Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Frauen bei der Arbeit

Geschlechtsuntypische Lebensweisen in viktorianischer Zeit

Vom Mariannenplatz aus kämpft man sich über dunkle Pfade zum Bethanien vor. Dann muß man zwei Treppen hinaufsteigen und gelangt ins Studio 1. Wer umsichtig ist, findet es in dem weitläufigen Gebäude auch bald. Geboten wird dort zur Zeit die Ausstellung Normal Love. Sie verspricht einen historischen Einblick in die Überschneidung von Geschlechtsverortung und Arbeit von Frauen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Ein Anspruch, der eingelöst wird.

Die Ausstellung widmet sich u.a. dem Leben von Hannah Cullwick, einer Arbeiterin, die im viktorianischen England als Putzfrau für reiche Familien tätig war. In ihren Tagebüchern sei diese beeindruckt gewesen von ihrer eigenen Stärke und Männlichkeit, versinnbildlicht durch ihre propren Muskeln. Auf Fotografien habe sie sich in eher geschlechtsuntypischen Posen selbst porträtiert. Doch in der Ausstellung wird die Frage, wer nun wirklich die Bilder machte, anders beantwortet: nämlich von ihrem Liebhaber Arthur Munby, einem Mann der bürgerlichen Klasse. Er hatte sich wohl auch eher eine Fotoausrüstung leisten können als Cullwick. Beide unterhielten eine leidenschaftliche Sadomaso-Beziehung, in der sie die masochistische Rolle übernahm.

Dies klingt nun überhaupt nicht nach einer Umkehrung geschlechtstypischer Rollenmuster. Und auch die von Munby angefertigten Bilder sprechen eher von einer femininen Typisierung, von dem Versuch, aus der Arbeiterin eine Lady zu machen, und wo das nicht gelingt, wird Cullwick in ihrer Arbeit als Putzfrau erotisiert. Auf einer einzigen Aufnahme wird sie als Mann gezeigt, mit entsprechender Kleidung und kurzem Haar, was aber den Gesamteindruck der femininen Typisierung nicht wirklich widerlegt.

Die zu besichtigenden Auszüge aus Cullwicks Tagebüchern fallen nur kurz aus, was in einer Ausstellung sicher auch nicht anders sein kann. Doch diese wenigen Ausschnitte geben eindrucksvoll ihre Ablehnung des zeitgenössischen Frauenbildes wieder. Sie wollte arbeiten, schwer arbeiten, und sie empfand das Schmutzigwerden bei der Arbeit als erotisch, was nicht alle ihre Herrschaften, für die sie arbeitete, ebenso sahen. Die Rolle als Haus- und Ehefrau dagegen war ihr zu feminin. Ihren Liebhaber Arthur Munby scheint die Verbindung von Schmutz und Erotik fasziniert zu haben ­ zumindest das drükken einige seiner Bilder von ihr aus.

Die Reminiszenz an Cullwick wird in der Ausstellung begleitet von anderen Künstlerinnen, die feminine Rollen und Arbeit in ihrer Realität und Widersprüchlichkeit darzustellen versuchten. Beispielsweise die Bilder von Minenarbeiterinnen in Kohlebergwerken Englands Ende des 19. Jahrhunderts. Ihnen ist nun gar keine Sinnlichkeit in der Art von engelsgleichen Frauen anzumerken. Sie tragen Hosen und müssen harte Arbeit verrichten, die Loren befüllen und aus der Mine transportieren. Hier wird sichtbar, wie weit das Bild von Weiblichkeit mit der Realität zu tun hatte ­ für diese Frauen zumindest in ihrem Arbeitsalltag wenig.

Ein Teil der Ausstellung ist lesbischen Künstlerinnen gewidmet, um so die konträre Lebensführung von Frauen zum zeitgenössischen Weiblichkeitsverständnis zu illustrieren.

Insgesamt gibt die Ausstellung einen kleinen, oberflächlichen Einblick in Realität und Ideal von Weiblichkeit und Arbeitsalltag. Manches hätte man sich ausführlicher gewünscht, zumal das Thema inzwischen von Feministinnen seit nun über zwanzig Jahren durchgekaut wird und damit eine derartig oberflächliche Darstellung der verschiedenen Lebenswelten von Frauen überflüssig ist. Da hätte eine Eingrenzung auf nur eine Frau wie z.B. Cullwick die Sache konkreter werden lassen. Diese Konkretisierung kommt erheblich zu kurz. Schade.

Inett Kleinmichel

„Normal Love". Noch bis zum 4. März im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg. Geöffnet Mi bis So, 14 bis 19 Uhr.

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