Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Im Sumpf falscher
Rücksichtnahme

Ein interessantes Räsonnement über das wissenschaftliche Plagiieren

Irgendwie ist der Mann zu beneiden: „Insgesamt bekam ich bereits viermal meine eigenen Texte unter anderem Namen zu lesen, drei Mal bedienten sich Abschreiber aus meiner (offenbar für diesen Zweck höchst beliebten) Dissertation. Ist diese Häufung ein reiner Zufall oder aber ist meine Doktorarbeit eine besondere Fundgrube für Plagiatoren?" Eine gute Frage, auf die Stefan Weber keine Antwort liefert. Immerhin hat er eine Menge Beispiele für das, wie er es nennt, Google-Copy-Paste-Syndrom (GCP) zusammengetragen: des wissenschaftlichen Plagiats, das durch die neuen Möglichkeiten mittels der Copy/Paste-Funktion eines Computers offensichtlich weiter verbreitet ist, als man geahnt hat.

Weber hat allen Grund, die „Austreibung des Geistes aus der Textproduktion" zu beklagen und die durch Google & Co. beförderte „Textkultur ohne Hirn" anzuprangern. Vor allem sein eigenes Fach, die Medienwissenschaft, bietet offenbar viel Angriffsfläche für sein kulturkritisches Räsonnement. Und mit seiner Klage hat er womöglich recht: Zum einen wird mit einer bemerkenswerten Chuzpe plagiiert ­ seitenweise werden fremde Texte in die eigenen Qualifikationsschriften einverleibt. Zum anderen ahndet der Wissenschaftsbetrieb Verstöße gegen den Diebstahl geistigen Eigentums nicht konsequent, weshalb im Verbund mit den Möglichkeiten, die Computer und Internet bieten, ein „Milieu, in dem sich das GCP-Syndrom ohne großen Widerstand fortpflanzen kann", entstanden ist.

Da ist es kein Wunder, daß sich angesichts dieses Sumpfes aus falscher Rücksichtnahme auf Studenten und Kollegen, die ertappt worden sind, Ratlosigkeit breitmacht. Webers abschließende Forderung, nämlich „wieder primär in alte bzw. klassische Kulturtechniken zu investieren" ­ also Lesen, Schreiben, Argumentieren und dergleichen ­ zeugt davon. Dennoch hätte man gerne mehr gehabt. Denn auch wenn klar ist, daß schnelle Abhilfe des Mißstands kaum möglich ist, wird man von einem Autor etwas mehr verlangen können. Darüber hinaus wird nicht klar, was es genau mit dem Untertitel des Buches auf sich hat ­ dazu gibt es leider ebenfalls recht wenig zu lesen. Für mehr als eine recht interessante Sammlung von Plagiatsfällen und durchaus aufschlußreiche Ausflüge in die Kultur von SMS und Chat hat es offenbar nicht gereicht. Schade.

Aber es kommt noch schlimmer: Vor allem der Vorwurf, den Weber an seine eigene Zunft richtet, könnte nämlich auf ihn selbst zurückfallen. Nicht, daß er plagiierte. Aber er bemerkt nicht, daß die Art, in der er Wissenschaft betreibt, Teil des GCP-Syndroms ist. Wissenschaft im Stefan Weberschen Sinne enthält – wie aus den von ihm selbst angeführten Beispielen geschlossen werden kann – nämlich immer einen „Theorieteil" und verwendet die „neueste Literatur" zum Ausweis ihrer Qualität. „Die Medienrezeption bei Kindern am Beispiel der Serie X" lautet dann ein beispielhaftes Hausarbeitsthema, in dem in eigenen Kapiteln die „Systemtheorie" oder ähnliches abgehandelt wird. Wer diese Herangehensweise – Wissenschaftsjargon gepaart mit „theoretischen Kapiteln" und Fußnotenschlachten – für gute Wissenschaft hält, fördert die GCP-Kultur, denn sie erst ermöglicht die „Textkultur ohne Hirn". Schlechte Wissenschaft zu meiden, wäre der beste Schutz vor Plagiaten. Um etwas tiefer zu schürfen, hätte Weber mehr zu diesem Thema bringen müssen.

Benno Kirsch

Stefan Weber: Das Google-Copy-Paste-Syndrom. Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden. Heise Verlag, Hannover 2007. 16 Euro.

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