Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Vom zahnlosen Tiger zum Bettvorleger

Wie Datenschutzbeauftragte gegen Videoüberwachung helfen

Illustration: Jan Gillich

Wer kennt das nicht? Auf Bahnhöfen und Flughäfen, in Banken und Einkaufszentren, vor Botschaften und Ministerien folgt uns stets das wachsame Auge eines fest installierten Kameraobjektivs. Je nach persönlicher Einstellung und aktueller Situation fühlen wir uns dann – solange es nicht gelingt, das Phänomen zu ignorieren – wahlweise der belästigenden oder schützenden Beobachtung ausgesetzt.

Anders als bei einem persönlich anwesenden Wachdienst oder aufmerksamen Nachbarn, die auf ein Fensterkissen gebettet den Straßenraum sondieren, wissen wir jedoch nie, ob die Kamera läuft, ob die Bilder zeitgleich an einem Monitor betrachtet oder aufgezeichnet werden. Wir müssen immer damit rechnen, beobachtet zu werden, wissen es aber nicht.

Die meisten überwachten Räume sind in erster Linie Funktionsräume, sie dienen dem Einkaufen, Fahren, Geldabheben usw., und solange man sie zu diesem Zwecke aufsucht, juckt die Videokamera nicht wirklich. Was aber, wenn unser engstes Wohnumfeld ins Blickfeld der Kameraaugen gerät, sie uns bei jedem Schritt und Tritt verfolgen? Angenehm ist das sicherlich nicht, zumal wenn der eigene Vermieter hinter der Geschichte steckt.

Michael Reimer* kennt diesen Fall nur zu gut. Seit achtzehn Jahre lebt er in der berühmt-berüchtigten Rollbergsiedlung in Neukölln, die die Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land" anstelle klassischer Mietskasernen errichtete und seitdem verwaltet. Herr Reimer war ohnehin seit geraumer Zeit unzufrieden mit seiner Vermieterin. Die Zahl störender Mieter habe in den letzten Jahren drastisch zugenommen, während die Eigentümer der Siedlung dem Geschehen wahlweise untätig zugesehen hätten oder nicht gewachsen gewesen seien. Halbwegs erträgliche und engagierte Bewohner seien nach und nach resigniert weggezogen, ein Phänomen, das auch den örtlichen Mieterbeirat schrumpfen ließ. Gegenüber den „Störmietern" habe die „Stadt und Land" nicht durchgegriffen, auch den penetrantesten unter ihnen sei nicht gekündigt worden.

Dann also, im Herbst 2004, die Videoüberwachung. Der zentrale Bereich der Rollbergsiedlung mit den sogenannten Ringblöcken ist von straßenbreiten Fußwegen durchzogen, die sich im Eigentum der Wohnungsbaugesellschaft befinden, jedoch öffentlich zugänglich sind. Auf diese Wege richteten sich die fest installierten Kameras. Die Bilder wurden aufgezeichnet und ihren Betreibern zufolge nur dann betrachtet, sofern ihnen oder der Polizei ein Vorfall im betreffenden Bereich gemeldet wurde.

Den Mietern flatterte ein Rundschreiben der „Stadt und Land" ins Haus: Auch wenn die Zahl von Straftaten im Jahr zuvor um 21 Prozent gesunken sei, komme es zu „ärgerlichen Vorkommnissen", die „von Pöbeleien Jugendlicher über Hunde auf dem Sandspielplatz bis hin zu Vandalismus" reichten, und so sei „in enger Abstimmung mit der Polizei" ein Aufbau von Videokameras erfolgt. Die Mieter wiederum möchten doch bitte „Vorfälle" im Bereich der Kameras melden.

Michael Reimer gehörte nicht zu jenen Anwohnern, die sich nun sicherer und wohler fühlen mochten. Seiner Meinung nach sind die „Störmieter" das Problem, die Kameras aber eine sinnlose Geldverschwendung und ein eklatanter Eingriff in die Privatsphäre aller Mieter. Seine ausführlich geschilderten Einwände und die Aufforderung zum sofortigen Abbau der Überwachungsanlage beantwortete die „Stadt und Land" trokken: „Wir können im Interesse der Mieter Ihrer Aufforderung nicht nachkommen." Um das Interesse des Mieters Reimer schien es nicht zu gehen.

Da Herr Reimer offensichtlich nicht den Weg beschreiten wollte, die Kameras eigenhändig zu demontieren, wandte er sich an den Berliner Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit. Der Datenschutzbeauftragte ist die offizielle Anlaufstelle für all jene, die in Berlin ihre Datenschutzrechte verletzt sehen. Sind öffentliche Stellen die Übeltäter, so haben die behördlichen Datenschützer nur die Möglichkeit, dies zu monieren und gegebenenfalls auf politischer Ebene Druck zu machen. Wird den Mitarbeitern jedoch ein rechtswidriger Eingriff durch Privatpersonen oder -unternehmen geschildert, so können, falls es zu keinem Einlenken kommt, sogar empfindliche Bußgelder verhängt werden.

Michael Reimer beschwerte sich also darüber, daß die „Stadt und Land" die Mieter nicht vorher gefragt hätte, das spärliche Informationsblättchen keine Angaben über die Kamerastandorte und -blickwinkel enthalten habe, Hinweisschilder fehlten und die genannte Rechtfertigung substanzlos wäre. Er bat den Datenschutzbeauftragten, eine Beendigung der Überwachung zu bewirken, sowie um Rat, welche Wege ansonsten zu diesem Ziel beschritten werden könnten. Erstaunen wird die Antwort ausgelöst haben, die er zweieinhalb Monate später erhielt: Die Vermieter wären auf keine Einwilligung der Mieter angewiesen, die Anlage entspreche „im Wesentlichen den gesetzlichen Vorgaben", vorhandene Mängel würden „nach Auskunft des Vermieters kurzfristig behoben". Kein Wort zur zweifelhaften Rechtfertigung der Anlage, kein Wort zu weitergehenden Möglichkeiten, gegen sie vorzugehen.

Was folgte, war ein etwa ein Jahr anhaltender Briefwechsel, in dem Herrn Reimer gegenüber der Behörde wieder und wieder Argumentationen vorlegte, denen zufolge gegen die „Stadt und Land" Einspruch erhoben werden könnte. Tätig wurden die Datenschützer, solange es um Hinweisschilder, ihre angemessene Größe und Beschriftung, sowie um die Ausrichtung der Kameras ging. Der Frage der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Anlage gingen die Sachbearbeiter jedoch aus dem Weg, beantworteten sie schlicht und einfach nicht. Und immer wieder der folgende Satz: „Wir betrachten die Angelegenheit damit als abgeschlossen."

Anja-Maria Gardian, Pressesprecherin der Behörde, beteuert, man wolle Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Der vorliegende Fall führte jedoch vielmehr dazu, daß der ratsuchende Bürger sich an den Datenschützern abarbeitete, statt gegen die Datensammler ins Felde zu ziehen.

Tobias Höpner

* Name von der Redaktion geändert

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