Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
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Ein Terrarianer packt aus

Von Mehlwurmlasagne und anderen Köstlichkeiten

Wie er dazu kam, kann Heiko Werning gar nicht so genau sagen. Er wundert sich selbst manchmal ein wenig, wenn er sich in seiner Weddinger Hinterhofwohnung umschaut, die er extra für seine zahllosen Terrarien mit Schuppenkriechtieren aller Art angemietet hat. Hier, in der gut belüfteten Parterrewohnung, läßt sich das chilenische Hochgebirgsklima simulieren, das ideal für seine aktuellen Lieblingsleguane ist. Bislang gehören der stachelige Riesenchuckwalla und der Wüstenleguan zu seinen prämierten Nachzuchterfolgen.

Werning ist Buchautor, Herausgeber der Fachmagazine Reptilia und Terraria, Blogger auf der taz-Internetseite und Gründer des Plattenlabels Reptiphon. Auch wenn der erste Impuls dieser speziellen Leidenschaft für Leguane bzw. Leguanartige im Dunkeln bleibt, so lassen sich doch einige Stationen auf dem Weg dorthin bestimmen: Da ist zunächst der klassische Strandurlaub. Mit dem Kescher fängt er die ersten Forschungsobjekte und beobachtet die fatalen Folgen der nicht artgerechten Haltung im Plastikeimer. Ihn interessiert alles Lebende, das er beobachtet, untersucht, pflegt und päppelt. Zwei Jahre dauert die Diskussion mit den Eltern, bis er das erste Terrarium anschaffen darf, dann aber sind „alle Dämme gebrochen". Er reist schon als Schüler von Münster in die USA, wo die Chuckwallas beheimatet sind. Mit dem Material, das er dort zusammenträgt, macht er den Münsteraner Verlag Natur und Tier auf sich aufmerksam. Parallel zum Studium der Umwelttechnik entstehen Fachbücher, und er lektoriert zahlreiche Publikationen desselben Verlags, der inzwischen „Marktführer im Segment Terraristik" ist.

Heiko Werning konzipierte das Magazin Reptilia und ist seitdem der Herausgeber. Das Fachblatt für Hobby-Terrarianer berichtet aus Wissenschaft und Forschung, bringt Praxistips und Reiseberichte. Da finden sich z.B. „FAQ ­ Anschaffung von Vogelspinnen", ein Nasenfrosch-Special und sogar ein doppelseitiges „Spindposter" der Montivipera xanthina (Bergotter). Die sicherlich exotischste Rubrik des Magazins aber ist der „Brutkasten", eine Kolumne, in der auch Gastautoren aus der Berliner Lesebühnen-Szene schreiben, darunter Namen wie Horst Evers von Dr. Seltsams Frühschoppen oder Wladimir Kaminer. Eine Auswahl der Texte hat Heiko Werning, selbst eine der aktivsten Gestalten der Berliner Leseshows, in dem Buch Iguana à la carte veröffentlicht. Es sind Tiergeschichten im weitesten Sinne ­ ein modernes Großstadt-Bestiarium aus satirischen Texten, manchmal politisch ­, letztlich aber geht es immer um das besondere Verhältnis von Mensch und Tier: eine manchmal schwierige, manchmal aber auch symbiotische Beziehung, die hier hochkomisch erzählt wird.

Jeden Sonntag ist Werning im Kaffee Burger mit der Reformbühne Heim & Welt zu erleben, donnerstags im Wedding (Laine-Art) mit den Brauseboys. Hier bricht sich die eigentliche Leidenschaft Wernings, den es nie in die reine Wissenschaft zog („Schuppenzähler wollte ich nie werden"), Bahn: das Schreiben und Komponieren. Ein Teil seiner Texte und Lieder läßt sich auch auf einem der Reptiphon-Produktionen abhören. Reptophil veranlagten Menschen empfiehlt er zusätzlich das Insektenkochbuch („Insekten sind viel zu lecker, um sie allein den Reptilien zu überlassen"). Das Buch fand zwischenzeitlich auch Anwendung im Soda-Club in der Kulturbrauerei. Werning schwärmt noch heute von der Mehlwurmlasagne und knusprigen Heuschrecken.

Dabei kann Berlin in Sachen Reptilien keinen Hauptstadtstatus für sich reklamieren. Hier werden von den vier bis fünf Fachgeschäften nicht mehr Echsenliebhaber versorgt als anderswo in Deutschland. Insgesamt steht es nach Wernings Einschätzung schlecht um viele der Reptilien, die deutsche Wohnzimmer bevölkern. „In Baumärkten bekommt man schon für 20 Euro einen Leguan, zuzüglich einer dürftigen Terrarium-Grundausstattung. Angesichts der hohen Anforderungen an die richtige Haltung von Reptilien muß man sich fragen, wie lange wohl die Mehrzahl der 100000 Leguane, die Jahr für Jahr nach Deutschland exportiert werden, überleben."

Derweilen nähren und mehren sich unter Hochgebirgsbedingungen die chilenischen Echsen in der Weddinger Hinterhofwohnung, Heiko Werning sitzt dabei, zählt vielleicht doch die eine oder andere Schuppe und schreibt am Text für den nächsten Sonntag im Kaffee Burger, und ganz sicherlich wird darin ein Bewohner seiner Reptilienwelt eine tragende Rolle spielen.

Henrik Flor

Reptilia und Terraria erscheinen zweimonatlich im Natur und Tier-Verlag, Münster.

Heiko Werning: Iguana à la carte. Natur und Tier-Verlag, Münster 2006.

9,80 Euro.

www.reptiphon.de

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