Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Eine gewisse Fremdheit ist geblieben"

Dem Architekturtheoretiker Bruno Flierl zum 80. Geburtstag

„Ich habe keine theoretische Konzeption, wie ich dieser Gesellschaft, in die ich geraten bin, helfen kann. In dem Sinne, daß sie sich entwickelt. Ich weiß nicht, welches Modell ich dieser Gesellschaft empfehlen soll. Deshalb mache ich etwas anderes. Ich analysiere und beobachte den Prozeß des Zusammenwachsens dieser geteilten Stadt Berlin. Bei kritischer Verteidigung des von der östlichen Seite Geschaffenen, um es einzubringen in ein gemeinsames Ganzes. Es geht ja darum, zwei unterschiedlich gelebte und gebaute Städte in Berlin zusammenzubringen. Da war ich, so wie sich das im Jahr 1990 zu entwickeln begann, zunächst einiger Hoffnung. Mit der Währungsunion und dem Einigungsvertrag änderte sich das. Hoffnung, daß da wirklich etwas zu verändern ist im Sinne von Entwicklung, ist dem Anspruch gewichen, wenigstens Wesentliches zu bewahren und zu verteidigen."

An diesem Resümee von 1999 dürfte sich seither nicht viel geändert haben. Ein Resümee, das gleichzeitig einiges über ein Leben erzählt.

Seit Beginn der Neunziger fand sich Bruno Flierl vor allem in der Rolle des Verteidigers wieder. Als Verteidiger der DDR-Moderne, insbesondere des Ostberliner Zentrums. Und es gab ja auch allen Grund dazu. Die Attacken, die sich in den neunziger Jahren in Berlin gegen die Moderne schlechthin und den DDR-Städtebau der Sechziger bis Achtziger im Konkreten richteten, waren massiv, das Tempo des Umbaus atemberaubend und der Ehrgeiz groß, die geteilte Stadt nun zügig zu einer Metropole zusammenzuzimmern, die möglichst in einer Liga mit Paris, London, New York spielen sollte. Dabei schien den Protagonisten der Metropolenwerdung die städtebauliche Moderne der DDR eher weniger hilfreich. Man konnte manchmal gar nicht so schnell gucken, wie (teils sogar denkmalgeschützte) Bauten aus dem Stadtbild getilgt wurden. Das Lindencorso oder das Ahornblatt sind nur zwei prominentere Beispiele. Das jüngste war der Palast der Republik ­ 16 Jahre war um ihn und die Zukunft des Schloßplatzes hart gestritten worden, bis Anfang 2006 der Abriß begann.

Noch ein paar Wochen zuvor hatte das „Bündnis für den Palast", das für die kulturelle Zwischennutzung des Palastes bis zu einer zeitgemäßen und überzeugenden Idee für den Schloßplatz kämpfte, zu einer Pressekonferenz gerufen. Viele der Bündnismitglieder waren jung, um die dreißig, viele waren aus dem Westen nach Berlin gezogen. Sie verteidigten Bauten, die teilweise gerade mal so alt waren wie sie selbst, aber es ging um viel mehr als nur Gebäude. Es war arschkalt an diesem Dezembertag, der Palast nurmehr ein Betonskelett, dessen Abriß beschlossene Sache war. Aber es war noch nicht vorbei. Es war die letzte Phase einer Debatte, in der sich die Jungen, die vorher nicht gefragt worden waren, noch einmal leidenschaftlich zu Wort meldeten, die Luft brannte bei zehn Grad minus. Es ging nicht nur um das Betonskelett, es ging um den Umgang mit Geschichte und ihren baulichen Zeugnissen, um den verächtlichen, teils haßerfüllten Umgang mit der Moderne, um das Demokratieverständnis in der Entwicklung der Stadt. Die Jungen, die den Geist der Moderne in der Tradition des Bauhauses für sich wiederentdeckt hatten, wehrten sich gegen die nun tonangebenden Apologeten der barocken, zentralistischen Stadt, die meisten gehörten ihrer Vätergeneration an. Zwischen den jungen Verteidigern der Moderne saß Bruno Flierl, 79 Jahre, munter und jünger wirkend, einer der bekanntesten Architekturhistoriker und -theoretiker der DDR. Er hätte ihr Großvater sein können. Sie hatten ihn als Experten und Verbündeten auf das Podium geholt, als einen, der die Entstehung und Entwicklung des Ostberliner Zentrums jahrzehntelang begleitet hatte. Es war Flierl, der zum zivilen Ungehorsam aufrief. Alle Voraussetzungen des Bundestagsbeschlusses von 2002 für einen Schloßbau an dieser Stelle seien nicht mehr gegeben. „Wenn Parlamente und Regierung nicht bereit sind, ihre Politik an den Interessen der Menschen zu orientieren, dann muß politische Vernunft durch außerparlamentarische Opposition und Demonstrationen durchgesetzt werden." Da war sie wieder, die Frage nach der Teilhabe an Gestaltung, die sich wie ein roter Faden durch sein Leben zu ziehen scheint.

