigur, ob als Civitas, Polis, Idee oder Utopie basiert sie auf der Abbildung von Herrschaftsverhältnissen: als Zentrum des Gottesreiches, platonischer Stadtstaat und Kaiserstadt ebenso wie als faschistische, sozialistische oder demokratische Stadtvorstellung. Die Stadt ist zentrale Kategorie für die Gestaltung des Gemeinwesens. Aktuell tauchen dagegen Begriffe wie „Stadtumbau" und „Soziale Stadt" im Zusammenhang mit „schrumpfender Stadt", „Festivalisierung" oder „Mega City" auf.

Der ununterbrochene Lärm der Autos auf den großen Avenuen, die sich durch das historische Zentrum wälzenden Touristenmassen, die Messe- und Ausstellungsgelände, die zahlreichen Vergnügungsparks, die Strandpromenade, der Container- und Yachthafen, eine nie endenwollende Geschäftigkeit gekoppelt an beinahe hysterischen Konsum ­ all das verbindet sich zu einer wahrhaft mediterran-metropolitanen Melange. Mit 1,8 Millionen Einwohnern und einer Bevölkerung von bis zu 4,5 Millionen in der Agglomeration stellen Barcelona und Umgebung eine der bevölkerungsreichsten Regionen Spaniens dar.

Für Eixample, das aus Cerdás Planung entstandene rasterförmige Innenstadtviertel, zeichnet sich momentan ein Trend ab, der auch in London, Paris, Moskau oder Prag zu beobachten ist: Es lebt hier nur noch ein Sechstel der Bevölkerung Barcelonas, etwa 300000 Menschen; die einstigen Bürgerhäuser sind zu teuren Immobilien geworden. Die Bewohner sind auf die grünen Hügel am Stadtrand ausgewichen oder sie mußten in die im Nordosten des Rasterplanes gelegenen, unter Franco gebauten, mehrstöckigen Wohnsilos umziehen. Die meisten jedoch bevölkern die im Großraum Barcelona liegenden stetig anschwellenden Trabantenvorstädte aus scheußlich aneinander gedrängten Plattenbauten. Die neuen Mieter der in Eixample gelegenen Häuser der Belle Epoque, insbesondere die der großzügigen Wohnungen im piano nobile, sind Banken, Hotels, Anwaltskanzleien, Flagship Stores von Modemarken, Galerien und Restaurants.

Damit kann man Barcelona aktuell in drei sozial differenzierte Zonen unterteilen: Zunächst die alte Innenstadt mit dem gotischen Viertel Barri Gotic und Las Ramblas, der Fußgängerzone Barcelonas schlechthin, in der sich neben traditionellem Kleingewerbe und Märkten eine Mischung aus Kitsch, Kommerz, Kunst und Kirche befindet, die sich vor allem an Touristen richtet. Dann die Stadterweiterungen, zu denen auch Eixample gehört, dem mittlerweile nobelsten Viertel der Stadt. Und schließlich ein großräumiger Gürtel aus Schlafstädten und Industrieanlagen: die Banlieues von Barcelona, wo sich an der östlichen Stadtgrenze und dem Meer zugewandt großflächige Lager- und Speditionsareale entlangziehen. Hier, an diesen marginalisierten Orten, leben die neuen Armen, der abgestiegene Mittelstand.

Imagepflege durch spektakuläre Projekte

Die Festivalisierung Barcelonas nimmt auf ihre Bedürfnisse traditionellerweise keine Rücksicht. Kontinuierlich seit den Weltausstellungen von 1888 oder 1929, der Olympiade von 1992 oder dem Forum der Kulturen von 2002 saniert sich Barcelona, aber nur teilweise. Die Weltausstellungen hinterließen großflächige Parks am südlich der Stadt liegenden Hügel Montjuïc. Im Zuge der Olympia-Planung wurde der Umbau im ehemaligen Industriegebiet und Containerhafen der Vorstadt Poble Nou in den Port Olimpic realisiert; so gelang die Öffnung der Stadt zum Meer, ähnlich wie mit der Anbindung der einstigen Fischersiedlung Barceloneta an die lange dem Wasser abgewandt liegende Innenstadt.

Mit spektakulären Bauwerken aus jüngster Zeit wie dem Museum für Moderne Kunst von Richard Meyer, einem komplett weißen, das Wechselspiel zwischen Kubus und Kreis ausnützenden Baukörper, oder der Torre Agba des französischen Architekten Jean Nouvel (für den er klar vor Norman Forsters recht ähnlichem, doch weniger nachhaltig konzipierten Entwurf für London, der „Gherkin", den europäischen Hochhauspreis 2006 erhielt) versucht man, das beharrlich gepflegte Image, die kreativste Stadt Spaniens zu sein, aufrechtzuerhalten.

Viele Postkarten aus Barcelona zeigen den organisch verschlungenen, mehrtürmigen Kirchenbau, in dessen Schiff permanent Baukräne stehen: die Sagrada Familia. Ein etwas überhöhtes Heiligtum der Barceloneser Architektur, ein durch stete Bautätigkeit in die Zukunft ragendes Werk, an dessen Fuße sich eine pragmatisch agierende Kleinsthändlerzunft niedergelassen hat, um auch noch den letzten Fotofanatiker mit einem überlagerten 100 ASA Fuji Farbfilm zu beglücken. Ironiker vermessen sich, das unvollendete Werk ein von „schwulen, bekifften Termiten gezimmerten Bau" zu nennen. Dies mag aus Sicht der Verfechter einer reinen Moderne à la Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon (wiederaufgebaut 1984) verständlich sein, doch letztlich ist die ästhetische Schlacht um den jeweils erachtenswertesten Bau noch nicht geschlagen. Sagrada Familia bleibt eines der besten Postkartenmotive, ein Markenzeichen, eine unverwechselbare Ikone.

Christina Schachtschabel

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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