Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Glück und Entspannung beim kunstvollen Baumformen

Zwei Ratgeber zur Bonsai-Gestaltung

„Das Gestalten von Bonsai kann wie das Malen, Bildhauen oder auch das Gedichteschreiben zur Kunst werden, wenn der Gestalter das rein Handwerkliche perfektioniert hat und seine kreativen Fähigkeiten entsprechend gereift sind. Im Unterschied zu anderen Kunstwerken bleibt ein Bonsai jedoch immer in Entwicklung und kann nie vollendet werden", schreibt Werner M. Busch in seinem Ratgeber Bonsai. Aber wie könnte die Zucht von Minibäumen auch sonst ein so anregendes Hobby sein, wenn sie nicht jahrzehntelange Beschäftigung verspräche. Ein wahrer Bonsai-Liebhaber kauft seine Pflanze selbstverständlich nicht einfach im Fachhandel, sondern entscheidet sich für eine Anzucht aus Samen. Dabei gilt es, einiges zu beachten: „Viele in Beerenfrüchten enthaltene Samen erreichen ihre Keimfähigkeit in der Natur durch das Passieren eines Vogeldarms. Einen ähnlichen Effekt erreicht man, wenn man die Beeren in Wasser zerdrückt und sie einige Tage gären läßt", erklärt uns beispielsweise Busch. Wolfgang Kohlhepp warnt allerdings in seinem – wohl als Standardwerk zu bezeichnenden – Buch Bonsai aus heimischen Gehölzen: „Um eine annähernd bonsaiähnliche Pflanze aus Samen zu erhalten, vergehen zwölf bis 15 Jahre."

Nun sollte jedem Leser deutlich sein, daß ein Bonsai nicht einfach ein kleiner Baum in einer Schale ist ­ auch wenn dies die wörtliche Übersetzung des japanischen Ausdrucks sein mag. Ein Bonsai ist vielmehr ein echtes, lebendes Gehölz, derart von Menschenhand gestaltet, daß es auch in seiner Miniaturform einem möglichst ehrwürdig gewachsenen Baum in der Natur gleicht. Entgegen der landläufigen Ansicht von Bonsai-Laien halten beide Autoren das tatsächliche Alter der Pflanzen für überbewertet. Zwar erscheinen ihnen die Preise von mehreren tausend Euro für zigjährige Bonsai angemessen, enthalten sie doch auch eine zigjährige Hege und Pflege, doch vermutet Kohlhepp gar, die Besitzer solcher Zimmerbäumchen seien an ihrem Verkauf gar nicht interessiert, stellen sie doch eine besondere Attraktion für ihre Kunden dar.

Das eigentliche Ziel der Künstler ist vielmehr, den Baum lediglich so aussehen zu lassen, als sei er dreißig Jahre alt. Besonders beliebt scheinen derzeit Bonsai, die so wirken, als sei ein Blitz in sie eingeschlagen. Kohlhepp empfiehlt: „Das Sehen und Betrachten von Bäumen und Sträuchern ist eine wichtige Vorarbeit für den Bonsai-Gestalter, denn ein geübtes Auge kann schnell eine harmonische Baumform beurteilen. Um das Formgefühl für die Bonsai-Gestaltung zu fördern, ist es vorteilhaft, sich Skizzen und Fotos zu machen und sie in einem kleinen Archiv zu sammeln, damit bei Bedarf genügend Vorlagen zur Verfügung stehen." Daß der Autor seinen eigenen Rat beherzigt, läßt sich bereits an der Unsumme von eigens angefertigten Fotos und Skizzen in seinem Buch ablesen.

Ein „grüner Daumen" allein reicht für eine kunstvolle Baumformung mitnichten aus ­ zumal es weniger darum geht, die Pflanze wachsen zu lassen, als sie vielmehr zum Schrumpfen zu bringen. Was an dieser Art Baumverkleinerung eigentlich so faszinierend sein soll, können beide Autoren nicht beantworten. Vielleicht ist es das Wesen eines Hobbys, daß es demjenigen, der es ausübt, als ungemein befriedigend erscheint, anderen jedoch kaum vermittelbar ist. Busch versucht sich holprig aus dieser Erklärungsnot zu befreien, indem er einen allgemeinen „Reiz des Asiatischen" anführt, und daß man bei der Bonsai-Aufzucht „einen Baum aus einer ganz besonderen Nähe heraus kennenlerne". Um eine Sympathie zum Objekt geht es den Bonsai-Machern dabei aber gewiß nicht. Nachdem die Autoren ausgiebig ihr Interesse an der Natur kundgetan haben, geht es ans Eingemachte der Baumgestaltung: Es wird so lange an den Wurzeln, Ästen und Blättern der Pflänzchen herumgeschnippelt, ihre Äste mit Draht umwickelt, die Stämme absichtsvoll beschädigt und munter umgetopft, bis die Kreaturen zumindest bis zur nächsten Bonsai-Schau nicht auf die Idee kommen, irgendeinen aufmüpfigen Wachstumstrieb erkennen zu lassen. So ist es nicht verwunderlich, daß man sich unter einem Bonsai-Schnippler eher verschrobene Einzelgänger vorstellt. Kohlhepp jedenfalls betont: „Es ist nicht unbedingt nötig, einem Bonsai-Club oder -Verein anzugehören. Man kann auch alleine sein Bonsaihobby betreiben. Vor allen Dingen ist es wichtig, das Hobby so zu gestalten, daß man Glück und Entspannung dabei empfindet."

Georg Manolesco

Werner M. Busch: Bonsai. BLV Buchverlag, München 2005. 3,95 Euro.

Wolfgang Kohlhepp: Bonsai aus heimischen Gehölzen. Ulmer Verlag, Stuttgart 2006. 14,95 Euro.

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