Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ironische Melancholie und reaktionärer Frohmut

Eine Ausstellung mit Fotografien von Elisabeth Niggemeyer

Foto: Elisabeth Niggemeyer

In der Galerie argus fotokunst sind zur Zeit Aufnahmen der Fotografin Elisabeth Niggemeyer aus den Jahren 1957 bis 1964 zu sehen. Niggemeyer wurde 1930 in Bochum geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Fotografin in München begann sie in den fünfziger Jahren, Städte zu dokumentieren. Stationen waren dabei zunächst München, London und Bonn. 1957 zog sie nach Berlin, 1964 veröffentlichte sie gemeinsam mit Gina Angreß und Wolf Jobst Siedler den Bildband Die gemordete Stadt, eine Darstellung der damaligen Berliner Stadtentwicklung im Umbruch.

„Dieser Band entstand aus der ironischen Zuneigung zum Gestern. Seine Stimmungslage ist die reaktionären Frohmuts. Der illusionäre Charakter solcher Attitüde liegt auf der Hand. Der menschen- und baumreiche Boulevard, der hier gegen die Schnellstraße ins Feld geführt wird, fiel nicht der modernen Städteplanung, sondern neuen Ordnungsformen der Gesellschaft zum Opfer", schrieb Wolf Jobst Siedler im Vorwort. Und „daß Mülltonnen-Idyllik und Souterrain-Romantik nicht zureichend für Rachitis und Schwindsucht aufkommen. Vielleicht verhält es sich so, daß die alten Städte Europas im Begriff sind, nicht nur ihre Originale, sondern auch ihre Originalität zu verlieren; aber im Abschied von der Welt Zilles erfüllen sich die Hoffnungen Zilles. Eben deshalb ist dieser Band als Übung in ironischer Melancholie gemeint."

Genau dies drücken die Bilder Elisabeth Niggemeyers aus. Mit dem Auge für den richtigen Ausschnitt stellt sie das Alte neben das Neue, wobei sie nicht verhehlt, wem ihre Sympathie gilt. Und sie zeigt die Menschen, die in der Stadt leben, Passanten, Bauarbeiter oder spielende Kinder. Dem Betrachter geht es wie beim Hören von Musik, die mit Erinnerungen verbunden ist, die Fotos lösen Emotionen aus.

Elisabeth Niggemeyer arbeitete mit einer Kleinbildkamera, was ihr den Vorwurf eintrug, sie „knipse". Worauf sie entgegnete, sie wolle keine schönen Bilder machen, sondern fotografiere, weil sie etwas mitteilen wolle.

Ein weiteres Merkmal der Aufnahmen von Elisabeth Niggemeyer ist der Blick für Details wie Fenster, Laternen oder Poller. In Die verordnete Gemütlichkeit. Der gemordeten Stadt II. Teil werden eingeknickte Absperrbügel und Pflanzenkästen aus Beton mit der Eigenwerbung der Hersteller versehen, die ihre Stabilität und Schönheit preist. Dieser Band erschien 1985 und damit zu einer Zeit, in der die Hausbesetzerbewegung die Kahlschlagsanierung gestoppt hatte. Eine Entwicklung, an der Elisabeth Niggemeyer und ihre Mitautoren maßgeblichen Anteil hatten. Beide Bände sind leider nur noch antiquarisch erhältlich. In Zeiten, in denen vor allem Leerflächen, aber auch noch Altbauten zumeist unansehnlichen Funktionsbauten geopfert werden, sind sie aktuell wie eh und je. Immerhin sind die Bilder aus dem ersten Band jetzt in der Ausstellung zu sehen.

Frank Fitzner

Die Ausstellung „Elisabeth Niggemeyer. München – London – Bonn –Berlin. Fotografien 1957-64" läuft noch bis zum 24. Februar in der Galerie argus fotokunst, Marienstraße 26, Mitte. Geöffnet Di bis Sa 14 bis 18 Uhr.

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