Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Hochbegabt und kriminell

Michael nutzt die Möglichkeiten des Internet, um zu Geld zu kommen

In der Bude stapeln sich Kisten, Geräte für den unterschiedlichsten Gebrauch, Spielzeugautos, Computerzubehör, gebrauchte Werkzeuge. „Ja, ich muß noch ein paar Sendungen fertig machen, aber ich kriege doch nichts auf die Reihe." Dafür, daß er nichts auf die Reihe kriegt, hat Michael* ein ganz schön dickes Portemonnaie. „Die Leute sind so dumm. Und so gierig. Bei dem Kaufverhalten müssen sie damit rechnen, beschissen zu werden."

Einige Tricks lernte Michael im Knast. Er saß mehrere Jahre wegen Nichtigkeiten, eigentlich unglaublich in einem „Rechtsstaat". Polizisten schlugen ihn zusammen und zeigten ihn dann wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt an. 18 Monate nur dafür. Nun ja, dann noch eine trotzige Haltung vor der Richterin, und er kam für ein paar Jahre hinter Gitter. So schlimm fand er das nicht. „Nur die dummen Beamten haben genervt." Mit Autoritäten kann er nicht so gut. Ein Grund, wieso er keinen Job hat. Auch im Knast war er nicht zu disziplinieren, kam morgens nicht aus den Federn, stritt sich herum und wußte immer alles besser. Einfach ungenießbar für die Umwelt, undenkbar in der Hierarchie. So hatte er dann auch bald eine Einzelzelle in der überbelegten Anstalt. Auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft wurde er nicht vorbereitet. Stattdessen lernte er Kleinkriminelle und deren Mißgeschicke kennen. Die Ideen griff er auf, die Fehler vermied er.

Nachdem er entlassen wurde, schenkte ihm jemand einen alten Laptop. Das Medium Computer war ihm bis dahin nicht vertraut, aber in kürzester Zeit machte er sich mit der Soft- und Hardware vertraut, lernte HTML, Internetseiten gestalten und hochladen. ebay faszinierte ihn wie auch andere Möglichkeiten, Waren und Geld über das Internet zu tauschen. In der Anonymität bestellen und verschicken. Oder bestellen und nicht bezahlen, verkaufen und nicht verschicken. Mittels eines ausgeklügelten Systems kommt das Geld bei ihm an, ohne daß er zu lokalisieren wäre.

Schon als Kind hatte er eine besondere Auffassungsgabe, schnell und nachhaltig. Er vergaß nichts. Er wurde allerdings in einer Umwelt groß, die mit seinen Ansprüchen nichts anfangen konnte. Intelligente, wache Jungs sind nicht leicht zu beschäftigen, sie sind rasch unterfordert, sie quengeln, sie stören. Oft werden sie geschlagen und abgeschoben. Sofern sie nicht in einer bürgerlichen Akademikerfamilie aufwachsen, in der Kinder Klavier spielen lernen. Das war bei Michael nicht der Fall. Die Fähigkeiten des hochbegabten Kindes fanden keine sozial anerkannte Form, schlugen ins Negative um. Schnell hatte er seinen ersten Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis. Nicht wegen eines aus Bosheit begangenen Delikts, eher von seinen sozialen Defiziten herrührend. Regeln, die ihm keinen Sinn machen, befolgte er nicht.

Der Ärger im Umgang mit Ämtern war vorprogrammiert. Erst bei der Bundeswehr wurde ihm eine psychische Störung attestiert. Sie wollten ihn loswerden. Anscheinend zu spät. Integriert ist er auch heute nicht. Eine reguläre Arbeit mit festen Zeiten und Vorgesetzten ist für ihn undenkbar. Die Gespräche mit dem Arbeitsvermittler enden im Desaster, Hartz IV kann er vergessen. Zur Wohnungssuche reicht die Geduld nicht aus. Den Führerschein kauft er lieber im Ausland, als sich hier mit den Behörden herumzuschlagen.

Mit Menschen kann er nicht. Er versteht sie nicht und fühlt sich stets mißverstanden. Mit Dingen ist das anders. Ob Computer, Autos oder Internetmarktplätze. Michael will herausfinden, wie die Dinge funktionieren, wie man sie optimieren oder Regeln umgehen kann. Eine kindliche Freude empfindet er, wenn es ihm gelingt, Systeme zu überlisten. So bereichert er sich weniger aus Geldgier, eher aus Lust am Abenteuer.

Über die Geschädigten macht er sich nicht allzu viele Gedanken. Die Firmen seien selber schuld, wenn sie ihre Waren ohne Sicherheitsnetz versendeten. Und die Leute, die für Spottpreise einkaufen wollten, müßten damit rechnen, daß sie illegale Geräte kriegen. Oder eben gar keine.

Berta Globig

*Name geändert

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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