Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ganzjahresmusik

Trotz Intensivstudien aller verfügbaren Jahreshoroskope bleibt 2007 die große Unbekannte. Damit man in diesem noch so jungen Jahr zumindest musikalisch auf alle Lebenslagen vorbereitet ist – hier ein kleines Potpourri für unterschiedlichste Stimmungen.

Südpol (Staubgold) ­ das klingt erst mal recht unterkühlt ­ trotz Klimawandel. Und obwohl der Kölner Timo Reuber tatsächlich mit sehr strukturierten und seriellen Elementen seine Songs gliedert, entstehen trotz aller Klarheit der Kompositionen warme Soundlandschaften. Mit diesem Soundtrack können selbst so langweilige Dinge wie das Sortieren der Belege für das Finanzamt oder endlose Projekte wie das Philosophieren über den Sinn des Lebens zu absolut befriedigenden Beschäftigungen werden. Was nicht heißen soll, daß diese Musik langweilig wäre ­ im Gegenteil ­ nur entfaltet sie ihre Wirkung nicht gerade auf der Tanzfläche, sondern eher bei ruhigen, kontemplativen Tätigkeiten.

Für den kleinen Kick zwischendurch sei eine wunderbare Maxi namens Chocolate Butterfly (Soulseduction) empfohlen. Mit einem ebenso energetischen wie ungewöhnlichen Mix aus Balkanbeats, Elektro und Ragga hat der Wiener DJ und Produzent Ulf Lindemann aka Dunkelbunt einen vielschichtigen und charmanten Dancefloor-Hit zusammengeschustert, der weit über das übliche Weltmusikkonzept hinausgeht. Wann immer in 2007 mal eine Antriebsschwäche vorliegen sollte ­ wir empfehlen Dunkelbunt zur Gemütsaufhellung.

Nun ist es nicht immer mit Kicks getan, vielmehr ist klar, daß man sich durchaus auch seinen melancholischen Momenten hingeben muß. Damit man dabei nicht gleich vor lauter Selbstmitleid im Boden zerfließt, eignet sich zur Begleitung dieser Seelenzustände das Album Returning to the Scene of Crime (Hausmusik) von einem Soloprojekt mit dem seltsamen Namen At Swim Two Birds. Benannt hat sich der Musiker Roger Quigley nach einem Roman von Flann O´Brien, der bekanntermaßen auf bizarre Charaktere steht. Allerdings sind die Songs von ASTB teilweise so düster, daß sie eine gewisse Verwandtschaft zu Nick Cave oder auch Johnny Cash aufweisen. Ohne Resignation beschreibt Quigley seine Traurigkeit als einen Wesenszug, den man entweder akzeptieren kann oder daran zugrunde geht. Dabei wirken seine Songs so unaufgeregt, daß sie weder larmoyant noch rührselig daherkommen. Begleitet wird er dabei von schlichten Gitarrenakkorden, während im Untergrund Baß und Klavier dezent, aber unwiderstehlich in den Abgrund ziehen. Im Vergleich zu so vielen anderen melancholischen Helden der Neuzeit wirkt die Musik von ASTB erwachsen – bei all dem, was das Jahr 2007 an Weltschmerz und selbstverliebtem Gejaule hervorbringen wird, ist das sicherlich eine CD, über die man sich noch öfter freuen wird.

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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