Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Um Klischees von Mystifizierung zu vermeiden

An drei Orten wird eine bemerkenswerte Ausstellung zu Sexarbeit gezeigt

Wie sinnvoll ist es, ein politisches und moralisch stark aufgeladenes Thema ausgerechnet künstlerisch zu vermitteln? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, stromere ich als dem Feuilleton gegenüber ansonsten eher Desinteressierte durch die drei Teile der Ausstellung sex work – Kunst Mythos Realität, die an drei verschiedenen Orten in Kreuzberg und Schöneberg untergebracht sind.

Ein umfangreiches Programm bietet insbesondere der Kunstraum Kreuzberg. Dort wird der Schwerpunkt „Arbeitsmigration, Trafficking, Sextourismus" ausgestellt, sehr gelungen bebildert durch wunderbare Dokumentarfilme, z.B. Karin Jurschicks preisgekrönten Die Helfer und die Frauen über den Prostitutionsmarkt für UN-Schutztruppen in Bosnien und Kosovo. Oder Jackie Baiers Julia, deren Protagonistin weder Mann noch Frau ist, auch sonst konsequent gesellschaftlichen Normierungen entgegen lebt.

In fußläufiger Entfernung wird in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) unter dem Titel „Selbstverständnis und Respekt" zweierlei thematisiert: der Kampf von Sexarbeitern um Anerkennung und die Folgen des Stigmas. Letzteres zeigt eindrucksvoll eine Fotoreihe von Orten, an denen in Turin zwischen 1993 und 2001 19 Sexarbeiterinnen ermordet wurden. Hier wird deutlich, daß nicht die unspektakulär anmutenden Orte, sondern die gesellschaftliche Positionierung ­ hergestellt durch Stigmatisierung und Kriminalisierung von (Straßen-)Prostitution ­ gefährlich sind. Die Bilder von Cristiano Berti geben damit dem Titel gemäß ein würdiges „memorial" ab. Dieses ist deutlich gelungener als Beate Passows im Bethanien ausgestellter Versuch, das „Gedächtnis" der Prostitution in Tibet mit verschwommenen Schnappschüssen zu „bewahren". Denn diese sind nicht nur auf exotisierende Weise mit „traditionellen" Ornamenten und Stoffmustern aus Tibet gerahmt, sondern entstanden zudem gegen den Willen der abgelichteten Frauen aus dem Taxi heraus.

Auch im kleinsten Ausstellungsteil im Haus am Kleistpark, wo Klischees und Wirklichkeiten thematisiert werden, sind bemerkenswerte Arbeiten zu finden. In Judith Siegmunds Dokumentarfilm Fremde Freier erzählen drei Sexarbeiterinnen aus Weißrußland, Litauen und Lettland über ihre deutschen Kunden. Trotz des offensichtlichen Machtgefälles entlang von Geschlechter- und Nationengrenzen erzählen die Frauen sehr selbstbewußt von ihrer relativen Macht gegenüber den Freiern. Das Ziel der Ausstellung ­ „die gängigen Klischees von Viktimisierung und Mystifizierung von Prostituierten zu vermeiden" ­ kann damit insgesamt als erreicht gelten. Die Ausstellung vermag zu zeigen, daß man, wenn man nicht allzu konservativ ist, nicht gleich nervös werden muß, wenn das Wörtchen „Sex" vor der „Arbeit" steht. Auch die Rollen von Freiern sowie schwuler und transsexueller Prostitution werden enttabuisiert.

Die Künstler vermitteln auch politische Botschaften. Ursula Biemanns Dokumentarfilm remote sensing stellt die Ausblendung struktureller Ursachen und der Darstellung von Migrantinnen in der Sexarbeit als handlungsunfähige Opfer im Rahmen des Frauenhandelsdiskurses in Frage. Das ist wichtig. Denn dieser Diskurs legitimiert auch in Deutschland immer wieder den Ruf nach verschärfter Migrationskontrolle oder aktuell nach Freierkriminalisierung. Insgesamt ist allerdings zu befürchten, daß angesichts des Materialreichtums und der Grenzen des Mediums Kunst einige politische Aussagen untergehen. Zudem finden sich auch an den zwei Ausstellungsorten, die nicht für das Thema „Klischee" vorgesehen sind, ein paar Klischees. So bleibt unklar, warum der Campingarbeitsraum „Working Unit Z 01" von Tadej Pogacar und Anja Planiscek, entgegen dem Entstehungskontext ­ der Versuch, einen sicheren Arbeitsraum für unabhängige Sexarbeiter zu kreieren ­ mit einem Verweis auf die Fußballweltmeisterschaft als Element der „Triebabfuhr" dargestellt wird. Denn dies naturalisiert nicht nur implizit den vermeintlich starken männlichen Sexualtrieb, sondern verfestigt auch die Idee, daß Sex im öffentlichen Raum bestenfalls sichtgeschützt in Boxen stattfinden kann.

Doch die kleineren Schwächen der Ausstellung werden durch ein sehr umfassendes Begleitprogramm wettgemacht. Vorträge von verschiedenen Beratungsstellen für Sexarbeiter oder Opfer von Menschenhandel finden in den Räumen der NGBK statt. Zudem entsteht derzeit ein Ausstellungskatalog. Neben den Kuratoren kommen darin auch Sozialwissenschaftlerinnen wie Christiane Howe und Emilja Mitrovic, die sich über die Arbeit in sozialen Einrichtungen oder Gewerkschaften schon länger mit dem Thema beschäftigen, zu Wort.

Jenny Künke

Ausstellung „sex work – Kunst Mythos Realität". Noch bis zum 25.Februar in der NGBK, Oranienstraße 25, Kreuzberg, im Kunsthaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg, und im Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6-7, Schöneberg. Geöffnet täglich 12 bis 18.30 Uhr, Eintritt frei.

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