Flierl war ja selbst Mitglied der „Internationalen Expertenkommission Historische Mitte Berlin" gewesen, die 2001/2002 Empfehlungen für die Zukunft des Schloßplatzes erarbeiten sollte. Im Nachhinein vermutete er, als „Quoten-Ossi" berufen worden zu sein. Sein Plädoyer für einen konstruktiven Umgang mit dem Palast und gegen eine bloße Schloßrekonstruktion blieb ein Minderheitenvotum. Die Kommission erlebte er als „perfekt inszenierten Entscheidungsprozeß, wie ein einstudiertes Demokratie-Lehrstück im Theater": „Ich durfte alles sagen, was ich wollte, es wurde schweigend aufgenommen und mit dem nächsten Beitrag schon zum Vergessen gebracht, weil nicht aktiv zur Diskussion gestellt."

Dieses Umschlagen von Hoffnung in Enttäuschung war Flierl allerdings nicht neu. 1991 war er in die Arbeitsgruppe „Stadtvertrag" des gerade vom Stadtentwicklungssenator ins Leben gerufenen Stadtforums geholt worden. Er war Mitglied der Jury beim Wettbewerb Potsdamer Platz gewesen, er hatte das 1996 präsentierte „Planwerk Innenstadt" des Senatsbaudirektors, das gravierende Eingriffe insbesondere in der Ostberliner Innenstadt vorsah, als Privatisierung der Stadtmitte und „postmodernes Bauklötzchenspiel" kritisiert. Er beteiligte sich dennoch in der Hoffnung, angehört zu werden, an einem Gutachten zur Gestaltung des Spittelmarktes, das die Senatsverwaltung in Auftrag gegeben hatte. Und fand sich doch immer wieder in der Rolle der Alibi-Minderheitenbeteiligung. Das Scheitern an der Macht war eine Erfahrung, die er bereits im Osten gemacht hatte.

Bruno Flierl, geboren 1927 im schlesischen Bunzlau, hat die Welten mehrfach gewechselt ­ gewollt und ungewollt. Nach zwei Jahren Kriegsdienst und drei Jahren Kriegsgefangenschaft in Frankreich kehrt der 21jährige 1947 nach Deutschland zurück, studiert ab 1948 in Westberlin an der Hochschule für Bildende Künste Architektur, auch der Vater und der Bruder sind Architekten. Früh begeistert sich Flierl für die Moderne, die Traditionen des Bauhauses. 1950 zieht die Familie nach Ostberlin, weil der linksorientierte Vater aus politischen Gründen in Westberlin keine Arbeit mehr findet. 1952 wechselt der Sohn von der Westberliner Kunsthochschule an die soeben gegründete Deutsche Bauakademie in Ostberlin ­ nicht nur, weil er sich gegen die Architekturpraxis und für die architekturwissenschaftliche Arbeit entscheidet, sondern auch aus politischen Gründen vor dem Hintergrund sich zuspitzender Konflikte des Kalten Krieges.

