Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Provozierende Porträts

Die Galerie Fenster 61 zeigt Fotos von Dragkings

Foto: Mareike Günsche

„Das ist doch eine Frau, oder?" An skeptische Fragen von Menschen mit verwirrten Blicken und gerunzelter Stirn hat sich die Fotografin Mareike Günsche längst gewöhnt. Solche Reaktionen auf ihre Bilder sind ihr nicht lästig, sie sind beabsichtigt. Die von ihr abgelichteten Charaktere nennen sich Johnny, Ocean, Leon, Brian, Alex und Steve. Sie bezeichnen sich selbst als „Dragkings" und spielen bewußt mit gängigen Klischees und Geschlechterrollen. Machohaft posieren sie auf Günsches Fotos, mal elegant in Anzug und Krawatte, mal leger in T-Shirt, Jeans und Basecap, am besten noch mit Bierpulle in der Hand und gummiertem Frottee-Armband ums Handgelenk.

Über zwei Jahre fuhr Günsche durch Deutschland und machte sich auf die Suche nach jenen Menschen, die zwar als Frauen zur Welt kamen, aber einen großen Teil ihres Lebens in Männergestalt verbringen. „Dragkings sind meist biologische Frauen, die Männlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes verkörpern", sagt die Fotografin.

Mit ihrem Langzeit-Fotoprojekt über Dragkings begab sich die Fotografin in eine bislang wenig ausgeleuchtete gesellschaftliche Grauzone. Während Dragqueens, Männer in Frauengestalt, längst zum Mainstream geworden seien, führten Dragkings noch immer ein Schattendasein. „Über diese Menschen ist nicht viel bekannt", sagt Günsche.

Leicht fällt die Definition dieses Phänomens auch ihr nicht. „Dragkings sehen ihre Geschlechteridentität jenseits der männlichen oder weiblichen Rolle", so Günsche. Diese Grauzone würden sie als Freiraum betrachten und spielerisch damit umgehen. „Sie ordnen sich nicht einfach rosa oder hellblau zu, sondern zelebrieren ihre eigene Lebenshaltung." Durch ihre Selbstinszenierung würden sie die Grundbausteine unserer Kultur in Frage stellen, ist die Fotografin überzeugt.

Bei ihren Recherchen stieß Günsche auf mehrere Kategorien von Dragkings. Einige Kings würden Männlichkeit eher im Rahmen von Playback-, Tanz- und Gesangsshows auf der Bühne inszenieren. Andere würden durch ihre Kleidung und ihr Auftreten im alltäglichen Leben als Mann in Erscheinung treten, sich selbst aber nicht als Mann definieren. „Es gibt Frau-zu-Mann-Transsexuelle, die sich selbst ebenfalls als Dragkings bezeichnen", fügt sie hinzu.

Günsches erste Dragking-Porträts lösten einen regelrechten Dominoeffekt aus. Innerhalb der King-Szene sei sie oft weiterempfohlen worden. „Dem Akt des Fotografierens gingen meist intensive Gespräche voraus, in denen ich die Menschen kennenlernen wollte", beschreibt sie ihre Vorgehensweise. Persönliche Nähe, Offenheit und Vertrauen sei ihr besonders wichtig gewesen, da sie die Fotografierten nicht als Kunstfiguren oder Exoten darstellen wollte, sondern als Menschen, denen man täglich begegnet.

Knapp dreißig Kings hat Günsche bisher porträtiert. Die King-Szene in Deutschland sei aber wesentlich größer. Genaue Zahlen könne sie jedoch nicht nennen, da die Szene zu vielfältig sei, um sie überschauen zu können. „Manche leben jeden Tag als Mann, andere schlüpfen nur einmal im Jahr für eine Bühnenshow in die Männerrolle." Als Dragking-Hochburgen konnte sie während ihrer Recherchen die Städte Berlin und Köln ausmachen.

Grelle Fotos von Dragkings während ihrer Bühnenshows sind nichts Neues, doch die Porträts von Günsche funktionieren anders. Das Wesen der von ihr Porträtierten ist nicht so offensichtlich, die Uneindeutigkeit des Dargestellten erzeugt Spannung. Auf den farbigen Mittelformatbildern sieht man die Kings in ihrem privaten Umfeld. Die Bilder wirken zuerst ruhig und vertraut. Um so größer ist der Moment der Irritation, wenn der Betrachter bemerkt, daß die Menschen auf den Bildern nicht so recht in das eigene Weltbild passen. „Die femininen Züge der so extrem männlich wirkenden Charaktere provozieren dazu, das eigene Verständnis von Geschlechterrollen zu hinterfragen und aufzubrechen", sagt die Fotografin.

Günsche fühlt sich der dokumentarischen Fotografie verpflichtet. Ihre Bilder sollen dabei subjektiv sein und Geschichten erzählen. Von der tagesaktuellen Pressefotografie hat sich die 27jährige bereits vor vier Jahren verabschiedet. Seither widmet sie sich verschiedenen Langzeitprojekten, meist mit sozialem Hintergrund. „Im Gegensatz zur oft skrupellosen Pressefotografie leben meine Bilder vom behutsamen Umgang mit den porträtierten Menschen." Günsches Dragkings-Ausstellung wurde zuletzt am Kurt-Schwitters-Forum in Hannover gezeigt. Die Berliner Galerie Fenster 61 stellt nun eine Auswahl ihrer Bilder aus.

Jens Steiner

Mareike Günsche: „Dragkings". Noch bis zum 12. Februar in der Galerie Fenster 61, Torstraße 61, Mitte.

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