Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
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Das ist so krank ­ irgendwie

Jeremy Xido hat einen Film über den „Berliner Ehrenmord" gedreht

Die Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses zeigte am 7. Februar, dem zweiten Todestag von Hatun Sürücü, den Dokumentarfilm Crime: Berlin. Die anschließende Diskussion – in der wenig kenntnisreichen Runde waren u.a. Claudia Roth und Anja Kofbinger – verlief sehr schleppend. Der Film selbst hingegen ist für alle, die der Mord an Hatun Sürücü bewegte, ein Muß.

„Also, du entscheidest dich, einen Dokumentarfilm zu machen, Thema Verbrechen, und dabei die Städte zu porträtieren. Und dann kommst du nach Berlin, das ist jetzt kein Vorwurf, versteh mich nicht falsch, und nimmst diesen Fall, ja? Wieso nicht einen anderen Fall?" fragt Tunçay Kulaolu aus dem Off, während die U-Bahn in der Station Kottbusser Tor einfährt und mit Filmbeginn gleich die Befürchtung zu bestätigen scheint: der Film könnte ein schlechtes Bild von Berlin zeigen, die Tat verallgemeinern und Bezirke wie Kreuzberg oder Neukölln so einseitig darstellen, wie es bestimmte Sender und Zeitungen tun, wenn es um „Rütli" und ums Kopftuch geht.

Der Detroiter Regisseur Jeremy Xido erfuhr vom „Berliner Ehrenmord" an der 23jährigen Deutsch-Türkin aus der New York Times. Im WM-Sommer kam er nach Berlin, führte Interviews und filmte mit der türkischstämmigen Regieassistentin Canan Turan den Kreuzberger Alltag. Geplant war eine Collage von zehn Minuten, doch aus 35 Stunden Rohmaterial entstand ein 50minütiger Film, der alles andere als einfache Antworten zu diesem Verbrechen anbietet. „Weil Morde so passieren, aufgrund komplexer persönlicher Beziehungsmuster, halte ich es für grundfalsch, gesellschaftliche Strukturen für Morde verantwortlich zu machen", sagt die Journalistin Alke Wierth.

Reflektiert wird die Frage nach der Integration. „Weil ich im Minirock rumlaufe, Bier trinke, immer schön lächele, lustig bin und Schweinefleisch esse, bin ich integriert?" fragt die HipHop-Künstlerin Sahira und fügt hinzu: „Das ist so krank­ irgendwie."

„Er tut mir leid, er ist ein Kind", bemitleidet die Rechtsanwältin Ulricke Zecher den 18jährigen Ayhan Sürücü. Ayhan, der kleine Bruder von Hatun, gestand die Tat, bestritt aber jegliche Beteiligung anderer, etwa, daß ihn ein Familienrat zum Todesschützen bestimmt habe.

Gesprochen wird mit den verschiedensten Menschen, die Erklärungen, aber keine Entschuldigungen suchen. Ihre Aussagen werden durch schnelle Schnitte verflochten, so daß gegensätzliche, aber niemals extreme Meinungen die Komplexität des Falls unterstreichen.

Leider werden in der Reportage die Begriffe Ehre, Würde und Respekt nicht erläutert oder in einem kulturspezifischen Ansatz ausgedeutet. Denn mit der Chiffre „verletzte Ehre" wird immer wieder ein Motiv für Gewalt und Mord angegeben. Ipek Ipekcioglu schließt den Film mit den Worten: „Ein Mord wie an Hatun Sürücü ist zu viel, jegliche Gewalt gegen Frauen ist zu viel. Egal ob deutsche, türkische oder arabische." Und hat damit nur zu recht.

Sebastian Maria-Stein

„Crime: Berlin" ist am 16. März um 19 Uhr in der OASE Pankow e.V., Schönfließer Straße 7, Prenzlauer Berg, zu sehen. Eintritt frei. Download unter:

www.cabula6.com/ CRIME/crimeBERLIN.htm

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