Sein großes Thema wird die Wechselwirkung von Architektur und Gesellschaft. Es geht ihm nicht um Architektur als reine, hehre Baukunst, sondern um die „gebaute Umwelt des Lebens der Menschen". Hermann Henselmann fördert ihn. Flierl kommt mit Idealen und Utopien in die DDR, er will sich engagieren, den sozialistischen Aufbau mitgestalten. 1959 bis 1961 kann er an den Planungen für das Zentrum der DDR-Hauptstadt mitarbeiten, damit findet sein wissenschaftliches Interesse auch einen konkreten Gegenstand. Danach wird ihm die Leitung der Zeitschrift Deutsche Architektur übertragen. Er ist kein Rebell, schon gar kein Oppositioneller, er ist Idealist und SED-Mitglied, aber man mußte in der DDR kein Rebell sein, um vor den Toren der aktiven Teilhabe, der Einflußnahme, der Macht gestoppt zu werden. Es genügen Unbotmäßigkeiten, Regelverstöße, um gerügt, reglementiert, ausgebremst, nicht gedruckt zu werden. Die Angst vor nicht kontrollierbarem Denken ist groß. Flierl schreibt heute: „Schon damals – und umso mehr heute im Rückblick – waren meine angeblichen 'Verfehlungen' einfach lächerlich. Sie waren nicht einmal außergewöhnlich kritisch."

Er bleibt Chefredakteur bis 1964, arbeitet ein Jahr im Bereich „Stadtzentrum" des Stadtbauamtes beim Ostberliner Magistrat, kehrt dann wieder als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans „Institut für Theorie und Geschichte der Architektur" der Bauakademie der DDR zurück, ab 1980 lehrt er Architektur und Stadtentwicklung an der Humboldt-Universität. Er fühlt sich zunehmend politisch ausgegrenzt. Nach einem Schlaganfall wird er Anfang der Achtziger Invalidenrentner, aber von seiner Arbeit und Leidenschaft mag er sich nicht verabschieden. Er wird freiberuflicher Architekturkritiker, reist, forscht, publiziert. In der eiszeit-erstarrten DDR ist das durchaus ein Privileg. Und eine Flucht nach vorn. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang.

Bruno Flierl gehört einer Generation an, die immer wieder das Scheitern von Utopien erlebt. Die Wende weckt zunächst Hoffnungen ­ wieder wird die Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft und Architektur neu gestellt. Aber nicht nur Bruno Flierl muß bald erkennen, daß die ostdeutschen Erfahrungen und Lebensleistungen dabei nicht gefragt sind. Es hält ihn nicht davon ab, sich als Architekturkritiker immer wieder zu Wort zu melden, sich einzumischen. Doch seinen Texten ist zunehmend die Desillusionierung, teilweise auch Verbitterung anzumerken. Die Debatten um den Alexanderplatz oder um das Planwerk Innenstadt ernüchtern, die Machtverhältnisse sind deutlich. Und Zimperlichkeiten gab es in der Auseinandersetzung nicht: Flierl mußte sich Diffamierungen als „Chefideologe" und „Chefplaner", als Ewiggestriger und Verbohrter anhören. Er wendet sich wieder der Forschung zu, beschäftigt sich mit der Geschichte der Hochhäuser, aber Geschichte und Zukunft des Ostberliner Zentrums bleiben sein zentrales Thema. „Eine gewisse Fremdheit ist geblieben", konstatiert Bruno Flierl heute. Wirklich angekommen ist er letztendlich wohl in keiner der Welten.

In den letzten Jahren veröffentlicht Bruno Flierl etliche Essays, Artikel und drei vielbeachtete Bücher: Gebaute DDR ­ Über Stadtplaner, Architekten und die Macht, Hundert Jahre Hochhäuser und Berlin baut um ­ wessen Stadt wird die Stadt? 2003 hat er begonnen, die umfangreichen Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit zu ordnen und zu archivieren. Derzeit ist wohl nicht damit zu rechnen, daß Berlin ­ bei allen Differenzen in den Stadtdebatten ­ die Größe aufbringt, einen der renommiertesten Architekturhistoriker der DDR zu würdigen. Zu seinem 80. Geburtstag legen das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Stadtplanung in Erkner und Bruno Flierl selbst nun Werkdokumentation, Arbeitsbiographie und Archiv vor. Daß es so ist, ist auch ein Armutszeugnis für die Stadt, ein Zeichen von Borniertheit und mangelnder Souveränität.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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